Geschichten:Ritterwallfahrt - Unerwartete Gäste
Streitzensfeld, am Mittag des 8. Rondra 1035 BF
„Seht dort, das Banner!“
„Warte, das habe ich doch schon mal gesehen!“
„Es ist das der Lurings, ganz sicher?“
„Luring? Der Graf? Danos der Ritterliche?“
Das Stimmenwirrwarr, das über den Marktplatz Streitzensfelds hallte, wurde lauter. Es wurde Markt gehalten, und manche Krämer und Fuhrleute mit schnellen Zugtieren waren just vom Turnier zu Füßen der Burg Silz hier angekommen, wo sie noch wenige Tage zuvor ihre Waren unters Volk zu bringen versucht hatten. Die Junkerin, die gerade über den Plan schritt, erkannte das ein oder andere Gesicht wieder, dass sie noch vor wenigen Tagen beim bunten Treiben unterhalb der alten Grafenburg gesehen hatte, und im Geiste sortierte sie die Händler erneut in jene Schubladen ein, in welche sie es schon zuvor getan hatte: Halsabschneider, Geizkragen, Plunderkrämer; nur den wenigstens traute sie ehrliche Geschäfte zu.
„Tatsächlich, das Grafenbanner!“
„Der König der Ritter!
„Ja, seht, Graf Danos!“
Das Gelärme wurde lauter. Verärgert, was denn der Aufruhr zu bedeuten habe, drehte Godelind von Streitzig sich um, in jene Richtung, in der das Geschrei am lautesten war. Und tatsächlich, dort, unweit vor dem Dorfeingang flatterte an einer Lanze deutlich sichtbar das Banner des reichsforster Grafen. Seit Danos Besuch auf dem Turnier zu Uslenried vor ziemlich genau drei Jahren war das Banner des „Königs der Ritter“ bei den Dörflern durchaus bekannt, und selbst, wenn sie es nicht deutlich hätte erblicken können, hätte sie es ihren Untertanen geglaubt.
Danos von Luring, der Graf von Reichsforst. Was mochte den alten Recken hierher führen, unangekündigt noch dazu? Zähneknirschend blickte sie an sich herab. Es waren nicht die besten Gewänder, die sie trug; abgenutzt das Wams, geflickt die Hose, die Stiefel staubig vom Staub der Straße.
„Mutter!“ hörte sie da eine wohl vertraute Stimme rufen. Godelind drehte sich zur Seite und erblickte ihre Tochter Nerea, die eilenden Schrittes auf sie zugelaufen kam. „Hast, Du es gesehen? Ach was, sicher hast Du! Der Graf!“
„Ja, der Graf“, entgegnete Godelind mit säuerlicher Miene und blickte ihre Tochter ernst an. Ein wenig war sie noch immer irritiert von Nereas sonnengebräunter Haut, mit der sie von der Queste in die Tulamidenlande wiedergekehrt war. Zwar hatte selten jemand, der sich dem Ritterleben verschrieben hatte, quarkweiße Haut wie die Schranzen und Sesselpupser in den Adelsvillen der Kaisermark, doch selbst tagein tagaus unter der garetischen Sonne ward das Gesicht nicht so dunkel, wie es den jüngst von ihrer Alriksqueste zurückgekehrten Rittern dieser Tage zu eigen war. Dann jedoch hellte sich das Gesicht der Junkerin auf, als sie im Schatten Nereas ihren Pagen entdeckte. Geralt von Argenau hieß der Knabe aus unbedeutendem Geschlecht; er war der Sohn ihrer alten Freundin Jadvige, einer landlosen Ritterin, und sie hatte dieser den Wunsch nicht abschlagen können, den Jungen als Pagen und später Knappen zu sich zu nehmen. Schnell winkte sie ihn herbei.
„Geralt, lauf heim zum Gut und hole mir den Wappenrock! Nicht den des Lehens, sondern den der Familie! Lauf was das Zeug hält!“ Der blonde Knabe nickte dienstbeflissen, machte auf dem Absatz kehrt und eilte von dannen. „Aber den guten, den der Heermeisterin!“ rief Nerea ihm noch hinterher, bezweifelte aber, dass der Junge sie noch gehört hatte. Manches Mal war es um das Gehör des Elfjährigen nicht allzu gut bestellt, wie zumindest Isenhardt Golkens, der Truchseß des Junkertums, erst gestern wieder behauptet hatte.
Ungeduldig warteten die beiden Frauen, die Mutter innerlich aufgeregter als die Tochter, dass der Bengel alsbald zurückkehren würde, derweil das Volk dem ritterlichen Grafen und seinem Gefolge zujubelte. Die Kunde, wie er ohne Wehr die Stadt Luring für sich eingenommen hatte, war auch bis hierher gelangt, und nicht zuletzt galt Danos von Luring landauf landab als Vorbild ritterlicher Güte.
