Geschichten:Schäumende Wasser - Ein Wink mit der Roten Hand I
Baronie Gnitzenkuhl, Rothandfelsen am Darpat, 30. Travia 1043 BF
Trotz, oder gerade wegen solchen Zeiten, in denen im zentralen Garetien die Fehde tobte und sich die Perricumer finstere Geschichten über ihren alten Freund, den Darpat, erzählten, suchten sie die Nähe zu den hohen Mächten und Mythen der Vergangenheit, die sie mit dem Land und ihren Urahnen verbanden. So hatte sich eine große Traube aus Menschen am Rothandfelsen gebildet, der zwischen ihnen und dem dieser Tage missmutig beäugten Fluss aufragte und ihnen das Gefühl von Schutz gab. Denn heute jährte sich der Tag des Zeichen Korgonds zum dritten mal, damals hatten sich die Wasser am Felsen rot gefärbt und so vom Wiedererscheinen Korgonds gekündet – was letztendlich zu einer neuen Blüte von alten Legenden und dem großgaretischen Rittertum geführt hatte. Seit dem letzten Jahr hatte der Tag enorm an Bekanntheit und Beliebtheit gewonnen, als der großfürstliche Prinz und sein Fuchsrudel – Jünger Korgonds und dieser Bewegung - Perricum und vor allem den Rothandfelsen besucht hatten. So waren dieses Jahr noch einmal bedeutend mehr zum Felsen gepilgert.
Vielleicht, weil auch einige Vertreter der Kirchen der drei lieblichen Schwestern aus Rashia'Hal und Dreitempelhof ebenfalls tsagefällig neugierig dem Ruf des Felsens gefolgt waren, da sich doch eben seit einem Jahr das Bild der drei betenden Schwestern am Rothandfelsen langsam bei den Pilgern etabliert hatte. Anfangs noch etwas zögerlich, hatten sich diese der Feierlichkeit angenähert. Die zwölfgöttlichen Kirchen standen dem aufstrebenden Korgond-Mythos eher skeptisch gegenüber, gründete sich dieser doch auf längst vergangene, archaische Legenden und Praktiken. Dieser Mythos berief sich gar auf Prinzipien wie Herrschaft und Rittertum, welche nicht gerade den Grundsätzen der Schwestern Rahja, Peraine und Tsa entsprachen. Dennoch sprachen Verfechter und Anhänger dieser Bewegung auch von der Einigkeit, der Eintracht und dem Land – das vor allem den Perrinländern soviel Geschichten, Freude und Gaben schenkte.
So konnte man nun schon, als man sich zu der Traube aus andächtig am Felsen umherwandernden, demütig gewandeten Menschen zwischen den kleinen geschmückten Zelten und einem neuen und kleinen aus Findlingen aufgestapelten Altar begab, neben den vielen freudigen Gesichtern einige Geweihte der göttlichen lieblichen Schwestern erblicken. Diese mischten sich unter die Leute, sprachen angeregt mit den Angereisten über die Lieblichkeit des Lebens, das reich beschenkte Land oder beruhigten diejenigen Pilger, welche sich doch besorgt um den Darpat und die Abwesenheit der Efferd-Kirche zeigten, welche derzeit den unheimlichen Geschehnissen nachgingen, von denen man hier, im Schatten des Rothandfelsens, nichts wahrnahm.
Der Moment hatte eine ganz eigentümliche Stimmung von Aufbruch, dem – wie dem ganzen Mythos - der Geruch von Edelmut und von etwas Neuem anhaftete. Was natürlich besonders die Geweihten der Tsa schnell von ihrer Skepsis befreit und in den Bann gezogen hatte und einige von ihnen sich beschwingt den Ritualen um den Felsen hingaben, der ja ohnehin auch den Zwölfgöttlichen Kirchen zu Feiertagen als Versammlungsort bekannt war. So tummelte sich nun eine äußerst vielfältige Schar um den mit roten Handabdrücken verzierten Felsen, man erzählte sich Geschichten der Perricumer Lande und harrte gemeinsam vergnügt-andächtig, bei typisch Perricumer Speis und Trank dem Moment der Zeremonie.
So schlenderte auch der Landedle Tamin von Cardebas - vom Weine geschwängert und durch die fröhliche Erhabenheit des Fests beschwingt - durch die Menge, lauschte den Gesprächsfetzen und hielt Ausschau nach bekannten Gesichtern, die an diesen Tagen in illustren Gruppen angereist waren um sich dem Mythos des gesegneten Landes hinzugeben. Von leise wispernden Stimmen aus der Menge vernahm Tamin das Gerücht, der Großgaretische Almosenmeister würde dem Felsen seine Aufwartung machen und als Höfling wusste er nur zu gut, dass auch der Seneschall die markgräflichen Knappen ebenfalls auf eine Mission hierher befohlen hatte.
