Geschichten:Schmerzen und Glück - Das erste Licht
Sie hütete die Waffe wie einen kostbaren Schatz. Es war ungewöhnlich, dass sie – ausgerechnet sie! - eine Waffe trug. Immerhin war sie Priesterin der lieblichen Travia. Doch Schwester Alrike hielt das in seine Scheide geschobene und in ein Leinentuch gewickelte Schwert fest umklammert, als fürchte sie, es könne ihr abhanden kommen.
Doch der tapfere Ritter hatte es ihr gegeben und sie in seinen letzten Atemzügen gebeten, es zu hüten, zu bewachen und dann der Edlen Traviadane von Rothammer-Gorsingen zu Syrrenmaar zu übergeben. Alrike hatte einen Eid auf Travia, die Mutter des Herdfeuers geschworen, dem Ritter diesen letzten Gefallen zu erfüllen.
Als das letzte Wort ihres Dankes verklungen war, hatte er, blutüberströmt, der linke Arm zerfetzt und die Bauchdecke aufgerissen durch die Hiebe eines Unwesens, die Augen geschlossen. Golgari hatte ihn zu sich gerufen.
Schwester Alrike war eine der Priesterinnen, die diesen Flüchtlingszug begleiteten. Der Zauberer – der noch eine Zeit lang mit ihnen geritten war – hatten ihnen geraten nach Maarblick zu gehen. Gerade einen Tagesmarsch von Gareth entfernt würden die Flüchtlinge dort Geborgenheit finden, hatte er ihnen versprochen. Und dorthin waren die gut sechzig Garether unterwegs. Und Alrike hatte noch einen wichtigeren Auftrag. Sie sandte ein stummes Gebet für den Ritter zu Boron und presste das Schwert an sich.
[ Im Gorsinger Haus ]
Der Tag war weit vorangeschritten, die Sonne stand schon tiefer am Himmel. Die
Vorbereitungen für das Eintreffen der Flüchtlinge waren schon abgeschlossen. In
der Alten Scheuer des Grumbaldshofes waren genug Decken und Strohsäcke für eine
ganze Armee, ein großer Kessel mit Brotsuppe stand auf einem Feuer und kochte
vor sich hin, während der Koch des Junkers dafür sorgte, dass noch Brot und
Butter bereitgestellt wurden. Ritter Ailgrimm überwachte den reibungslosen
Ablauf auf dem Grumbaldshof. Er hatte einige der ferinsteiner Schützen
abgestellt, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen, sobald die Flüchtlinge
eingetroffen waren.
Der Weidener hoffte es zwar nicht, aber er wollte nicht, dass dem treuen Bauern Rodeger ein großer Schaden entstand. Während also Ritter Ailgrimm mit seinen Schützen bei der Alten Scheuer stand, waren Vater Halburg und der Edle Greifmar wieder zurück aus Maarblick.
Traviadane, Greifmar und Tirus saßen mit Vater Halburg und Aidaloê im großen Wohnsaal des Gorsinger Hauses. Eine dralle Dienerin tischte den Herrschaften Wein, Wasser und knuspriges Brot mit kalten Braten- und Geflügelscheiben auf. Dankbar griff Greifmar mit seiner feinen Hand eine Scheibe des dunklen Brotes und aß diese schlichte Köstlichkeit. Seit Stunden schon verzehrte er sich nach etwas zu essen und ähnlich ging es auch dem alten Priester der Peraine. Zwischen den einzelnen Bissen berichteten sie abwechselnd von den Geschehnissen und insbesondere den Vorkommnissen in Maarblick.
Greifmar sah seiner Tante in die Augen. „Der Hauptmann der Bürgerwehr Haldan Fuchsen wird die Bürgerwehr ausheben. Maarblick verschließt zwar noch nicht seine Tore, lässt aber die Wachen an den Toren verstärken. Auf jeden Fall ist es bereit, für weitere Flüchtlingsströme, so welche zu erwarten sind.“
Auf diese unterdrückte Frage antwortete seine Tante. Sie sah ihren Weinkelch weiter auf den Tisch und nickte.
