Geschichten:Sembelquast
Im Zederncabinett
An dem hohen, doppelflügeligen Fenster stand in einfacher Robe Garetiens Staatsrat und blickte versonnen in den Garten der Alten Residenz. Prüfend verfolgte er die Arbeit des Gärtners, der gewissenhaft die Gräser und das andere Grünzeug ausrupfte, das zwischen den Gehwegplatten wucherte. ›Ja, diesen Halm auch noch, Renegat‹, dachte Luring gerade, und – als ob er es gehört hätte – blickte der Gärtner sich in diesem Moment ängstlich um, ehe er noch gewissenhafter weiterrupfte, daß es seine Art hatte.
»Exzellenz, können wir fortfahren?« frug Burggraf Alerich von Gareth-Sighelmsmark, während er seinen Kelch mit Wasser füllte. Das ganze Zedernkabinett war versammelt, in eben dem Raum, dem es seinen Namen verdankt. Da der Raum nicht sonderlich groß war, wirkte der ovale Tisch mit seinen hochlehnigen Stühlen um so wuchtiger, zumal in dieser schlechten Luft: Die Hälfte der anwesenden Burggrafen schmauchte an Pfeifen, Ardo vom Eberstamm fügte dem noch den Geruch eines Mannes hinzu, der nach schnellem Ritt direkt vom Pferd zu Tisch gegangen ist, Ginaya von Luring-Gareth setzte Akzente in die andere Richtung, aber ihr Rosenwasser korrespondierte so gar nicht mit des Raulsmärkers Rasierwasser, ganz abgesehen davon, daß Arnwulf von Rabenmund diesen Ziegenkäse mitgebracht hatte, den Burggraf Eran von Gareth mit Verweis auf seine Pfeife – in der er offenbar strohigen Mochorka abbrannte - ablehnte. Luring gab sich einen Ruck, und mit so heftigem Schwung riss er beide Flügel des Fensters auf, daß sich im Raum die Pergamente vom Tisch erhoben und der Rauch in Wirbel gedreht wurde, während im Garten der Gärtner spornstreichs hinter einen Busch huschte.
»Fahren wir fort«, atmete Luring auf, »fahren wir fort! Wo waren wir?«
»Wir haben gerade den Bericht des Wägemeisters von Grambusch durchgesprochen, Herr, hatten die Klage der Pfalzgräfin Zirkevist begutachtet und sind jetzt wieder bei Mühlingen«, gab des Staatsrats Secretair Gsevino vom Prutzenbogen diensteifrig bekannt.
»Mühlingen? Schon wieder Mühlingen? Haben wir das nicht in der letzten Woche abgehandelt? Es gibt doch keine Aufrührer mehr!« entrüstete sich Ardo von Eberstamm.
»Doch!« widersprach Oldebor von Weyringhaus fröhlich, »aber die beiden, die es noch gibt, sind keine mehr, denn sie schaffen wie ehrliche Leut’ im Traviatempel zu Rosskuppel.« Wie die Glieder einer Hand lehnten sich alle anderen Burggrafen gleichzeitig zurück, zogen an den Pfeifen, tranken ihr Wasser – nur Eran von Gareth seinen Wein –, und Ginaya griff sogar nach des Rabenmunders Käse. Was durch des Raulsmärkers Satz eingeleitet wurde, kannten sie schon, sie hatten es bereits dreimal gehört: wie die Schläger, die Oldebors Sohn verprügelt hatten, ausfindig gemacht worden waren, wie sie vor Oldebor geschafft wurden, der sie ›streng‹ gemaßregelt habe, um sie sodann zu nützlicher Arbeit auf zwei Monde in den Traviatempel von Rosskuppel verbringen zu lassen. Ja ja, das kannten sie, und jeder hätte die Geschichte erzählen können – vielleicht nur ein wenig schneller und unterhaltsamer. ›Warum nur haben sie den Sohn durchgebläut und nicht den Vater‹, dachte Luring, schämte sich aber des Gedankens sogleich, griff nach dem Käse des Rabenmunders und bereute auch dies. Unauffällig entließ er die Krümel des Ziegenkäses in sein Schnupftuch, das er Gsevino mit einer wegwerfenden Geste zusteckte, und unterbrach den Vortrag des Raulsmärkers, der sich bereits bei dem Part der Erzählung befand, der die komplette Belehrung der Schläger in ganzer Länge widergab.
»Nein, nicht das Mühlingen, sondern der Mühlingen, unser Marschall.«
»Ach der!« – »Ja, kommen wir zu dem!« – »Was will der denn nun?« usf. griffen die Burggrafen den rettenden Faden auf. Nur Burggräfin Ginaya schwieg und bemühte sich, ihre Grimasse wie ein Lächeln aussehen zu lassen, während sie verzweifelt nach einem Schnupftuch suchte, um den Käse loszuwerden. »Marschall Mühlingen hat die Verleihung des Greifensterns in Silber für die Adeligen beantragt, die die Meilersgrunder Revolte niedergeschlagen haben«, erklärte Luring sachlich.
»Damit soll er zur Königin gehen, die wird ihm ‘was husten!« empörte sich Ardo von Eberstamm.