Welch illustre Gesellschaft sich doch am Rothandfelsen versammelt hatte! So hatte sich gar der in der Reichsstadt lebende Edle Astaran von Pfiffenstock so weit 'aufs Land' hinaus begeben und beobachtete mit wachem Blick die Szenerie. Bei ihm untergehakt hatte sich seine Mutter Haldana von Rotfurt, die den Besuch ihrer alten Heimat sichtlich genoss. Neben dem Edlen schritt dessen Tochter Sheriane. Die Gemahlin des ungemein eloquenten und sehr untypischen Nebachoten war hingegen nicht zugegen. Ein Umstand, der Tamin wenig überraschte, war es in der Reichsstadt ein offenes Geheimnis, dass sich Sheriane und ihre Stiefmutter nicht verstanden.
Weiter fiel Tamins Blick auf die beiden Edelmänner Ramin Eorcaïdos von Aimar-Gor und Hamedan von Waraqis. Die Hausritter des Barons von Dürsten-Darrenfurt amüsierten sich augenscheinlich prächtig. Mit einem Weinkrug in ihren Händen schlenderten sie gemächlich aus dem aus bunten Stoffen bestehenden Zelt einer Seherin heraus. Offenbar hatte ihnen die runzelige, alte Frau eine goldene Zukunft geweisssagt. So golden, wie auch die Entlohnung für solcherlei Weissagung, wie Tamin glaubte. Er war sich nicht sicher, ob die beiden Ritter aranischer Herkunft im Auftrag ihres Barons zu den Rothandfelsen gereist waren, oder ob ihr Besuch privater Natur war. Letzteres war es, was sie den anderen Gästen weismachen wollten, da hatte Tamin keinen Zweifel.
Interessant war es auch, wer nicht zu diesem Fest erschien: So war Baronin Geshla von Gnitzenkuhl diesem Spektakel fern geblieben. An ihrer statt schickte sie ihren ersten Hausritter Hlutharion von Sturmfels, der mit ernster Miene seinen Blick durch die anwesenden Menschenmassen gleiten ließ. Um die Person der Baronin von Gnitzenkuhl war es in letzter Zeit auffällig ruhig geworden. Sie zeigte sich nur noch selten in der Öffentlichkeit. Auch war ihre Stimme, was Angelegenheiten außerhalb ihrer Baronie betraf, vollkommen verstummt. Auch Tamin war seiner Lehnsherrin schon lange nicht mehr begegnet. Audienzgesuche seinerseits wurden von der Friedburg mit dem Verweis abgewiesen, die Baronin müsste sich um ihre Kinderschar kümmern. Sicherlich ein Vorwand, da war sich Tamin sicher. Bestimmt hegte die Baronin noch immer einen Groll gegen seine Person, denn der Markgrafenhof hatte mit seiner Belehnung zum Landedlen zu Mittstätten Baronin Geshla übergangen.
Ein weiterer Vasall 'seiner' Baronin erregte Tamins Aufmerksamkeit. Der für seinen Kunstsinn bekannte Ritter Anshelm von Mistelstein stand an einem der vielen bunten Teezelte und plauderte, lässig an einem Stehtisch gelehnt, mit dem Magier Thamian de Vargas und der Gelehrten Sariana Grimmbart. Auf dem ersten Blick eine Zusammenkunft von Hesinde gesegneter Geister, doch der zweite Blick offenbarte mehr. De Vargas war der Vormund für Romin von Tikaris, dem Sohn des abgesetzten Barons von Wasserburg und stand in offener Gegnerschaft zu der neuen Baronin Korhilda von Sturmfels. Die Gelehrte Grimmbart war Vögtin von Sahabur in der Baronie Haselhain und inoffizielle Gesandte der Familie Zweifelfels in Perricum, der beste Verbindungen zur Haselhainer Herrscherfamilie Pfiffenstock nachgesagt wurden. Bildete sich vor dem Teezelt mit den vielen Wimpeln in den Korgonder Farben Blau und Gold etwa eine neue Allianz? Doch nun sollte etwas anderes Tamins Aufmerksamkeit erregen.
Sein Bart war mittlerweile zu einer beachtlichen Marke heran gewachsen und auch sonst mache Ucurian von Sturmfels, eine beeindruckende Figur in seinem einfachen Gewand. Dieses war verziert mit den Farben und den Symbolen des Sturmfels, reines weiß, zurückhaltend kontrastiert mit wenigen roten Applikationen - Sparren und Hippogreif. Ucurian sah den Sparren als eine Art Dach, das Schutz und Geborgenheit bot, der Hippogreif war ein Symbol für die Verbundenheit von korgondgefälligen, heiligen Land und göttergefälligem Alveran. Welches sich in seinen nicht etwa widersprach, sondern nur logisch war, auch wenn das viele der zwölfgöttlichen noch nicht sehen wollten, wenngleich er auch die Geweihten der drei lieblichen Schwestern hier am Darpat als gutes Zeichen verstand. Doch gerade ob der Skeptiker trug er auch voller Stolz das Wappen des großfürstlichen Fuchsrudels und damit Korgonds bei sich auf einer weißgoldenen Schulterplatte - welche seinen stattlichen Auftritt nur noch verstärkte.