Derweil war der Troß nahezu am Marktplatz angelangt, von Geralt hingegen war wie vom Wappenrock noch Nein nichts zu sehen. Verärgert wollte die Junkerin schon in ihrem unziemlichen Aufzug dem Grafen die Aufwartung zur Begrüßung machen, als bereits dessen Stimme ertönte. „Ist dort vorne nicht der Gasthof, wo man den hiesigen Wein ausschenkt? Laßt uns dort einkehren und der Mittagshitze trotzen, ehe wir weiterreiten.“ Und so lenkten die Reiter ihre Rösser an die Seite, saßen ab und drückten den Knappen die Zügel in die Hand, die nun zunächst einmal die Pferde zu versorgen hatten, ehe ihnen selbst eine Pause zustand. Der Graf und seine Getreuen hingegen schritten in den Gasthof „Zur Traube“ hinein, der zum Weingut des Ortes gehörte, und ließen sich an den Tischen nieder. Der Wirt, hocherfreut ob des hohen Besuches, kam denn auch emsig herbeigewieselt, um dem unerwarteten Besuch bestmöglichst zu Diensten zu sein.
Derweil war auch Geralt, der Page, mit dem Wappenrock der Junkerin zurückgekehrt. Godelind riss ihm das Stück förmlich aus den Händen und streifte den blau-weißen Rock über, gürtete sich entsprechend und zog die Falten glatt. Ein weiterer prüfender Blick an sich hinab, ein Stoßseufzer beim Anblick der staubigen Stiefel, dann winkte sie Tochter und Pagen heran. „Kommt, wir wollen dem Grafen unsere Aufwartung uns machen und ihn willkommen heißen.“
Als sie wenig später die Schänke betraten, waren die Schankmägde gerade damit beschäftigt, die irdenen Krüge mit weißem Wein zufüllen. Gemessen Schrittes traten die Junkerin und ihre Begleiter näher, neigten Knie und Haupt vor dem reichsforster Grafen. „Hochwohlgebohren, es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Euch hier in Streitzensfeld begrüßen zu dürfen. Euer Besuch erfolgt unerwartet, aber nicht unwillkommen. Erlaubt mir, Euch zu diesem Trunk wie auch zum Male einzuladen, wie es die Herrin Travia und die Gebote der Gastfreundschaft gebieten.“
Der Graf nickte. „Ich danke Euch, Wohlgeboren“, entgegnete er freundlich; die Junkerin war ihm als eine der engsten Vertrauen des hiesigen Barons von Person und Namen bekannt. „Doch erhebt Euch erst einmal, dass wir uns von Angesicht zu Angesicht unterhalten mögen, wie es unter Rittern üblich ist.“
Stühlerücken setzte ein, auf dass die Herrin des Lehens neben dem Grafen Platz nehmen konnte, derweil der Wirt weitere Becher heranbrachte und sich nach dem Speisenwunsch erkundigte. Brot, Käse, Speck, vielleicht eine leichte Suppe wären genug, äußerte der Graf, worauf hin der Wirt in Richtung Küche davoneilte.
„Was führt Euch hierher, Hochwohlgeboren, wenn die Frage gestattet ist“, eröffnete die Junkerin das Gespräch mit dem Grafen, derweil Nerea den Pagen anwies, außerhalb zu warten. „Rondragefällige Wallfahrt, wie es einem Ritter geziemt“, entgegnete der Graf.
Godelind zog die Brauen hoch. „Ich hörte davon. Gen Wildermark wollt Ihr ziehen, ließ man verlauten, Verzeiht, wenn ich verwundert bin, dass Ihr dieser Wege reist.“
„Ich gedenke meiner Schwester im Amte, der hohen Dame Allechandriel auf meiner Reise die Aufwartung zu machen. Der kürzeste Weg dorthin führt hier entlang, durch Freundesland. Auch Eurem Vetter, dem Baron zu Uslenried, gedenke ich auf dem Wege noch zu begegnen, und vielleicht Quartier für die Nacht dort zu beziehen.“
„Godelind zögerte einen Moment. „Dann sollte ich einen Boten gen Uslenried senden, dass man Euch gebührend empfangen kann“, entgegnete sie und war schon dabei, sich Nerea zuzuwenden, als Danos sie unterbrach und beschwichtigend die Hand auf den Arm legte.
„Lasst gut sein, Wohlgeboren. Euer Ansinnen ehrt Euch, doch befinden wir uns auf Wallfahrt und damit fernab von Titeln und den Bequemlichkeiten, die damit einhergehen. Eine einfache Bettstatt mag niemand einem Pilger verwehren, und höhere Ansprüche zu stellen verbietet mir die eigene Achtung meines der Leuin gefälligen Anliegens.“
„Wie Ihr wünscht. Doch gestattet mir, Euch bis Uslenried das Ehrengeleit zu geben, wenn nicht als Graf, dann doch als Bruder im Ritterstand.“
„Der Schutz der Schwachen ist des aufrechten Ritters erste Pflicht. Als Pilger mag ich diesem wohlgefälligen Ansinnen nicht widersprechen und nehme Euer Angebot gerne an.“ Danos erhob den Becher und nickte Godelind freundlich zu. „So seid denn bedankt für die Einladung zu Speis und Trank. Ich sehe, man eilet, das Mahl zu servieren, so wünsche ich uns allen Wohlschmecken!“
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