Geschichten:Schwarzer Weg - Dritte Station: Gut Grafenruh – Duell im Morgengrauen
Gut Grafenruh, Sitz des Waldsteiner Grafenhof, Innenhof, 26. Hesinde 1038 BF:
Es war ein grimmiger, ungemütlicher Morgen. Der Wintergott hatte das Land in seinem eisigen Griff. Die ganze Nacht hatte er dicke Schneeflocken geschickt, die den Innenhof in ein Meer von reinem Weiß verwandelten. Auch vor den nun erloschenen Kohlenbecken hatte er nicht halt gemacht. Hatten sie die Nacht über den fröstelnden Wachen ein wenig Wärme gespendet, waren sie nun auch in firungefälligen Weiß gehüllt. Die Praiosscheibe versuchte sich vergebens durch die dichte Wolkendecke zu kämpfen. Einzig die milde Ifirn schien ihren grimmigen Vater etwas zu erweichen, denn es tanzten nun nur noch vereinzelt Schneekristalle durch die Luft.
Das Leben am Hofe erwachte wie an jeden Morgen, doch war dieser nicht wie jeder andere. Praiodan von Steinfelde hatte die Landrichterin Yalagunde von Zweifelfels zum Duell gefordert. Die Nachricht brachte neues Leben in den Grafenhof und so war es nicht verwunderlich, dass an jeder Ecke darüber getuschelt wurde. So versammelte sich der Hofstaat allmählich in dem geräumigen Innenhof des gräflichen Gutes. Landvogt Wulfhelm von Windenstein-Windenbrück hatte sich mit dem Hofkaplan Gutfried von Weißenstein und dem gräflicher Herold Jaroldan von Derrelsbach auf dem Balkon des Haupthauses versammelt. Von hier aus hatte man die beste Sicht in den Innenhof. An ihrer Seite standen, in dicken Pelzmänteln eingehüllt, die erste Hofdame Mechtessa von Luring-Cronenfurt, die Zofe Junivera von Eslamsgrund, sowie die Hofmusikerin Rohalia Olinai von Feenwasser. Umringt wurden sie von den sichtbar aufgeregten gräflichen Pagen Halwart, Feria, Gisberta, Wulfhild und Irian.
Im Innenhof hatte eine Lanze der Waldsteiner Pikeniere unter ihren Kommandanten Gerbrecht von Hasenwaldeck Aufstellung genommen. Auch die gräflichen Hausritter Holberta von Leustein, Hardane von Waidbrod, Ulmia von Mistelhain und Howarth von Fints hatten sich hier versammelt. Begleitet wurden sie von den gräflichen Knappen Raulbrin, Thargrin, Albin, Giselher und Jerodin. Auch die Hausritter der Familie Zweifelfels, die Tags zuvor die Hartssteener Ritter hierher eskortiert hatten, nahmen im Hof Aufstellung. Der erste Ritter Radegund von Luring-Cronenfurt zeigte dabei keine Regung.
Lidaria schaute dem Treiben aus einem der Fenster im Seitentrakt des Anwesens zu. Von hier hatte sie einen guten Überblick über die Szenerie ohne selber zu exponiert zu sein. Sie ließ ihren Blick über den Hof wandern, dann an der Fassade entlang. Hinter den großen, verglasten Fenstern hatten sich ebenfalls ein paar Höflinge versammelt. Offenbar hatten auch andere die Idee gehabt. Sie erkannte Darion von Düllerwüben hinter einem der Fenster im gegenüberliegenden Flügel. Und da, war das nicht der Sohn vom Landvogt hinter dem schmalen Turmfenster? Sowohl Düllerwüben als auch der Windensteiner waren Lidaria Herrin mehr als suspekt und ihr Auftrag war es sie im Auge zu behalten.
Nun betraten die Duellanten den Hof. Yalagunde von Zweifelfels nahm vor der Hausritterschaft ihrer Familie Aufstellung. Praiodan von Steinfelde postierte sich vor der Hartsteener Delegation. Die Landrichterin hatte als Waffe das Schwert gewählt. Die Waldsteiner Pikeniere ließen die Waldsteiner Kriegshörner erklingen. Ihr dumpfer Ton erklang schwer über den Hof und markierte den Beginn des Duells.
Die beiden Ritter hatten bereits ihrer Schwerter gezogen und den rondragefälligen Zweikampf begonnen, als plötzlich mehrere Pfeile blitzschnell wie aus dem Nichts kommend in den Innenhof sausten. Nun ging alles ganz schnell und Lidaria wusste nicht was um sie geschah. Von dem Balkon vernahm sie die Schreie der ersten Hofdame. Landvogt Wulfhelm hatte einer der Pfeile in die Brust getroffen und sackte zusammen. Unten im Innenhof hatte es auch die Knappin Thargrin erwischt und … ja dürfte Lidaria ihren Augen trauen … auch die Landrichterin sackte mit schmerzverzerrten Gesicht zu Boden. Der gespenstischen Ruhe vor dem Kampf war auf einmal hektisches Treiben gewichen. Hofkaplan und Herold schleiften den Landvogt ins Innere des Gutes um ihn vor weiteren möglichen Pfeilattacken zu schützen. Der Hofmagier und Medicus Horbertus Mistrian Gehrendieck eilte zu der am Boden liegenden Landrichterin, während die Waldsteiner Pikeniere und Teile der Zweifelfelser Hausritterschaft ausrückten um die feigen Attentäter dingfest zu machen. Die gräflichen Hausritter kümmerten sich derweil um die Sicherheit der anwesenden Höflinge. Lidaria ließ hektisch ihre Blicke streifen. Von woher kamen die Pfeile? Von einem der Fenster? Nein, das war unmöglich, die Angreifer wären nicht ungesehen geblieben. Wurden die Pfeile von außerhalb des Gutes abgeschossen? Aber warum erreichten sie dann so zielsicher ihrer Opfer? Waren es magische Freipfeile? Viele Fragen und keine Antworten. Als erstes musste Lidaria mehr über den Gesundheitszustand von Landrichterin und Landvogt erfahren, das hatte Priorität.
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