Der beindruckende Ritter und Baron bahnte sich zusammen mit seinen Getreuen Begleitern Junivera und Ronderich von Sturmfels, seinem Knappen Falkwin und weiteren, einen Weg durch die Feiernden. Er erkannte einige - bekannte und weniger bekannte Gesichter wieder, doch erschienen sie ihm beinahe wie aus einem anderen Leben. Natürlich war er für diese Feierlichkeit in die Niederungen Perricums gestiegen, fort von seiner Bestimmung, doch dieser Tag war etwas Besonderes. Mit einer Gefühlsmischung aus Erhabenheit, Gleichmut und Skepsis blickte er über die vielen Pilger und Feiernden. Korgonds warf mittlerweile einen unübersehbaren und mächtigen Schatten auf das Land, es nahm seinen rechtmäßigen Platz ein, doch verkam es schon jetzt zu halbwisserischer und vager Folklore bei den einfachen Leuten. Doch wie sollten diese auch die wahre Größe und Kraft des korgondschen Landes verstehen, sie hatten sie nicht gesehen, es sei denn gar gespürt. Nur geweihte Mitglieder der Kirchen konnten dieses Gefühl eventuell nachvollziehen, wenn eine derartige Macht einen geküsst hatte. Doch auch sie ahnten nicht wie sehr Land und Götter sich ebenbürtig gegenüber- und nahestanden.
Heroisch anmutend und gestützt auf den Schaft seines viergeteilten Banners in rot-silber und blau-gold stand er dort und merkte gar nicht wie die Leute ihm verstohlen Blicke zuwarfen. Seine fast entrückten Gefühle und Gedanken ebenso wie seine Gefolgschaft schirmten ihn davon ab - er spürte, heute würde etwas Großes geschehen - würde Korgond ihnen erneut ein Zeichen senden? Würde es ihnen zeigen, warum der Darpat, als Teil des Landes und einendes Element Perricums, seit geraumer Zeit schäumte und sich aufbäumte? Waren die drei betenden Schwestern ein weiteres Zeichen dafür? Soviel hatte er seinen Träumen und verschiedensten - oft winzigen - Zeichen gesehen, doch nur wenig davon in Einklang bringen können. Ein weiterer Grund, hier zu sein.
Während ihr Baron und/oder Oberhaupt dastand wie eine lebendige in Form geschlagene Salzsäule, behielten seine getreue Junkerin Junivera, sein Anverwandter Ronderich, sowie seine acht Knapp*innen einen losen Kreis um ihn und behielten locker das Geschehen im Auge oder unterhielten sich, wie der Blondschof Borowin, Asterian von Zolipantessa und Duridanya von Sturmfels.
Diese hatten eine kleine Gesandtschaft aus dem haselhainschen beobachtet, bei denen ihnen besonders der Studiosi des Hesinde-Kollges auffiel, der die Gebräuche hier auf dem Fest pedantisch auf einen seiner Pergamente festhielt anstatt sich ihnen hinzugeben. Aber auch viele der anderen bekannten Gesichter hier beschäftigten sie ihn ihren Gesprächen. Wie zum Beispiel die auffällig zahlreichen Mitglieder der Familie Alxertis, nicht selten nah bei den Haselhainern - eine von den Alxertisern fiel ihnen besonders ins Auge. Das junge Ding hielt sich etwas ver- oder eingeschüchtert immer im Schatten ihrer Mutter Rondrara - Vögtin und Erbin Goldackerns - auf, die gerade mit ihrem greisen und doch noch recht rüstig wirkenden Verwandten Aurelian, einem Geweihten der Rahja, ein Gespräch führte. Die kleine war ihnen ins Auge gefallen, da sie in ihrer gesamten Schüchternheit irgendwie erschien, als würde sie ganz allein an diesem Ort sein und als würde sie zwischen all den Leuten hindurchsehen können oder wollen und etwas völlig anderem lauschen als den Tönen des Festes. Doch abrupt wurden sie aus ihrem geflüsterten Gespräch darüber gelöst, als sich ihr Schwertvater plötzlich aus seiner starren Erhabenheit löste um dann vorsichtig auf die Alxertiser zuzusteuern. Die dort in der Nähe des Felsens standen und wie viele auf die angekündigte Ansprache warteten.
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Ein Wink mit der Roten Hand II. | ▻ |