Geschichten:Rallerqueller Familiengeschichten - Der Liebestrank
Junkertum Rallerquell, Junkertum Rallerquell, Baronie Uslenried - Anfang Praios 1046 BF:
Energisch und mit großer Entschlossenheit, dringt die junge Ritterin mit ihrem Langschwert auf ihren Gegner ein. Sie versucht ihn mit einem weiten Ausfallschritt zu überraschen und schlägt nach seinem Handgelenk. Der mit einem wattierten Wams und einem Helm gerüstete Mann, scheint das Manöver allerdings erahnt zu haben und dreht sich geschickt zur Seite weg. Sein blondes, halblanges Haar wirbelt dabei durch die Luft und ein Lächeln der Genugtuung stiehlt sich auf seine Lippen. „Am heutigen Tag scheint es euch nicht vergönnt zu sein erfolgreich zu treffen, Hohe Dame“. Heftig atmend lässt Alrike das stumpfe Übungsschwert sinken. „Es scheint so Arlt. Was mache ich falsch?“ „Geliebte Alrike, du bist einfach zu ungeduldig. Du willst den schnellen Erfolg und der Weg führt manchmal ins Leere. Besonders dann, wenn dich dein Gegner kennt und dein Vorgehen voraussieht. Deine kraftaufwändigen Attacken lassen dich schnell ermüden“, kommentiert Hilger von Rallerquell den Kampf seiner jungen Gattin.
Der Ritter hat es sich mit seiner Knappin Geria von Buchenhof und Nerea von Streitzig an dem Tisch neben den Kletterrosen im Innenhof des Guts bequem gemacht und trinkt ein Bier. Nerea lachte: „Das Ungestüm der Jugend, liebste Gefährtin. Arlt von Weißenstein rechnet immer mit etwas Besonderem und du kannst ihn am besten mit einem mutigen Vorstoß überraschen“. Wenig erfreut über die guten Ratschläge greift Alrike nach ihrem Krug und nimmt einen tiefen Schluck. Vom Tor kommt eine Waffenknechtin auf die kleine Gruppe zu und überreicht Alrike einen Brief: „Hohe Dame, der ist eben von einem kleinen Mädchen für euch abgegeben worden“. Mit einem dankenden Nicken lässt die Rallerquellerin den Brief in ihrer Tasche verschwinden und bemerkt dabei sehr wohl die fragenden und neugierigen Blicke der anderen. „Hast du noch Kraft für einen weiteren Kampf, Geria?“, fordert Arlt die Knappin von Hilger auf. Alrike beteiligt sich fahrig an der Unterhaltung und beobachtet den Kampf nur mit vorgespieltem Interesse – sie will in ihre Kammer und den Brief lesen. Wer mag ihn geschrieben haben? Ein Siegel war auf dem Umschlag nicht zu erkennen gewesen. Endlich haben alle genug und die Ritterin geht über die breite Treppe nach oben und dort in ihr Gemach. Das Zimmer ist recht klein und auch nur mit einem schmalen Tisch, einem einfachen Stuhl, einer Kleidertruhe, einigen Bildern und einem kleinen beinahe blinden Spiegel ausgestattet. Rasch öffnet sie den Umschlag, zieht den Papierbogen heraus und entfaltet den Brief.
Kommt heute alleine um die Hesindestunde zur alten Eiche.
Keine Unterschrift, kein Siegel! Seit ihrem Besuch bei der alten Thyria auf Gut Rallerspring waren einige Wochen vergangen. Aber um etwas anderes, als den angekündigten Besuch, kann es sich hierbei nicht handeln. Alrike macht sich zurecht, lauscht nach Schritten auf dem Gang und schlüpft aus dem Zimmer. Leise geht sie den Gang zur Treppe und dann ins Erdgeschoss hinab. Aus dem Rittersaal im ersten Stock dringen die fröhlichen Stimmen von Hilger und den anderen. Alrike bemerkt nicht, dass Geria sie neugierig beobachtet. Nach ein paar Schritten ist sie im Innenhof und wäre beinahe in Konnar von Rallerquell gelaufen. „Immer langsam Schwiegertochter“, schmunzelt der Junker. „Bist du gar nicht bei deiner Schwurgemeinschaft?“ „Ach ich will nur ein paar Schritte tun - mir ist etwas flau im Magen“, erfindet sie eine müde Ausrede. Der Junker zuckt die Schultern und Alrike eilt Richtung Tor, nickt den Wachen zu und macht sich auf den Weg zur alten Eiche.