»Das hat er getan, und ihre Majestät hat die Eingabe an das Zederncabinett verwiesen. Meine Herren, meine Dame ... oh, Domna Ginaya, ist Euch nicht wohl? – Gsevino, reich ihr das Schnupftuch! – Also: Was haltet Ihr davon?«
»Ich schlage vor, wir verleihen den Greifenstern in Bronze. Aber unter der Bedingung, daß ich ihnen den Orden persönlich durch die Ohrmuschel stecken kann«, grummelte Eran von Gareth, während die anderen ihren Collegen bestürzt anblickten. »Naja, vielleicht besser gar keine Verleihung, oder?« gab Eran klein bei und griff nach dem Pergamentschiffchen, das Alaraich von Gareth-Sighelmsmark ihm ‘rübergeschoben hatte.
Luring fuhr fort: »Ich für meinen Teil möchte davon absehen, diese ›Schlacht am Königsweyher‹ mit einem Orden zu ehren. Aber tatsächlich kommen wir nicht ganz umhin, wenigstens das Element der Wiederherstellung der PRAiosgefälligen Ordnung, das dem ganzen innewohnt, zu berücksichtigen: Mühlingen hat – und daran gibt es nichts zu rütteln – einen Aufstand niedergeschlagen. Darum soll er den Greifenstern bekommen, nur er, und auch nur in Bronze.«
»Hat er den nicht schon?« frug Arnwulf von Rabenmund.
»Doch, hat er«, wusste Eran von Gareth.
»Mist!« entfuhr es Ardo von Eberstamm.
»Nun gut, dann kriegt er halt den in Silber«, lenkte Luring ein.
»Den hat er auch schon, wegen Maraskan«, grummelte Eran von Gareth.
»Gut – in der Götter Namen! – dann soll er den goldenen haben!«
»Den bekam er anlässlich der Trollpfortenschlacht.«
»Ach, er hat einen Greifenstern in Gold?« wunderte sich Oldebor.
Ratlosigkeit machte sich breit. Das war jetzt diffizil; dagegen waren die Zollprobleme, Urteilsbestätigungen und Marktrechtsrevisionen ein Kinderspiel gewesen. Gsevino von Prutzenbogen wagte flüsternd von sich zu geben: »Belehnt ihn doch mit irgend etwas.«
»Gsevino!« rief Luring. »Famose Idee! Wie wär’s mit Kälberfeld in Vierok?« »Ich biete Unter-Brackingen in Ochsenblut!« – »Ich die Ruine Fladenstein in der Gerbaldsmark!« – »Nein, nein: Ich hab Köckelsberg in der Halsmark!« – »I wo: Laichenacker in Sighelmsmark!« – »Wie wär’s mit Ehlend in der Alriksmark?« – »Oder Winzingen in der Raulsmark?«
Das Zederncabinett lachte ausgelasen, einigte sich dann aber auf den Titel eines ›Edlen vom Königsweiher‹.
»So, nachdem das geklärt ist, widmen wir uns Osenbrück. Euch ist bekannt, daß die Frage des Besitzums noch ungeklärt ist. Das Reichsrentamt will noch prüfen, ob die Burg gräfliches Allod ist oder Eigengrund der Zweifelsfelser. Solange das nicht einwandfrei bestimmt worden ist, genießt der Orden der Schwerter Nutzrecht. Nun ist aber der Burgherr auf Osenbrück – dieser freche Tiro Aarwulfingen, Seine Gnaden – Geweihter der Leuin und darf als solcher das Lehnsregiment nicht führen. Darum muss ein Vogt bestallt werden. Das macht zwar die Gräfin, eigentlich, aber da Hochwohlgeboren gerade die Blätter im Reichsforst zählt und die Burg sowieso für die Dauer des schwebenden Verfahrens als königlich zu gelten hat, habe ich Verfügung, selbst zu bestimmen.« Luring verzog die Mundwinkel zu einem füchsischen Grinsen. »Und da habe ich mir so gedacht ... warum dem Orden nicht einen wirklich würdigen Vertreter des garetischen Adels an die Seite stellen? Warum nicht gleichzeitig die Familie des zukünftigen Vogtes auf Osenbrück mit der Ehre des Amtes belohnen? Mit anderen Worten: Ich habe des Marschalls Ugo Neffen Giselhold von der Mühlen bestallt, zu Osenbrück zu vogten.«
»War der nicht auch am Königsweiher?« fragte Ardo von Eberstamm nach.
»Ganz recht. Grad drum.«
Und so bezeugte das gesamte Zederncabinett die Urkunde des neuen Vogtes auf Burg Osenbrück, der es sein solle bis zu dem Tage, da die Besitzrechte des Odens geklärt wären.
Damit war die Sitzung des Zederncabinetts beendet, und die würdigen Burggrafen der Garether Mark erhoben sich, um in ihre Lehen zurückzukehren.
Luring hielt den Rabenmunder allerdings noch kurz auf: »Sagt, Dom Arnwulf, was ist das eigentlich für ein Käse, den Ihr da mitgebracht habt? Hm?«
»O! Exzellenz! Eine exquisite Delikatesse! Original Warunker Sembelquast! – Noch vor der Schwarzen Invasion gemacht und seitdem zu voller Blüte gereift. Wo eilt Ihr hin, Exzellenz? Ja, Euch auch noch einen angenehmen Tag.«
(01.03.2002)
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