Geschichten:Rahja vor Travia - Begegnung
Während sich der kleine Zug Gerianes weiter seinem Ziel näherte, war Oswin nicht untätig gewesen. Er hatte Bedienstete aufgescheucht, Kammern zu richten - im oberen Teil der Burg, darauf hatte er wert gelegt. Er wollte tunlichst vermeiden, dass einer der Gäste gleich am ersten Tag mit den Eigenheiten der Gewölbe weiter unten Bekanntschaft machte. Außerdem hatte er angewiesen, eineMahlzeit vorzubereiten, den hohen Saal anzuheizen und Wasser zu erhitzen, falls jemandem nach einem heißen Bad gelüstete als Wohltat nach dem Ritt im kalten Wetter.
Schließlich stand er umgezogen und gekämmt im Windschatten der großen Pferdeställe an der nördlichen Außenmauer und wartete, dass die Torwache den Besuch ankündigte. Den Barbier hatte er sich dabei aus Zeitgründen wieder geschenkt, machte seiner Meinung nach aber auch so einen passablen Eindruck.
Noch einmal prüfte er mit kurzem Blick, ob auch genug Stallknechte "zufällig" in der Nähe waren, die er dann rasch herbei rufen konnte. Dann kam die Ankündigung und der kleine Trupp um Geriane von Sturmfels durchritt das Tor und saß kurz darauf ab. Sofort winkte Oswin mit einer lässigen Geste die „zufällig“ anwesenden Stallknechte heran und ging sicheren Schrittes auf seine Gäste zu. „Willkommen auf der Arveburg.“ Mit einem gewinnenden Lächeln breitete er, die weißen Mauern des Kolosses präsentierend, die Arme aus.
Geriane war beeindruckt von dem stattlichen Mann vor ihr, wie er scheinbar ohne Mühen alles im Griff hatte. Und auch sein verwegenes, aber nicht ungepflegtes Aussehen gefiel ihr. Zwar hatte sie ihn schon ein paar mal getroffen, doch der Einsatz hier oben am Pass hatte den jungen Man von einst zu einem imposanten Krieger werden lassen, ein Mann nach Gerianes Geschmack. Was würden sie andere um so einen beneiden, aber diese ganzen gluckenden Damen zu Hofe interessierten sie eh nicht. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass der Mann vor ihr, sich für eine solche interessieren könnte. Eine echte Leuin bräuchte dieser, so wie sie eine war. Denn sie war sich durchaus auch ihrer Vorzüge bewusst und hatte ihre Garderobe gut darauf zuschneiden lassen. Und so ging auch sie sicheren Schrittes und mit einem fordernden, fast anzüglichen Blick auf ihn zu, während ihre dunklen Haare immer noch mit dem Wind spielten und ihre braunen Augen spielerische Kampfeslust aufblitzen ließen. „Ein wahrhaft prächtiger Anblick“, sagte sie verzückt schmunzelnd, und ihr Blick schlenderte entlang der Mauern, doch meinte sie vielmehr Oswin, „Euer Hochgeboren, ich freue mich SEHR Euer Gast zu sein.“
Die junge Frau wusste sich zu bewegen, doch verriet ihre Reaktion Oswin doch noch eine gewisse Jugendlichkeit. Doch auch er hatte die ansehnliche Frau, die jetzt seine Verlobte war, schon lange nicht mehr gesehen. Wie lang war es her? Fast vier Jahre müssten es jetzt sein, damals war er noch Knappe am Hofe Ingars in Seeheim bei Zwerch, hatte sie eher flüchtig bei einem Besuch in Rommilys kennen gelernt und sie war gerade dabei gewesen ihre kindliche Fassade vollends abzuwerfen und nun war sie wahrlich eine Frau. Welliges, dunkles Haar bis weit zwischen die Schulterblätter, spielerisch durchwirkt mit einigen wenigen, roten und weißen Bändern, der weiße Wappenrock mit der Gluckenhanger Henne darauf die den Formen ihres wohlgestalteten Körpers widersprach. Die engen dunklen Beinkleidern, die dezent mit goldenen, Stickereien versehen waren. Die pelzbesetzten Lederstiefel waren von bester Machart, genau wie das prächtige Schwert an ihrer Seite, dessen Parierstange einen Hippogryph mit ausgebreiteten Schwingen darstellte. Nur der ungewöhnlich dunkle Teint irritierte Oswin leicht, doch schmeichelte er sehr seinem Auge, genau wie der sinnliche Mund, der Gerianes kriegerischem Erscheinungsbild beinahe Lügen strafte. Seine Mutter hatte ihm eine gute Partie ersonnen, ganz abgesehen davon war seine Verlobte die Schwester der Baronin von Gluckenhang, die, wie es Oswin in den Sinn kam, einen ähnlich dunklen Hautton hatte, aber bei weitem nicht mit der Schönheit ihrer Schwester mithalten konnte.