„Ein berittener Kundschafter meldet einen Flüchtlingsstrim aus Gareth, der in nicht allzuvielen Stunden das Gorsinger Haus erreicht haben wird. Weitere Gruppen marschieren die Reichsstraße entlang gen Efferd. So wie es aussieht, werden sie Syrrenholt verlassen und in Richtung Luring weiterziehen.“
Traviadane saß neben ihrem Sohn Tirus und hielt seine Hand fest umklammert, als fürchte sie, er könnte auch irgendwie im nächsten Augenblick verschwunden sein. Ihre Augen waren von Tränen gerötet und ihr Gesicht war bleich. Gestern noch war sie eine starke Persönlichkeit gewesen, doch heute hielt sie die Angst und die Trauer um ihre Kinder in eisigem Griff. Doch die alte Edle nahm sich zusammen, sammelte ihren ganzen Willen, um für den kläglichen Rest ihrer Familie da zu sein. Denn noch hatte sie ihren Neffen Greifmar und ihre Nichte Nanduriane, noch hatte sie ihren Sohn Tirus und auch wenn von Lysilla am Arvepass keine Kunde kam, so war dies noch lange kein Zeichen ihres Todes. Traviadane hoffte noch immer, ihre Tochter würde fröhlich in das Zimmer spazieren.
Die Stille der Edlen fiel auch den anderen Teilnehmern dieser Runde auf. Sie spürten die Trauer, die das Herz Traviadanes ergriffen hatte. Doch sie wussten auch alle, dass sie jetzt erst einmal vowärtsschauen mussten – denn es konnte sein, dass irgendwelche Söldnergruppen hier in die friedliche Au einfielen.
Vater Halburg setzte sein Glas, nachdem er einen Schluck Wasser getrunken hatte, wieder auf den Tisch. Er kratzte sich durch den silbergrauen Bart und fuhr sich dann mit der schwieligen Hand über seine dünne Tonsur.
„Die Priester werden die Maßnahmen der Junker von Ferinstein unterstützen...“, erklärte er den Anwesenden und unterbrach damit die kalte Stille des Raumes. Seine Ehrwürden Helmbrech von Baliho wird gemeinsam mit Hauptmann Haldan Fuchsen die Wehr ausheben. Wie mit Seiner Wohlgeboren Greifmar von Weißhammer besprochen...“
Der alte Priester nickte in Richtung des Angesprochenen, was seine Kapuze verrutschen ließ. Mit ruhiger Hand schlug er den Stoff zurück und machte damit wieder sein Sichtfeld frei, „... wie mit Seiner Wohlgeboren besprochen, wird die Bauernwehr vorerst nicht ausgehoben, sondern erst die regulären Soldaten.“
Greifmar bestätigte diese Aussage mit einem Nicken und schluckte den Bissen Geflügelfleisch hinunter bevor er sprach. Er erklärte den Anwesenden, dass die 25 Ferinsteiner Bogenschützen und die 15 Hellebardiere erst ausreichen müssten.
„Gut so, mein Junge“, entgegnete Traviadane mit zittriger Stimme.
„Ich bin deiner Ansicht, Greifmar. Derzeit ist auch Ritter Trautmann von Haderstein auf dem Weg zu Seiner Hochgeboren Erlan von Zankenblatt und er wird Baron Zankenblatt die Situation erläutern.“
Sie schlug kurz die Augen zu um sie dann einen Augenblick später wieder zu öffnen und mit einem melancholischem Blick die Runde zu mustern.
„Der Baron wird, so wie ich ihn kenne, ebenfalls seine Soldaten bereitstellen.“
Und sie kannte den Baron seit vielen Jahren, denn seit vielen Jahren lebte die Tochter eines nordmärkischen Hauses in der Grafschaft Reichsforst. Sie gedachte kurz ihrer Familie in den Bergen. Sie war die letzte, ihrer Geschwister, die noch lebte. Adalar von Rothammer war gestorben, hatte drei Kinder – Loncald, Koradin und Isarma – hinterlassen. Ludmilla war gestorben und hatte vier Kinder hinterlassen – Lucrann, Greifmar, Nanduriane und Isfrid. Und Travidane selbst? Sie hatte vier Kinder geboren – Carolan, Lucardus, Lysilla und Tirus – und wohl nur noch eines wahr am Leben.
// Denke nicht an die Vergangenheit...// schalt sich die Alt-Junkerin selbst.
Tirus spürte, wie die zittrige Hand seiner Mutter fester zupackte, als suchte die alte Frau Halt und Sicherheit.
