Geschichten:Rallerqueller Familiengeschichten - Die Papiermühle

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Markt Rallerquell, Junkertum Rallerquell, Baronie Uslenried - Mitte Rahja 1045 BF:

Das Praiosrund stand bereits hoch am Himmel, als Hilger von Rallerquell, der rechtmäßige Erbe des Junkertums Rallerquell in der Baronie Uslenried sein Pferd durch das nördliche Tor der dichten Weißdorn- und Schlehenhecke des stattlichen Marktes Rallerquell lenkt. Die Hecke wuchs hier noch recht niedrig, da Markt Rallerquell vor einigen Jahren um einige Äcker erweitert worden war, um den Zuzüglern geschützte Grundstücke für ihre Häuser zuweisen zu können.

Die meist eingeschossigen, einfachen, aber gepflegten Häuser mit schindelgedeckten Dächern, standen recht weit auseinander und waren von kleinen Äckern, Gemüsebeeten und Obstbäumen umgeben. Hilger folgte dem Lauf des Dorfbachs bergab, am Quellhüter-Tempel vorbei über den Marktplatz mit seiner hölzernen Markthalle und dem Gasthaus „Zum tanzenden Schrat“ in Richtung des Südtors. Die Männer und Frauen in ihrem Alltagsgewand lüfteten die Hüte, verneigten sich leicht oder machten Knickse und grüßten den Ritter ehrerbietend, wie es sich gehörte.

Noch bevor er das Dorf wieder verlassen hatte drang das schallende und lauter werdende Dengeln der Papiermühle an seine Ohren. Sein heutiges Ziel schien nach Hilger zu rufen. Vor seinen Augen breitete sich das Tal der Raller aus und nicht weit entfernt auch die fruchtbare Edlenherrschaft Rallerau, die bereits zur benachbarten Grafschaft Reichsforst gehörte. 300 Schritt vor ihm erhob sich die mehrgeschossige Papiermühle. Das Gebäude trug nicht unerheblich zu dem bescheidenen Wohlstand des Junkertums bei. Heute war Hilger mit der Pächterin Thesia Mühlbauer zu einer Inspektion des Besitztums verabredet. Lange hatte sich Hilger wenig für sein Erbe interessiert, aber seit er den Traviabund mit der fordernden und ehrgeizigen ehemaligen Knappin seines Vaters eingegangen war, hatte sich sein Leben grundlegend verändert. Nicht dass ihm seine Leidenschaft für Turniere und gesellige Zusammenkünfte mit anderen Rittern aus Waldstein vergangen wäre, aber andere Aufgaben nahmen jetzt einen größeren Teil seines Tages ein.

Er band sein Pferd an und ein fauliger Geruch ließ ihn erschaudern. Am besten meidet man diesen Ort, dachte er und trat trotzdem widerwillig auf das große Fachwerkgebäude zu. Eine recht junge, schwarzhaarige Frau, mit für ihr Alter zu harten Zügen, trat dem Ritter entgegen: „Hoher Herr, es ist mir eine große Ehre euch an diesem Tag hier empfangen zu dürfen“, begrüßte sie ihn mit einer leichten Verneigung. „Thesia, ich bin mehr als gespannt, was ihr mir über die Mühle berichten werdet. Gewöhnt man sich eigentlich an diesen fauligen Geruch?“. „Nach einiger Zeit nimmt man den Geruch nicht mehr wahr, Hoher Herr. Leider gehört der Gestank zu meinem Handwerk wie die Sägespäne zum Schreiner. Man muss die Lumpen, das Stroh, die Hanfstängel und die Rinde in großen Trögen in Wasser eingelegt faulen lassen, damit man am Ende ein gutes Papier erhält“. Die Papiermüllerin weist Hilger den Weg durch ein breites Tor ins Innere der Papiermühle. „Seht dort stehen die Tröge, in denen die Ingredienzen reifen. Durch diese Rinnen wird das Wasser des roten Raller in die Tröge geleitet“, weist die Pächterin auf die entsprechenden Gegenstände.

