Geschichten:Saat und Ernte - Bankrott nach Elfwyns Hinrichtung
Schloss Morgenfels, 6. Rondra 1025 BF
»Onkel! Wir reiten aus zur Jagd in die Gerbaldsmark, und da dachte ich, schau ich doch mal vorbei!« Der junge Mann kam geradezu hereingestürmt in das getäfelte Esszimmer, in dem eine Tafel mit hochlehnigen Stühlen zum Mittagsmahl gedeckt war. Hier saßen der Staatsrat Garetiens, angetan mit einer weißen Tunika und ohne Ornat, und eine junge Frau, die ebenfalls nur eine weiße Tunika trug, die rotblonden Haare hochgesteckt. Der Ankömmling, weniger lässig als eher nachlässig gekleidet, schwenkte sein Barett herum wie eine Fahne, warf es dann auf eine Lehne und umrundete schwungvoll den Tisch, um zu der Frau zu gelangen, die gerade noch Zeit fand, die Gabel fallen zu lassen, ehe die Hand zum Kuss ergriffen wurde.
»Drego von Luring, meine Holde! Solch Schönheit ist den Mauern dieses Schlosses nur angemessen!« Drego hauchte in der Verbeugung einen Kuss auf den Handrücken und betrachtete die Frau anzüglich. »Dieses Schloss ist ja als Lustschloss gebaut, wusstest Ihr das?« Und mit einem Seitenblick auf den Staatsrat, dessen Gesicht langsam die Farbe des Zorns annahm, fügte er an: »Aber gewiss, wisst Ihr das, was? Onkel, ich ahnte nicht, dass Ihr so hübsche Vögelchen in Eurer privaten Voliere haltet!« Damit nahm er auf der anderen Seite des Tisches Platz und griff nach der kalten Hähnchenkeule, die da lag. Doch der Staatsrat war schneller und schlug mit der Gabel auf den Handrücken seines Neffen.
»Drego, du bist ungezogen! Dies ist Ihro Gnaden Halva Selissa von Rothermund, Lichtbringerin in der Kirche unseres Herrn, des Götterfürsten. Höflich wäre es gewesen, die Vorstellung der Dame abzuwarten.«
»Oho, Onkel! Ein geweihtes Vögelchen! Nicht schlecht, nicht schlecht! Da denkt man immer, Ihr …«
»Ich lasse die Herren dann einmal allein«, warf Halva Selissa an und verließ den Raum.
»Habe ich sie beleidigt, Onkel?«
»Womöglich. Was führt dich her, Drego?«
»Die Jagd, die Jagd! Also gut, Onkel, Ihr habt schon wieder diesen Blick. Gestern war doch die Hinrichtung dieser albernischen Baronin auf dem Zwölfgötterplatz, nicht wahr?«
»Ja, Elfwyn Ni Bennain, die Baronin von Hohelucht, sie hatte dem Reichsverräter Romin Ga…«
»Genau die. Jedenfalls war ich mit meinen Kumpels da - wir hatten vortreffliche Plätze! Wir haben gewettet, wie die Schlampe abtritt. Verzeihung: Ich meine, wie die Baronin die Hinrichtung aufnimmt. Und - pardauz! - war ich mein ganzes Gold los! Ich hätte gedacht, dass sie noch jammert und bettelt. Aber: nichts da.«
»Und nun, Drego?«
»Na ja, Ihr wart nicht da, Onkel, und da dachte ich, ich erzähle Euch, wie es gelaufen ist. Und vielleicht … könntet Ihr mir mit ein wenig Geld aushelfen? Ich zahle es am Monatsersten zurück, wenn Papas Wechsel kommt.«
»Von mir bekommst du nichts, Drego. Ich werde dein unwürdiges Benehmen nicht auch noch unterstützen. Ganz im Gegenteil: Ich habe deinem Vater schon öfter gesagt, er soll strenger mit dir sein. Bedenke, Drego: Du wirst einmal die Grafschaft Reichsforst führen und das Oberhaupt des alten Hauses Luring sein.«
»Als ob ich das vergessen könnte, Onkel! Ich denke oft daran - je länger der Monatserste zurückliegt, desto häufiger! Aber gut, ich dachte es mir schon. Ich würde dann nur kurz noch am Schrein beten wollen, dann breche ich wieder auf. Viel Spaß noch … ich meine: erbauliche Stunden noch mit deinem geistlichen Beistand.«
Drego verließ das Esszimmer, während der Staatsrat ans Fenster trat und in den Hof hinaussah. Dort warteten Dregos ›Kumpels‹: Halunken und Tagediebe, missratene Söhne und Schluckspechte. Er erkannte Franwin von Luring-Franfeld, einen entfernten Verwandten, und den unvermeidlichen Schmierfinken Jagodar von Galothini. Die Geweihte Halva trat nun zum Staatsrat ans Fenster.
»Praiodan, dein Neffe …«
»Ja?«
»Du weißt, dass er schon oft in meinen Träumen auftauchte …«
»Ja.«
»Er ist mir unangenehm. Ich mag ihn nicht. Und ich fürchte ihn ein wenig.«
»Das wird sich geben. Er stößt sich jetzt die Hörner ab - und hat halt offenbar sehr lange Hörner. Aber irgendwann wird er auf den Pfad der Tu… Da schau! Er hat den Phex-Schrein geplündert! Von wegen: beten. Den hol ich mir!«
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Eine Erinnerung und eine Bitte | ▻ |