//... denke an die Zukunft.//
Die grauen Augen richteten sich auf ihren einzigen verblieben Sohn. Sie waren feucht, doch Traviadane begann nicht wieder zu weinen. Tirus erwiderte diesen Blick, drückte die Hand seiner Mutter. So wie sie zwei Söhne an die dunklen Horden verloren hatte, hatte er zwei treue Brüder verloren.
Es klopfte an der Tür zum Saal. Eine Dienerin trat ein und verbeugte sich kurz.
„Ritter Trautmann ist zurück von Herrschaftlich Zankenblatt, er bringt eine Botschaft von seinr Hochgeboren Erlan von Zankenblatt. Und eine Priesterin der Travia aus Gareth mit dringender Kunde für Ihre Wohlgeboren Traviadane Ivetta von Rothammer-Gorsingen zu Syrrenmaar.“
Die junge Maid hatte sich beinahe verhaspelt, ob des langen Namens. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und gewährte dem garethischen Ritter Trautmann Einlaß. Hinter ihm trat eine junge und offenbar sehr erschöpfte Traviageweihte ein, Ihre arangenfarbene Kutte war fleckig und zerrissen, das dunkle Haar aufgelöst. Doch sie strahlte eine Aura der Harmonie aus, dass man deutlich wusste, sie war eine stolze Priesterin. Sie hielt ein langes Bündel umklammert, als sei es ein Säugling.
Umgehend stellte Trautmann seine Reisegefährin vor: „Wohlgeborene Herrschaften, ich kam mit Ihrer Gnaden Alrike Seeberger aus Gareth. Sie war Teil des Flüchtlingszuges und bat mich inständigst, sie zum Gorsinger Haus zu bringen.“
Ohne ein weiteres Wort stürzte die junge Geweihte vor und auf Traviadane zu. Alles starrte wie gebannt auf die Geweihte, wie sie das Bündel enthüllte.
„Ich bringe Euch eine Nachricht von Ritter Carolan von Gorsingen“, stammelte sie dabei und bemerkte nicht, wie Traviadane aufsprang. Dann lag das Bündel frei und Alrike legte es auf den Tisch. Es war ein Schwert – ein prachtvolles Schwert. Die Parierstangen stellten zwei ruhende Panther dar, deren Schwänze sich zu einem gedrechselten Griff verflochten und am Schwanzende einen ebenmäßig rund geschliffenen Saphir trugen. Sowohl die Parierstangen als auch das Heft – nicht aber die lange schmale Klinge – waren geschwärzt. Es war nicht nur irgendein Schwert. Es war Junker Carolans Saphirpanther. Dieses Schwert hatte vor ihm seinem Vater Reto Hagenius gehört und war so von Generation zu Generation an den Erben des Junkertitels Ferinstein vererbt worden – geradezu als Signum dieser Würde. Dass dieses Schwert jetzt hier lag, überbracht von der Traviageweihten Alrike Seeberger, war ein deutliches Zeichen dafür, dass Junker Carolan tot war. Jetzt hielt Traviadane nicht mehr an sich. Sie sackte in ihrem Stuhl zusammen und brach in Tränen aus. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und stammelte unverständliche Gebete. Tirus nahm seine Mutter in den Arm und zog sie an sich, fuhr ihr tröstend durch die Haare. Auch er war den Tränen nahe. Jeder senkte den Blick, jedem waren die Augen feucht. Vor ihnen lag das Zeichen für den Tod des Junkers, des Herrn von Ferinstein. Und ohne Carolan und Lucardus war der Junkertitel von Ferinstein verwaist.
Lange herrschte eine Stille der Trauer im Saal, nur das herzerweichende Weinen der Mutter Carolans war zu hören. Alrike sah auf zu Traviadane und strich ihr dann über das Haar. Leise murmelte sie: „Junker Carolan starb als ein Held. Er verteidigte mich und meine Brüdern und Schwestern im Glauben gegen Dunkle Horden.“
Alrike lächelte, als Traviadane in ihr Gesicht sah.
„Er führte dieses Schwert gegen Dämonen und bewahrte somit unschuldige Leben vor einem grausamen Tod oder schlimmeren. In dem Moment, da er starb – kurz nachdem er mir dieses Schwert gegeben hatte – hörte ich Golgaris Schwingen und ich weiß, dass er nun an Rondras Langer Tafel sitzt, denn der Bote des Boron hat ihn zu IHR gebracht.“
Alrike tastete nach Traviadanes Hand und nahm sie fest in die ihre.