Der mächtige Baum steht etwa 500 Schritt oberhalb von Gut Rallerquell. Von dort kann man die weitere Umgebung überblicken und ist bis auf die grasenden Schaf- und Ziegenherden meist alleine. Alrikes Herz klopft nicht wegen des ansteigenden Wegs. Sie versucht sich durch tiefes Ausatmen selber zu beruhigen. Konnar, ihr Schwertvater, gemahnt sie regelmäßig ihren Geist und Körper durch die richtige Atmentechnik zu beruhigen, um anstehende Aufgaben die volle Aufmerksamkeit widmen zu können.
Im Gras nahe der Eiche sitzt eine Frau. Sie ist eher dicklich geraten, trägt ein einfaches Kleid und ihr ergrauendes Haar ist durch den Dutt nicht vollständig gebändigt, so dass einzelne Strähne wirr vom Kopf abstehen. Vor dem Mütterchen stehen ein Weidenkorb und ein Lederrucksack im Gras. Neben ihr liegt ein gewundener Wanderstab. Die Frau beobachtet schweigsam die herankommende Ritterin und macht keine Anstalten das Gespräch zu eröffnen. Die junge Frau lässt sich ebenfalls nieder.
„Ein schöner Ausblick auf das wunderbare Rallerquellerland, nicht wahr“, durchbricht sie nach kurzer Zeit die ihr unangenehme Stille.
„Ja“, erwidert die andere knapp.
„Hast du mir den Brief gesendet? Hat dich Thyria geschickt?“.
„Ja“.
„Hast du den vereinbarten Trank dabei“.
„Ja“.
„Dann reiche ihn mir doch bitte“, unterdrückt Alrike von Breitenbach ihre Ungeduld.
Die Frau öffnet die Schnalle ihres Rucksacks, holt ein besticktes Tuch hervor und wickelt eine Phiole aus. In dem Glasfläschchen sieht man eine dunkelrote Flüssigkeit die zäh zu sein scheint.
„Bevor ihr den Trank von mir bekommt, will ich Euch dazu noch einiges erklären, damit ihr am Ende nicht enttäuscht seid. Neben vielen anderen Ingredienzen sind auch Eure Haare verarbeitet. Wer einige Tropfen davon im Essen oder Trinken zu sich nimmt, entbrennt in Liebe zu Euch. Er oder sie wird Euch Wünsche erfüllen, er wird Euch begehren und wird Eure Nähe suchen. Der so in Euren Bann gezogene wird sich aber nicht in Gefahr bringen, denkt auch weiter selbstständig und lebt sein Leben weiter. Ist eine Person Euch schon sehr zugeneigt, bemerkt Ihr keine große Änderung an dessen Verhalten. Die Wirkung hält einige Monde und verebbt dann. Der Trank reicht aber für mehrere Anwendungen und die Wirkung kann erneuert werden. Ihr dürft das Elexir nur zu guten Zwecken einsetzen. Ein Mensch, der Euch hasst und der davon zu sich nimmt, wird unberechenbar und die Wirkung kann ganz anders sein, als geplant. Ach ja und ihr erinnert Euch an die Bedingung von Thyria? Die Verpflichtung?“
„Ich werde mir deine Worte merken und alles beachten! Ja, ich habe mein Wort gegeben, dass ich mich den Bedingungen unterwerfe“, antwortet Alrike und greift nach der Phiole. „Wir gehen jetzt auseinander und ich wünsche Euch von Herzen, dass sich alles so ergibt wie Ihr es wünscht“.
‚Wieso ist die hohe Dame so unruhig und weshalb verlässt sie bei den Zwölfen jetzt die Tafel‘, denkt Geria und schiebt ihren Stuhl nach hinten. Neugierig verlässt sie den Rittersaal und folgt Alrike auf leisen Sohlen Richtung Küche. Der Duft des Abendessens steigt ihr in die Nase und veranlasst den hungrigen Magen ein lautes Knurren vernehmen zu lassen. Die junge Ritterin hört es nicht und eilt zielstrebig weiter. ‚Jetzt zieht sie ein Fläschchen aus der Tasche. Was hat Sie damit nur vor‘, grübelt die Knappin. ‚Will sie jemanden vergiften, das sieht ja aus wie Blut‘, staunt sie weiter. Schnell duckt sie sich hinter einen Vorhang und schon eilt Alrike an ihr vorbei und sie hinterher.
„Die Schüssel ist immer Hilgers. Träumst du etwa“, ermahnt Alrike die Magd. Niemand scheint davon Kenntnis genommen zu haben nur Geria beobachtet alles aufmerksam.