Geschichten:Sertiser Elfengrotten - Kein Schwein gehabt
Elfengrotten nahe Pfalz Breitenhain, 9. Efferd 1046 BF, nachmittags
Wengel starrte hinab in das finstere Loch.
Der Schweinehirt der Pfalz Breitenhain hatte die pfalzgräfliche Rotte Hausschweine in den nahen Reichsforst ausgeführt, damit sie sich an den Eicheln und Wurzeln des Waldes gütlich mästen konnten. Auch wenn man den Pfalzgrafen bereits seit über einem Götterlauf nicht mehr im Schloss zu Gesicht bekommen hatte, denn die hochwichtigen Geschäfte des Hauses Hartsteen zwangen ihn dazu sich andernorts aufzuhalten (so vermeldeten es die Lakaien vor den wenigen Besuchern und Gästen der Pfalz, während sie in den Diensträumen eher über seine Unlust spekulierten sich in der Nähe seiner Gattin aufzuhalten zu müssen), so oblag es dem Gesinde der Pfalz sich um den ordnungsgemäßen Zustand der Schlossküche zu kümmern.
Der Herbsttag war mild gewesen und Wengel hatte es genossen, am Saum des Waldes zu sitzen und sich von den Strahlen des Praiosmals die Nase kitzeln zu lassen. Der Hirte hatte die Tiere etwas oberhalb auf den Hügel südlich des zarttürmigen Märchenschlosses getrieben und genoss den Blick hinab auf das verschlafene Örtchen Hornbeil. Das Grunzen und Schmatzen nahm er mit halben Ohr wahr, viel mehr achtete er aber auf andere Geräusche des Waldes. Seine Hand ruhte auf der eisenbeschlagenen schweren Keule, mit der er zu vertreiben hatte, was immer sich aus dem Forst an den Schweinen des Pfalzgrafen vergreifen wollte.
Das dumpfe rollende Grollen hatte ihn sofort aufspringen lassen. Wengel hatte es nicht verorten können. Ihm schien es, als sei es um ihn herum, neben ihm und unter ihm. Aus dem gemächlichen Grunzen der Schweine war ein schrilles Quietschen geworden. Dann polterte ein heftiges Donnern durch das Tal. Es folgte völlige Stille.
Wengel wandte sich in Richtung des Waldrandes und schaute sich unsicher um. Er rechnete fest damit, den massigen Körper eines Drachens oder eines anderen schreckenerregenden Monsters aus dem unheimlichen Wald auftauchen zu sehen, so wie es ihm seine alte Muhme als kleiner Bub vor dem warmen Ofen erzählt hatte. Aber die sich verfärbenden Blätter der Bäume blieben ruhig. Langsam ging er auf den Wald zu. Es war weniger Pflichtbewusstsein als Furcht vor der Züchtigung durch der gestrengen Köchin der Pfalz, Walpurga Überdiebreite, die ihn veranlasste nach dem Schicksal der ihm anvertrauten Schweine zu forschen.
Bereits nach wenigen Schritten sah er bereits, was geschehen war. Der Boden hatte sich geöffnet und die gesamte Schweineherde verschlungen. Die Bäume, welche die Öffnung umrandeten, hielten das Licht des untergehenden Praiosmals ab und warfen ihre langen Schatten hinab in die Finsternis. Wengel lauschte noch einmal genau, ob er ein Lebenszeichen seiner Tiere vernehmen konnte, aber das einzige, das aus dem Erdloch hervorkam, war ein kalter, eisiger Hauch, der Wengel die Nackenhaare aufstellen ließ.
Was sollte er tun?, fragte er sich mit steigender Unruhe. Natürlich konnte niemand ehrlich meinen, dass es Wengels Schuld gewesen war, sondern – natürlich! – nur ein Zeichen der Götter sein konnte, wenn die Erde sich öffnete und seine Tiere als Opfer verschlang. Andererseits, fuhr ihm beunruhigend durch den Kopf, konnten es aber auch böse Geister, finstere Dämonen oder fremde Götter – unheilig! – sein, von deren Macht er soeben Zeuge geworden war. Nervös blinzelnd schaute er sich noch einmal um, aber er konnte kein Zeichen einer höheren Macht erkennen, die ihm den Sinn ihrer Handlung darlegen wollte. Es konnte natürlich auch einfach ein reiner Zufall oder eine unglückliche Fügung des Schicksals sein. Dann allerdings, so war sich Wengel sicher, würde man in Ermangelung eines Verantwortlichen Gründe finden, dass es doch die mangelnde Aufmerksamkeit des Breitenhainer Schweinehirten gewesen sein musste, die den Verlust der wertvollen Tiere verursacht hatte.
Wengel atmete tief durch. Langsam begannen die ersten Sterne am Firmament zu blinken und das volle Madamal erschien am Horizont über dem schwarzen Wald. Er würde Bruder Pernidan fragen!, schoss es ihm plötzlich in den Sinn. Er hatte sich mit dem jungen Peraine-Geweihten angefreundet und diesem bereits mehrere Gefallen getan. Immer wieder hatte er heimlich die Pforte an der Schlosspforte geöffnet, weil der Geweihte im pfalzgräflichen Garten die spannenden Kräutlein untersuchen wollte, die zwischen den preisgekrönten Rosen der früheren Pfalzgräfin Alena von Gallstein sprossen. Natürlich hatte Wengel bemerkt, dass Pernidans Blick dabei weniger auf dem Boden als auf der derzeitigen Herrin der Pfalz, Germine von Wetterfels, ruhten. Der Diener der Gütigen würde bestimmt nicht wollen, dass man in der Ortschaft darüber tuschelte, dass der Geweihte der Peraine der Pfalzgräfin nachstellte, gewiss würde er verschwiegen bleiben und ihm, Wengel, aus der Patsche helfen.
Im silbernen Licht des Madamals suchte der Schweinehirt seinen Pfad hinab ins verschlafene Städtchen Hornbeil. Er bemerkte nicht das leichte bläuliche Glimmen aus der Tiefe des Kraters, das erst nach einer ganzen Weile wieder verblasste.