„Er gab mir eine Botschaft für Euch mit. Er sagte folgendes...“ Und in ihrem Geist sah Alrike das Geschehene noch einmal vor sich:
Die Priesterin kniete neben dem schwerst verwundeten Ritter. Er atmete sehr schwer, schwach. Rasselnd pfeifte der Atem durch seine Lungen. Er blutete aus zahllosen Wunden, sein linker Arm, sein Schwertarm, war zerfetzt, seine Bauchdecke aufgerissen. Er würde nicht überleben. Doch sein Wille war noch ungebrochen und aus seinen starken Augen heraus sah er die junge Geweihte an.
„Ich...ich... werde sterben, doch ich ...sterb-... -e... ehren...voll“, raunte er und strich schwach mit seiner rechten Hand durch das Gesicht derer, die er beschützt hatte.
„RONdra ... war mit ... mir. Ich habe ... Gareth nicht ...gerettet..., doch das ...L...Leben Unschuldiger...“
Alrike spürte die Zuversicht des Junkers und wusste, er würde seinen Platz an Rondras Ehrentafel finden.
„Flieht... flieht nach... Maarblick...und ...“
Er verstummte, doch er starb noch nicht. Alrike spürte, wie das Leben aus ihm wich, doch etwas hielt ihn noch hier. Sie sagte nichts, denn sie wusste, er würde alles noch sagen, was nötig war. Sanft strich sie ihm durch das blutverklebte Haar.
„... bring Travia...dane... von Rot...Rothammer...“
Er keuchte, doch er hielt sich tapfer.
„...Gorsin..gen...mein Schwert. Und... und... sage... ihr... ich liebe sie, mei...meine... Mutter... und werde sie... beschützen.“
Alrike nahm das neben ihm liegende Schwert an sich. Sie hasste Waffen, sie fühlte den kalten Stahl in ihrer Hand, doch sie würde das Versprechen erfüllen. Alrike hob die linke Hand, streckte den Zeige- und den Ringfinger zum Schwur aus und sprach feierlich: „Heilige Herrin Travia und Heiliger Herr Praios, segnet diesen Schwur mit Eurem Geiste. Die Worte, die nun gesprochen werden, sollen heilig sein, wie auch ihr Sinn und ihre Bedeutung. Sie werden aus freien Stücken geschworen ohne Dunkelsinn oder Tücke im Geist und euch als Hütern anempfohlen. Wer jedoch diesen Schwur tut, um seine Bedeutung zu verzerren, wer den anderen gegen seinen Willen zwingt oder wer den heiligen Eid schließlich bricht, der sei eurer Strafe anempfohlen.“
Es war, als würde es wärmer. Alrika spürte das Wirken der Göttin in ihr, fühlte eine milde gütige Wärme wie von einem Herdfeuer und roch die Kraft eines Mahles. Auch Carolan spürte die Güte der Göttin und wusste, hier geschah etwas heiliges, etwas göttliches. Travia und Praios würden diesen Eid segnen, ihn heiligen. Friede überkam die beiden, eine friedvolle Ruhe und Sicherheit.
„Ich – Schwester Alrike Seebeger vom Tempel der Travia zu Gareth, schwöre hiermit mit Travia und Praios und vor dem Junker Carolan von Gorsingen als Zeugen, dass ich das Schwert des Junkers Carolan von Gorsingen zu Traviadane von Rothammer-Gorsingen nach Maarblick bringen werde. So ich diesen Eid breche, indem ich mich weigere das Schwert zu der Dame Traviadane zu bringen, so will ich vor Scham stottern, denn Travia und Praios werden mich strafen!“
Sie lächelte, denn sie hatte den Eid geschworen und würde ihn nach bestem Wissen und nach besten Kräften erfüllen. Carolan lächelte schmerzhaft, drückte die Hand, die er immer noch in seiner rechten hielt. Dann ging sein Atem rasselnder, wurde schwächer. Er schloss die Augen und es dauerte nicht mehr lang, und er lag ruhig da. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, war als Held gestorben. Alrike erhob sich und nahm das Schwert an sich. Sie musste es nach Maarblick bringen. Doch zuerst würde sie dafür sorgen, dass diese beiden Helden – nicht weit von Carolan entfernt lag dessen Bruder Lucardus – ein würdiges Begräbnis fanden.
