Geschichten:Saat und Ernte - Wer ist würdig, dir nachzufolgen?

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Trollpforte, 25. Ingerimm 1021 BF

Im Lazarett der Kaiserlichen liegen die Verletzten auf Tragen, auf Feldbetten, auf Deckenlagern und auf dem Boden. Sie stöhnen und schreien, schluchzen und wimmern, kreischen und fluchen - und schweigen. Um jene kümmern sich die Boronis, die wie stumme Raben über das Erntefeld der Schlacht eilen. Dazwischen eilen die Feldscher und Medici, die Therbuniten und freiwilligen Helfer herum, versuchen, die Wunden zu versorgen, die in der größten Schlacht der Neuzeit dem Einzelnen widerfahren sind. Einige sind so arg dran, dass man sich wünsche würde, der schnelle Tod auf dem Schlachtfeld hätte sie ereilt.

Die Zelte stinken vor Dreck und Blut, Exkrementen und Ausscheidungen - der Eiter und die Fäulnis werden erst noch folgen. Doch mancher, dem eine Flammenlanze den Arm verbrannt oder den Schenkel versengt hat, riecht so appetitlich wie ein saftiger Braten. Und das ist noch schlimmer als aller Dreck des Lazaretts.

Hier lag Ritter Wellmar von Luring-Mersingen, das Haar blutig verkrustet, das eine Auge matschig, das halbe Gesicht weggerissen. Der tiefe Speerstich in die Seite wirkte harmlos gegen die Zerstörungen, die das ebenmäßige Antlitz des jungen Ritters zerstört hatten. Sein Atem ging flach und stoßweise. Der Medicus hatte schon angedeutet, dass jede Hilfe zu spät kommen würde - jetzt, wo die Magier oder die Geweihten die Kraft nicht mehr hätten, sich dem kleinen Ritter oder gar dem einfachen Soldaten zu hinzuwenden. Es war niemand hier als der entfernte Verwandte Ritter Wellmars, ein Vetter soundsovielten Grades, den der junge Knappe aber bereits »Onkel« gennant hatte: Graf Danos von Reichsforst hielt die Hand des sterbenden Jünglings, und Tränen verschmierten den Dreck und das Blut, das des Grafen Gesicht bedeckten. Ein Schnitte verlief schräg über dessen Stirn, aber er achtete dessen nicht.

»Ach Wellmar, du Feiner. Was wird dein Vater nur sagen, wenn er dich sähe? Ich bete für dich, alles wird gut. Sag jetzt nichts. Ich werde dir Wasser bringen«

Wie aus dem Nichts wurde dem Grafen ein Krug mit Waser gereicht. Er nahm ihn, setzte ihn dem jungen Mann an die Lippen, doch sinnlos verrann das kühle Nass rechts und links von dessen schlaffen Rippen.

»Requiescas in pacem, Wellmar«, sprach jener, der den Krug gereicht hatte. Graf Danos blickte auf und in das abgekämpfte, bleiche Gesicht seines Vetters Praiodan. Dem hing das Ornat in Fetzen vom Leib, der linke Ärmel war braun von geronnenem Blut, der Arm hing schlaff herab.

»Praiodan! Wie ist es …?«

»Es ist gut. Ich war bei den Landwehren, die Garetier hat es schwer erwischt. Die Mehrheit ist gefallen. Die Nordmärker bergen noch immer Verwundete vom Schlachtfeld. Und dir?«

»Es ist nichts. Von meinen Rittern einige gefallen, Baron Zornbrecht auch. Wellmars Tante …«, Danos schluckte. »… und Wellmar.« Ein Schluchzen entwand sich der Kehle des Grafen. »Es ist so dunkel hier, Praiodan, zu dunkel. Kannst du ihm nicht helfen?«

»Nein, Vetter, ich heile keine Wunden, ich füge sie zu. Außerdem habe ich Praios, gelobt in alle Zeiten, heute schon zu oft um Hilfe gebeten; ich kann nicht mehr.« Mit diesen Worten ließ er sich nieder, und Seite an Seite bewachten sie den sterbenden Leib ihres Verwandten, dem das Leben tröpfchenweise entwich.

Es waren Stunden vergangen, meinten die beiden jedenfalls, als Praiodan erneut das Wort ergriff: »Vetter, erinnerst du dich noch des zweiten Versprechens, das du mir in der Marktstube Rubreths gabst?«

»Natürlich«, antwortete Graf Danos matt. Die Stunden um Stunden der Befehlsgewalt in vorderster Front hatten viel Kraft gefordert - von der Zeit der Lichtferne in der Nacht ganz zu schweigen.

»Ich muss dich nun daran erinnern.«

»Warum?«

»Weil Wellmar von uns geht. Ich habe eben noch einmal versucht, den Götterfürsten um sein Leben anzuflehen, aber ich finde kein Gehör. Er ist dem Tode näher als dem Leben und hört wahrscheinlich die Flügel Golgaris schon schlagen.« Praiodan schwieg kurz betreten. »In Halvas Visionen von der Zukunft - der Zukunft, die dem Herzen des Reiches beschieden war - hatte Wellmar eine bedeutende Rolle gespielt. Aber diese Zukunft ist nun Vergangenheit.«

»Was meinst du?«

»Wellmar geht von uns und mit ihm alle Hoffnungen, die wir in eine Zukunft mit ihm an der Spitze Reichsforsts hätten setzen können.«

»Wieso Wellmar? Er ist Odos Sohn, nicht meiner! Ich …«

»Wo ist Drego, Vetter?«

»In Gareth.«

»Ederlinde

»Im Kindbett, Vetter. Sie hat meine Enkelin geboren, bei Praios! Hätte sie hier sein sollen? Immerhin hat mein Schwiegersohn hier gefochten!«

»Aber Drego nicht.«

»Nein, Drego nicht. Na und?«

»Vetter Danos, ich weiß, dass du ein guter Vater bist, ich habe es selbst gesehen. Und ich habe auch schon gute Söhne gesehen. Aber hier …«

»Was verstehst du schon von Söhnen, Praiodan?«

»Nur so viel, Vetter: Du hast geschworen, dass du dem Haue Luring die Herrschaft wirst bewahren helfen! Und aus den Visionen Halva Selissas weiß ich, dass die Zukunft des Reiches sich nur zu einem Guten wenden wird, wenn das Haus Luring weiterhin in Reichsforst herrscht. Doch nicht mit irgendeinem Vertreter dieses Hauses! Danos, geh in dich und suche nach der Antwort auf die Frage, wer würdig ist, dir nachzufolgen! Wer?«