„Dort in die beiden metallenen Wannen, wird die Mischung dann umgefüllt und mit den von den Wasserrädern angetriebenen Hämmern zerkleinert und gestampft“, ruft die Handwerkerin durch den lärmerfüllten großen Raum im Erdgeschoss des Gebäudes. Einige Frauen und Männer, alles Hörige des Junkertums, arbeiten hier. „Seht, Hoher Herr, die Frau dort hält jetzt das Hammerwerk an und gießt Leim in die Wanne, dann wird weitergestampft. Der Leim verhindert ein Zerlaufen der Tinte auf dem Papier und verbessert die Haltbarkeit“. Fasziniert folgt Hilger einige Zeit den Vorgängen in der Werkstatt. „Gute Frau was passiert mit dem Sieb, das der Mann dort trägt“, deutet Hilger auf einen kränklich aussehenden Arbeiter in grauer, verschlissener Kleidung. „Er schöpft jetzt das Papier. Seht, er taucht es in die Masse, lässt das Wasser abtropfen und trägt den Rahmen über die Stiege in den Pressraum. Folgt mir!“ Thesia steigt hinter dem Mann und vor dem Ritter die Holzstiege nach oben. Der Lärm ist hier erträglicher. Auf dem Holzboden stehen vier Pressen. Der Arbeiter dreht den Rahmen mit einer schnellen, geübten Bewegung auf ein Tuch, welches auf einem Stapel aus Papieren und Tüchern liegt und breitet dann sorgfältig ein weiteres Tuch auf das feuchte Papier. „Wenn noch einige weitere Bögen auf dem Stapel ausgebreitet wurden, wird ein breites Holzbrett als Pressplatte darüber gelegt und der Pressvorgang beginnt. Dabei wird Wasser aus dem Papier gedrückt“, fährt Thesia mit ihrer Erklärung fort. „Danach werden die Bögen aus der Presse genommen und im zweiten Stockwerk getrocknet und dann zugeschnitten“, beendet die Frau die Erklärung des Herstellungsprozesses.

„Kommt Herr Ritter, wir sehen uns noch den Trocken- und Lagerraum an.“ Thesia und Hilger steigen die knarrende Stiege ein weiteres Stockwerk nach oben. Hier oben ist die Luft deutlich besser. „Durch die Öffnungen dort oben dringt frische Luft ein und nimmt die Feuchtigkeit aus dem Raum. Die Frau dort schneidet die getrockneten Bögen in die richtige Größe und stapelt das Papier für die Lagerung. In den Regalen dort hinten sind bereits vorbestellte Mengen für Kunden gebündelt. Das große Bündel dort ist für den Praiostempel in Weißenstein und dieser für die Schreibstube des Barons von Uslenried.“

„Ich habe vor dem Gebäude einen Karren gesehen. Wofür wird dieser benötigt? Die Kunden kaufen das Papier doch meist auf unserem Holzmarkt und kommen von weit her angereist.“ „Seht, Hoher Herr, ich habe drei Karren. Mit diesen gehen die Lumpensammler durch die Dörfer und Städte und kaufen für ein paar Kreuzer unbrauchbare Kleidung oder Textilreste auf. Die Stoffe sind die wichtigste Grundlage für die Papierherstellung.“

„Thesia, mir kommen immer wieder Klagen über das verschmutzte und an manchen Tagen stinkende Wasser von den Leuten unterhalb der Mühle zu Ohren. Kannst du das nicht ändern, damit der Unfrieden aufhört?“ „Hoher Herr, so sehr ich es auch bedauere, aber bei der Papierherstellung fällt leider viel Abwasser an und mir ist auch kein anderer Weg bekannt. Das Papier hat eben seinen Preis, der bezahlt werden muss.“

„Darf ich euch noch zu einem frische Uslenrieder Rotbier einladen?“ „Nein. Habt Dank gute Frau, für die freundliche Einladung, aber der Junker und meine Gattin erwarten mich zum Mittagsmahl an der Tafel und so werde ich jetzt unverzüglich aufbrechen und euch nicht weiter von der Arbeit abhalten“, findet Hilger eine Ausrede um den tristen Ort wieder verlassen zu können. „Ihr scheint hier sehr gute Arbeit zu leisten und ich werde dem Junker empfehlen euren Pachtvertrag zu verlängern“, macht der Erbe von Rallerquell klar, wer das Sagen hat und wendet sich seinem Pferd zu.

Thesia blickt dem Ritter noch einige Zeit hinterher. ‚Ernsthaft ist er geworden, aber ich verstehe schon warum das Weibsvolk ihn gerne um sich hat. Schöne Augen, sinnliche Lippen, volle und glänzende Haare und wie aufrecht und kraftvoll er auf seinem Pferd sitzt`, geht es der Pächterin durch den Kopf, bevor sie sich wieder an ihr Tagwerk macht.



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15. Rah 1045 BF
Die Papiermühle


Kapitel 1

Der Entschluss