Als Alrike geendet hatte, schloss Traviadane sie in ihre Arme. „Ich danke der Mutter Travia, dass eine IHRER Dienerinnen an meiner Kinder Seite war. Ich danke Euch, Schwester Alrike Seebeger. Ich danke Euch für die Erfüllung Eures Eides. Ich danke Euch.“
Die letzten Worte gingen unter in den Schluchzern der Alt-Junkerin. Alrike drückte die alte Frau fest an sich. Traviadane suchte Halt an der Schulter der Priesterin, der letzten Person, die Carolan lebend gesehen hatte – und ihm Trost gespendet hatte. Alrike streichelte ihr über das Haupt, hielt sie fest in ihrer Trauer, denn die Priesterin wusste, was die Alt-Junkerin ergriffen hatte.
Doch nicht lange, dann erhob sich die Alt-Junkerin mit einem Schluchzer, atmete tief durch, als brächte ihr das die Kraft, die sie benötigte, um sich aufrecht zu halten. Einen Moment lang hatte Traviadane beschlossen, aufzugeben, ihrem geliebten Ehemann und ihren Kindern nachzufolgen. Doch dann hatte sie ein Blick auf ihren Sohn Tirus zurück in die Realität gerufen. Sie hatte noch ein Kind, vielleicht noch zwei für die es sich zu leben lohnte. Mit ruhiger Hand griff sie nach dem Schwert, das vor ihr auf dem Tisch lag, und nahm es an sich. Sie hielt es mit der Hand fest umklammert wie eine heilige Reliquie. Ein schwaches Zittern durchlief ihre Arme, brachte das Schwert zum Zittern, doch mit innerer Kraft brachte Traviadane sich unter Kontrolle.
„Sehet... liebe Freunde und Verwandte...“, brachte sie gepresst hervor, unterdrückte erneut einen Schluchzer.
„Die Gnade der Herrin Travia brachte uns durch IHRE Priesterin Alrike Seeberger das Schwert unseres Herrn Junkers Carolan Lucardus von Gorsingen zu Ferinstein – meines Sohnes.“
Die Anwesenden richteten den Blick auf die Alt-Junkerin, die aufrecht am Tisch stand und mit ernster Miene das verkündete, was sie alle schon wussten: „Mein Sohn und Euer Herr ist tot. Heldenhaft verteidigte er Unschuldige gegen das Böse und fiel ehrenhaft und heldenhaft in diesem Kampf. Niemals hätte er sein Schwert aus den Händen gegeben, es sei denn, er hörte schon Golgaris Schwingen schlagen. Unser Herr ist tot und Ferinstein ist ohne Junker.“
Traviadane senkte den Blick und alles in diesem Raum tat es ihr gleich. Sie gedachten ihres heldenhaft gefallenen Herrn und auch seines Bruders – aber auch der unzähligen anderern Toten dieser grässlichen Schlacht, dieses Gemetzels. Denn obzwar niemand wusste, was genau in Gareth vorgefallen war – niemand außer Schwester Alrike – so konnten sie doch ahnen, welches Grauen über die Reichshauptstadt gekommen war.
Traviadane hob wieder den Kopf und als sie fortfuhr zu sprechen, da taten es auch die anderen. „Mit Carolan fiel auch Lucardus. Von Lysilla am Arvepass ist keine Kunde und nur mein jüngster Sohn Tirus ist der einzige Überlebende.“
Ein liebevoller Blick aus den alten grauen Augen ruhte auf dem Zauberer, der seiner Mutter darauf zärtlich über den Arm strich. „Doch nach Altem Syrrenholter Landsrecht und nach dem Garether Pamphlet – beides wurde und wird von dem Hause Gorsingen von Ferinstein als Praiosgegeben anerkannt – ist Tirus Dracomar von Maarblick als Magus des Bundes vom Weißen Pentagramm nicht erbberechtigt.“
Aidaloê riss ungläubig die Augen auf – die Edle kam jetzt schon auf das Erbe zu sprechen, wo sie das noch von Carolans Händen warme Schwert in der Hand hielt?
Greifmar hingegen nickte ebenso zustimmend, wie sein Vetter Tirus. Die beiden waren realistisch genug, die Lage einzuschätzen und überdies hatten Tirus und Traviadane auch über diese Möglichkeit gesprochen.
