Geschichten:Rallerqueller Familiengeschichten - Der Bund wird erneuert
Junkertum Rallerquell, Junkertum Rallerquell, Baronie Uslenried - Ende Rahja 1045 BF:
Heute sollte Hilger erfahren was es mit dem geheimnisvollen Bund der Rallerquells mit dem heimischen Land auf sich hatte. Sein Vater, Junker Konnar von Rallerquell, schwieg sich zu der Bewandtnis weitgehend aus. Er hatte ihm empfohlen einfache, praktische Kleidung anzulegen, zu beten und die Götter um Vergebung und Beistand anzuflehen und den Stimmen von Land und Fluss nach zu spüren. Und so kniete Hilger bereits morgens demütig betend vor dem Praiosschrein im Rittersaal des Gutes Gutes und spazierte hernach den Pfad am roten Raller Richtung des Waldessaums die Anhöhe oberhalb von Markt Rallerquell hinauf. Er setzte sich dort unter die alte Steineiche und blickte auf das Land, sein Land, hinab und sog die Sinneseindrücke in sich auf.
Bei seiner Rückkehr steht bereits das alte Maultier bepackt mit mehreren Kisten und anderen Beuteln und Säcken im Hof des Ritterguts. Sein Vater und Feyderich Eichtanner, der Forstmeister des Junkertums Rallerquell, winken Hilger sogleich herbei und die kleine Gruppe verlässt das Anwesen vorbei an den prächtigen Kletterrosen und durch das eisenbeschlagene Eichentor. Die beiden Wachen dort salutieren den Herren von Rallerquell und wünschen den Segen der Zwölfe für das Vorhaben.
Schweigsam und ernsthaft steigen die drei den Weg in Richtung des Reichsforsts hinauf und bald liegt der dicht bewachsenen Waldrand vor ihnen. Feyderich leitet die Gruppe mit sicherem Schritt zu einem Wildwechsel der das Dickicht des Gebüschs durchbricht und die drei treten in das kühle Halbdunkel des Waldes. Der Duft nach Harz und Pilzen ist herrlich, aber die Weite und beinahe fühlbare Unberechenbarkeit des Forsts erzeugen gleichzeitig ein leichtes Schaudern und eine innerliche Aufgeregtheit bei Hilger. „Vater, ist es nicht Zeit, dass ich den Zweck der Unternehmung erfahre?“
„Die Holzfäller von Rallerquell ziehen weiter mit ihren Äxten und Sägen in den Reichswald und schlagen Stämme für das Sägewerk. Anderenortens traut sich das Volk nicht mehr in den Wald und die Herstellung von Bauholz und Holzwaren ist beinahe zum Erliegen gekommen oder das Holz wird von anderen Regionen aufwendig mit Wägen angekarrt“, beginnt Konnar. „Wir sorgen heute dafür, dass wir auch weiter dem so wichtigen Holzeinschlag nachgehen können und dafür treffen wir die Hüter des Waldes und werden unseren Teil eines alten Paktes erfüllen“.
Der Forstmeister steigt mit dem schwer bepackten Maultier den Adligen voran einen kleinen Abhang in den moosigen Grund eines dort plätschernden Bächleins hinab. Zwischen den im Talesgrund aufragenden Findlingen wachsen ungewöhnlich stattliche Bäume unterschiedlicher Art. Ein Ahorn mit geflecktem, glatten Stamm, eine Eiche mit zerfurchter Borke, eine säulenartig wachsende Buche, eine hochaufragende Tanne und etwas abseits ein riesiger Kirschbaum. Eichtanner bindet das Maultier an und beginnt mit dem Junker das Gepäck abzuladen. „Hilf mir, mein Sohn, die Kisten und Säcke zu entleeren“. “ Hilger öffnet eine Kiste und ist erstaunt darin Flaschen mit Schnaps vorzufinden. Danach nimmt er einen Beutel und packt aus Reisig gebundene Pinsel aus. Bald stehen und liegen eine Reihe von Schnapsflaschen, Pinseln, ein alter Dolch und eine große Holzschale aufgereiht auf dem Waldboden. Konnar und Feyderich stellen sich zwischen die alten Bäume und die Findlinge und fordern Hilger auf ihnen zu folgen. Die beiden Männer beginnen ein Lied anzustimmen:
Altes Land, hör und sieh uns an
Wächter kommt, hört und seht uns an
Seht der Bündnisträger kommt
Hört den alten Schwur
Wie es war, so soll es sein.
