Geschichten:Saat und Ernte - Es ist ein Junge
Auf Schloss Morgenfels, 17. Hesinde 1028 BF
Am Kamin in der Bibliothek des Schlosses Morgenfels kauert der greise Manegold von Halmenwerth und wärmt seine gichtigen Hände. Der wieselige Gsevino vom Prutzenbogen reibt sich ebenfalls die Hände. Beider Mäntel hängen nass und klamm im Foyer der Burg, denn sie sind erst heute angekommen. Betritt den Raum Werdan von Luring-Schneitzig, Kastellan des Schlosses.
»Willkommen auf Morgenfels, willkommen. Euer Hochwürden, Herr von Prutzenbogen. Bleibt sitzen. Hat man Euch schon Getränke gebracht? Ich werde Glühwein kommen lassen. Ich hatte mit Euch eigentlich im Herbst gerechnet - oder im kommenden Frühjahr.«
»Im Herbst war kein Durchkommen, Herr Werdan. Die Galotteska machte des Reisen gefährlich und ungemütlich. Und in meinem Alter … Der gute Gsevino kam allerdings schon im Herbst nach Luring, um mir die traurige Kunde zu bringen. Ich wäre auch gar nicht auf die Idee gekommen, Euch aufzusuchen, hätte ich nicht von Ihrer Gnaden Halva Selissa dieses Schreiben bekommen. Wo ist sie eigentlich?«
»Ich komme gerade von ihr. Die Wehen haben schon gestern eingesetzt. Die Hebamme ist bei ihr. Die Niederkunft steht unmittelbar bevor.«
»Ach? Sie ist schwanger?«, fragte Gsevino dazwischen.
»Ja, wusstet Ihr das nicht?«
»Nein, Herr Werdan. Ich war ja im Peraine in Gareth beim Staatsrat. Dann floh ich wie alle, dann haben wir den Staatsrat in Sankt Gilborn begraben und anschließend musste ich dem Zedernkabinett hinterher - also, was davon übrig war. Die gaben mir frei, damit ich das Testament des Staatsrates nach Luring und zu seiner Familie bringen konnte. Und dann war ich in Elenvina, dann wieder in Luring und habe Seine Hochwürden schließlich hergebracht. Ich wusste nichts …«
»Er wusste es auch nicht. Praiodan, meine ich«, warf Manegold ein. »Es hätte ihn gewiss glücklich gemacht. Allerdings, was Halva nun macht ...«
»Was macht sie denn?«, fragte Werdan nach.
»Sie hat ihren Austritt aus der Kirche erklärt. Sie hat alle Insignien der Lichtbringer abgelegt, das Szepter und die Sphärenkugeln, den Bund aufgelöst und ist in den Laienstand zurückgekehrt«, erläuterte Manegold betrübt.
»Ach deshalb trug sie das Ornat nicht mehr! Ich dachte, es wäre wegen der anderen Umstände gewesen. Ihr müsst wissen, sie redet nicht sehr viel, seit … Eigentlich kaum ein Wort in der ganzen Zeit. Nur Schweigen.« Herr Werdan nahm den Glühwein entgegen, den ein Diener eben brachte, und schenkte seinen Gästen zwei Becher aus dem dampfenden Krug ein. Dann nahm er den Faden wieder auf: »Ich habe den Grafen brieflich in Kenntnis gesetzt, dass die Familie Zuwachs bekommt. Ich musste ja auch wissen, ob sie weiter hier wohnen durfte.«
»Und?«, fragte Gsevino neugierig.
»Sie darf, solange sie will. Graf Danos sprach von einem Versprechen oder so.«
In diesem Augenblick kam eine Magd in die Stube, ganz aufgeregt: »Es ist ein Junge, gesund und munter!«
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