Mit nur mühsam unterdrücktem Zittern fuhr die alte Dame fort: „Der Junkertitel über das Lehen Ferinstein, seit altersher in der Hand des Hauses Gorsingen und vererbt vom Vater auf die Tochter und von der Mutter auf den Sohn. Niemals seit den Tagen Angarads von Gorsingens ist diese Linie unterbrochen worden, niemals. Bis heute.“
Traviadane schluckte schwer und presste das Schwert, das bis vor kurzem noch ihrem Sohn gehört hatte, an ihre Brust. „Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir keinen Erben haben, denn die Abkömmlinge der mit den Gorsingen verwandten Häuser Rothammer, Hardenried und Zweifelfels sind nicht erbberechtigt.“
Greifmar sah seine Tante an und nickte zögerlich. Der Rechtskundige kannte seine Position. Er war zwar Vogt, aber hatte keinen Anspruch auf den Titel. Dies hatte nur ein Kind mit dem Blute des Hauses Gorsingen von Ferinstein. Greifmar wusste es in diesem einen Moment noch nicht, doch der folgende sollte nicht nur für ihn eine Überraschung bergen. Denn das Blut des Hauses Gorsingen war mitnichten ausgelöscht durch die dunklen Gewalten der Heptarchen. Unbemerkt von allem, hatte es überlebt. Getragen von einer Greifmar unbekannten Hoffnung zitterte Traviadanes Stimme nun nicht mehr, sondern klang hell und klar wie die einer Bardin durch den Raum des Gorsinger Hauses. Mit sanften Händen legte die Edle das Schwert zurück auf den Tisch und zog die scharfe, tödliche blanke Klinge aus der zerfetzten Scheide. Eine Anspannung lag nun im Raum, eine Anspannung die niemand so recht zu fassen vermochte. Greifmar sah, wie seine Tante tief Luft holte, als schöpfe sie Kraft für einen bevorstehenden Angriff.
Und dann fasste sie in Worte, was niemand so recht erwartet hatte: „Doch das Blut des Hauses Gorsingen ist noch nicht ausgelöscht. Die Erblinie des Hauses Gorsingen ist noch nicht ausgelöscht.“
Die Edle sah, wie sich überraschte, zutiefst verblüffte Blicke auf sie richteten und sie wechselte ihrerseits einen Blick mit ihrem Sohn. Der Zauberer nickte, griff nach der Hand der Greisin und drückte sie fest.
Dann sah sie direkt der Halbelfe Aidaloê Rondriga Maarblicker in die Augen: „Junker Reto Hagenius von Gorsingen zu Ferinstein hinterließ ein Kind. Ein Kind von seinem Blute, das die Eltern seiner Wohlgeboren nicht anzuerkennen trachteten. Doch das Blut ist rein und klar und sie ist eine Gorsingen! Aidaloê Rondriga Maarblicker ist die Tochter Junker Reto Hagenius von Gorsingen und damit die letzte Erbin seines Titels und Lehens!“
Mit diesen Worten, die wie ein überraschender Peitschenhieb in mannigfaltige Gesichter waren, holte sie von ihrem Gürtel eine dicke versiegelte Pergamentrolle hervor und warf sie zu ihrem Neffen Greifmar.
[ Auf dem Gorsinger Hof ]
Er preschte durch das geöffnete Tor des Gutshofes, schweißnass war sein brauner
Warunker, Schaum troff aus dem Mund des schnellen Reittieres. Erschreckt
sprangen Knechte und Mägde des Hofes zur Seite, dann brachte der Reiter sein
erschöpftes Tier mit einer harten Parade zum Stehen und stürzte selber aus dem
Sattel. Direkt vor die Füße Ritter Ailgrimms von Fuchsstein, der mittlerweile
aus der Alten Scheuer zurückgekehrt war.
Ailgrimm packte den Reiter und half ihm auf: „Bei den Zwölfen, was ist Euch?!“ entsetzte sich der Weidener und starrte dem verschwitzten und verdreckten Reiter in das kantige, bleiche Gesicht.
„Söldner!“ keifte er schrill. „Söldner durchstreifen das Land und haben schon Fennhof geplündert!“
Speichelfetzen spie er aus, so erschöpft war er. Kaum einen Moment zögerte der Ritter und wunk zwei Knechte herbei.
„Bringt den Boten in die Küche, bereitet ihm ein Lager und gebt ihm bei Travia etwas zu essen und zu trinken!“
Dann stob er vorbei und rannte in das Gorsinger Haus. Er musste den Herrschaften berichten.