Geschichten:Schattenzug – Handelsreisende
Jagdgut Auenhain, Kaiserlich Gerbaldsmark, Anfang Rahja 1040 BF:
Dies sind die Aufzeichnungen von Ereignissen, die nicht niedergeschrieben werden sollten, denn vor dem Auge Deres gehören sie verborgen. In den offiziellen Einträgen der emsigen Archivare des Königreiches wird der Suchende nichts von dem Folgenden erfahren. Ich bin mir sicher, mein Herr wird diese Zeilen, die ich für ihn niederschreibe, nach seiner Durchsicht dem Feuer übergeben.
Ich habe noch die Worte meines Vaters im Ohr, der mir auf den langen Gängen Gerbaldsaues zuflüsterte 'List ist eine großgaretische Tugend mein Junge, vergiss das nicht'. Nun, auch wenn ich selber sicherlich nicht als Ritter welcher Couleur auch immer gelten mag, denn ich habe nie einen Ritterschlag empfangen, so ist es doch die List die mir von den Rittertugenden wohl am nächsten steht.
Der erste Tag unseres geheimen Auftrages begann noch vor dem ersten Hahnenschrei. Zu früh für mich, denn als ich schlaftrunken die schmale Treppe von meiner Schlafkammer nach unten runter wankte, verlor ich das Gleichgewicht und stürzte. Das Ergebnis war eine stark blutende Platzwunde an meiner linken Schläfe, auch fühlte ich mich etwas benommen. Die mitleidigen Blicke von Sibella und Deromir trieben mir die Schamesröte ins Gesicht. Ich, als Jüngster dieser Verschwörung – ja, denn nur so konnte man benennen was wir taten – verhielt mich gleich zu Anfang wie ein Tölpel. Die abschätzigen Blicke der anderen waren wir nur zu bewusst, besonders die von den Höllenwaller Söldnern. Dabei wollte ich doch nur, dass mein Herr Stolz auf mich ist. Dieser Magier aus Waldstein nahm mich gleich zur Seite und begutachtete die Wunde genau. Seine Nähe machte mich unruhig, ich konnte aber nicht begreifen warum. Er war von großer Statur, hatte lange, seidig-weiße Haare und elfisch anmutende, alterslose Gesichtszüge. Sein Äußeres war nicht ohne Anmut und durchaus von Rahja gesegnet, doch seine Augen wirkten kalt. Vielleicht fühlte ich mich deswegen unwohl. Er rieb mir eine übelriechende Salbe auf meine Wunde und gab mir Weidenrindentee zu trinken, der schmeckte, als käme er von einem Ort eines Tieres, den ich nicht näher benennen möchte. Der Tag hatte für mich wahrlich nicht gut begonnen. Dennoch, Tee und Salbe taten ihren Dienst, denn mir ging es schon sehr bald wieder besser.
Ansonsten verlief alles nach Plan. Der Ehrensteiner achtete peinlichst genau darauf, dass unsere kostbare Fracht sicher in den Wagen verstaut wurde. Die junge Magierin aus St. Ancilla sicherte sie noch zusätzlich auf magische Weise. Es war schon ein tollkühner Plan, den mein Herr mit seinen Mitverschwörern ausgeheckt hatte. Die halbes Dutzend Wagen waren abfahrbereit und während ich diese Zeilen niederschreibe, kletterten die ganz in schwarz und ohne erkennbare Erkennung gekleideten Höllenwaller Söldner und Waldsteiner Bogenschützen der Thara`dir auf die Wagen und verschwanden in ihrem Inneren. Von Außen betrachtet waren wir ein einfacher Handelszug, wie es derer unzählige im Herz des Reiches gab.
Die Väter und Mütter dieser Verschwörung konnten freilich nicht hier sein, denn sie begleiteten den offiziellen Spendenzug. Malepartus von Helburg, nunmehr ein enger Freund und Verbündeter meines Herren, hatte seinen weitläufigen Verwandten Mortas als seinen Verbindungsmann für unsere Unternehmung bestimmt. Diese grobschlächtige Söldnernatur war, wie alle Helburger die ich bislang kennengelernt habe, von furchteinflößenden und wenig ansehnlichen Äußeren. Er erinnerte mich an einen dieser monströsen Höllenwaller Bluthunde. Ich traue diesem Mann nicht über dem Weg. Ganz anders der Vertraute von Leomar, dieser Edorian von Feenwasser war von einnehmenden Wesen und stets freundlich. Er verbrachte viel Zeit mit diesem weißhaarigen Magier. Auch war er oft im Umfeld des jungen Garether Patriziers Linnert Munter zu sehen. Dieser war für die logistische Organisation des Wagenzuges zuständig. Ein unerschrockener Händler, der die Ostmarken gut kannte – und auch die Schwarzen Lande wie man sich erzählt. Wie es scheint, befinden wir in besten Händen.
Denn der Munter macht einen kompetenten Eindruck. Trotz seiner jungen Jahre hat er alles gut im Griff und lässt sich selbst vom Höllenwaller Kettenhund nicht einschüchtern. Ich muss gestehen, sein selbstsicheres und bestimmtes Auftreten imponiert mir. Er ist von großen, kräftigen Körperbau, seine hellblonden Haare trägt er halb lang und kaum gebändigt, was ihm einen verwegenen Ausdruck verleiht. Und erst diese Augen, diese leuchtenden eisblauen Augen, die ziehen einen wahrlich in seinen Bann. Ich bin mir sicher, er hat meine verstohlenen Blicke schon wahrgenommen, denn er wirft mir immer wenn wir uns begegnen einen schelmisch-kecken Blick zu, der mich immer wieder aufs neue bis ins Mark erschaudern lässt. Weh mir, ich spüre Begehren in mir aufsteigen, doch will ich mich einzig und allein auf meine Aufgabe konzentrieren, aber ich merke, wie es mir zusehend schwerer fällt.
Ich werde nun meine Schreibutensilien verstauen und ebenfalls im Bauch eines der Wagen verschwinden. Unser Tagesziel ist Gut Achenpflock.