Hilger beginnt nach einigen Wiederholungen einzustimmen und drei tiefe, kräftige Stimmen schallen bald durch das Dickicht des Forstes. Die drei geraten in eine Art Trance und die Oberkörper wippen erst leicht nach vorne und hinten und kreisen dann regelrecht. Die Gesichter sind entrückt und wie von den Stimmen angelockt, finden sich Vögel, Hasen, ein Dachs und sogar ein stattlicher Hirsch auf dem Platz ein. Die Tiere lassen sich ihrer Art entsprechend nieder und beginnen ebenfalls ihre Häupter zu neigen und ihre Körper zum Lied zu wippen. Ein Rauschen und Knacken ist zu hören, der Boden beginnt zu vibrieren und während der Singsang weiter durch das unendliche Grün hallt, kommen von drei Seiten gewaltige Wesen in Richtung der ungewöhnlichen Gesellschaft geschritten. Die drei Waldwesen wandeln auf Wurzelfüßen, blicken aus großen Borkenaugen und haben ein von Blättern und Zweigen gekröntes Haupt. Die Schrate beginnen nun ihre Stämme und Äste auch zum Rhythmus des Liedes zu bewegen und geben passende laute und tiefe Geräusche von sich.
Die Zeit scheint still zu stehen und mit der Ewigkeit des Landes zu verschmelzen. Irgendwann hört erst Konnar, dann Feyderich und schließlich auch Hilger das Singen auf. Ihr Blick ist verschleiert und ihr Stand unsicher und auch die Tiere und Schrate beenden ihren Tanz. Eine gewisse Erschöpfung, aber auch etwas Heiliges liegen über der Versammlung und der Junker tritt zu den am Boden liegenden Gegenständen, greift sich den Dolch und die Schale und stellt das Gefäß auf einen abgeflachten Findling im Zentrum der Platzes. Er öffnet seine linke Hand und zieht die Klinge der alten Waffe über seine Handfläche. Das hervorquellende Blut lässt er in die Schale fließen.
„ Altes Landes, ich schwöre bei meinem Blute, den Wald und seine Bewohner vor jedem unrechtmäßigen Eingriff zu schützen, die ehrwürdigen Wächter zu ehren und ihren Willen zu respektieren “.
Konnar winkt Hilger zum Altar und reicht ihm den Dolch und der Erbe von Rallerquell und Nachfahre einer ungezählten Ahnenreihe tut es seinem Vater nach.
Der ehrwürdigste der Schrate schreitet danach ebenfalls zum Altar, ritzt seine Astklaue und tropft seinen Lebenssaft in die Schale.
Ein für Menschenohren unverständliches Knarren dringt aus seinem Stammmund.
„Der Schwur ist vollbracht und unser altes Recht, die von den Schraten freigegebenen Bäume zu fällen, wurde auch für den nächsten Götterlauf gesichert“, verkündet der Herr des Landes. „Jetzt beginnt die Arbeit. Wir werden den Schraten einen Dienst erweisen und sie von lästigem Ungeziefer und schmerzhaften Schädlingen erlösen. Dazu wird der Schnaps mit den Pinseln auf ihre Borke gestrichen. Außerdem durchsuchen wir die Blätter nach Raupen und lesen diese ab oder pinseln das Schrathaar bei zu starkem Befall ebenfalls mit der scharfen Flüssigkeit ein.
Und so nehmen sich die drei Männer ihre Arbeitsutensilien und beginnen mit ihrem Werk. Die Waldschrate beugen die Häupter, drehen sich nach links und rechts und erleichtern so die Arbeit. Scharen von Käfern, Larven und Raupen lassen sich auf den Waldboden fallen oder kriechen und krabbeln die Stämme ihrer Wirte hinab. Hilger sollte Angst vor den Schraten haben. Ein Hieb kann einem Menschen das Leben aushauchen, aber stattdessen fühlt er eine innige Verbundenheit und die Arbeit kommt ihm keineswegs erniedrigend vor, sondern als ehrenwerter Dienst an den alten magischen Wesen.
Nach einigen Stunden beginnen erst die Tiere den heiligen Grund zu verlassen und nach und nach auch die Schrate. Als letztes zieht sich der ehrwürdigste, der Schwurträger, mit einem langem Knarzen zurück und die Rallerqueller stehen wieder alleine im Wald. Wortlos werden die Gegenstände zusammengepackt und wieder auf das Packtier geladen. Der Weg zurück ist kürzer, als es dem Ritter vormittags vorkam und bald lichten sich die Bäume und das im leuchtenden Abendlicht strahlende Land mit dem Rittergut und Markt Rallerquell liegen vor ihnen.