Geschichten:Rotes Haar – Rivalen
Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 12. Efferd 1044
Lonán wischte sich die Tränen aus den Augen. Er blickt auf Mirya herab. Ihr Körper noch immer warm. Ihre blauen Augen noch immer offen. Nicht kalt oder gar anklagend, einfach nur starr und tot. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, versuchte sich zu besinnen. Doch er schaffte es nicht. Ihr Blick… Es war ihr Blick, ihre blauen Augen, die ihn nicht ruhen ließen, die sich immer wieder in sein Blickfeld schoben. Unter Aufbietung all seiner Kräfte schloss er sie. Dabei weinte er bitterlich. Legte sie anschließend auf dem Boden ab und küsste sie ein letztes mal auf ihre Lippen. Ein Kuss voller Liebe und Wärme, voller Schmerz und Bitterkeit.
Er nahm ihren Leichnam mit. Hier in der Brache konnte sie nicht bleiben. Hier sollte niemand bleiben. Baduar und Blasius folgten ihm. Sie hatten das andere Untier zur Strecke gebracht. Ihr weißes Fell blutrot.
Der albernische Waffenknecht hätte gerne Miryas Körper erst nach Burg Praisoborn in Sicherheit gebracht, doch da war ja noch Leomar. Und er konnte das Kind einfach nicht in Lares‘ Fängen lassen, ganz gleich ob er nun der Vater des Junges war oder nicht. Er hoffe, dass er der Vater war. Und irgendwie hoffte er es auch nicht. Was sollte er denn mit einem Kind? Vor allem nun, da Mirya nicht mehr da war?
Auf dem Donnerhof war es still. Niemand war zu sehen. Die Alte Dame stand draußen, war noch gesattelt und gezäumt. Nella konnte also nicht weit sein, auch wenn er sie nirgendwo sehen konnte.
Sein Weg führte ihn direkt zu der Wiege des Kindes. Der Knabe schlief friedlich. Unwissend, was mit seiner Mutter geschehen war. Ob es sein Kind war? Sein eigen Fleisch und Blut? Mirya hatte das stets geleugnet, doch sicher konnte sie sich auch nicht gewesen sein. Ihn einfach so zurück zu lassen, kam für ihn nicht in Frage, immerhin war es möglich, dass es doch sein Sohn war.
Er wollte den Knaben aus der Wiege nehmen, da traf ihn etwas am Kopf. Er stürzte. Verlor einen Moment das Bewusstsein. Fand sich dann am Boden wieder.
„Du glaubst doch nicht etwa, dass ich Dir MEINEN Sohn überlasse“, drohte ihm der Hausherr. Lonán konnte ihn nicht sehen, aber er kannte seine kalte Stimme, „Du und deinesgleichen haben sich schon in den Kopf meiner Tochter gewanzt.“
Der Albernier drehte sich schwerfällig um. Lares stand über ihm aufgebaut. In seiner Hand einen Spaten. Lonán lachte kehlig: „Dein Sohn?“ Vielsagend blickte er den Hausherrn an. „Mirya sagte mir, dass er von mir sei...“ Das hatte sie natürlich nie getan. Lares blickte ihn grimmig an, amtete schwer. „Was glaubst du denn, warum er immer ein Mützchen trägt?“ Er hielt einen Moment inne, eher er selbst die Frage beantwortete: „Er hat mein rot…“
Da schlug Lares zu. Lonán drehte sich zur Seite und rappelte sich eilig auf. Er riss seinem Gegenüber den Spaten aus der Hand und fragte: „Jetzt wirst du dafür bezahlen. Für alles bezahlen, für alles was du Mirya angetan hast.“ Der Hausherr lachte: „Sie gehört mir. Sie gehörte immer mir. Im Leben und auch im Tod. Ihren Körper wirst du nie finden.“ Nun lachte der Albernier: „Das hab ich schon. Ich hab sie gefunden. Du wirst sie nicht bekommen. Nie mehr.“
Ein vielsagendes Lächeln umschmeichelte seine Lippen: „Du warst erbärmlich. Das hat sie gesagt. Du warst ein erbärmlicher Liebhaber. Sie fand es abscheulich. Sie fand dein ro...“
Lonán schlug ihm den Spaten gegen den Kopf. Lares stürzte zu Boden. Blut sickerte aus der Platzwunde. Er schlug weiter zu. Immer weiter und weiter, dabei war der Hausherr schon nach dem ersten Schlag tot gewesen. Er hörte erst auf, als Nella zu ihm trat und ihn mit großen Augen anblickte. Da war der Kopf seines Kontrahenten nur noch Matsch. Blut, Knochen und Fleisch. Überall waren Blutspritzer. Blasius und Baduar waren bei dem Mädchen. Sie hatte Tränen in den Augen.
Der Albernier atmete schwer. Keuchte. Fühlte jede einzelne Faser seines Körpers.
„Nella“, wandte er sich dem Mädchen zu, „Nimm deinen Bruder und reite nach Schwarztannen.“
Sie schaute ihn einen Augenblick lang verunsichert an. Dann schluckte sie, nickte, nahm ihren Bruder aus der Wiege und ging. Lonán ließ den Spaten fallen. Fühlte sich kraftlos und erschöpft.
Dann wandte er sich um. Ging ebenfalls nach draußen. Verließ diesen Ort des Grauens. Und stellte entsetzte fest, dass es ihm herausgefolgt war: Miryas Leiche war verschwunden.
Und irgendwo schrie eine Krähe: „Mir-yaaa. Mir-yaaa.“