Geschichten:Sertiser Elfengrotten - Pläne und Träume
Stadt Hornbeil, 10. Efferd 1046 BF, vormittags
»Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee ist?«
Das flackernde Licht der Talglaterne zog deutliche Schattenlinien über das bereits jung verhärmte Gesicht der jungen Frau, die nervös an der Kinderwiege bei der Lehmwand stand, in welcher ein Neugeborenes unruhig schlief.
»Ach, Weib, wenn es nach dir geht, dann versauern wir hier im Reichsforst.« Grimhart der Köhler schüttelte verärgert seinen schwarzen Vollbart, während er mit seinen schwieligen Händen auf dem grob gezimmerten Holztisch trommelte.
Grimhart hatte seiner Gattin Laurona von der Unterredung erzählt, die er durch Zufall heimlich im Tempel der Gütigen Göttin mit angehört hatte. Dunkles Loch in die Tiefe. Mitten im Wald. Unbekannte Höhle. Sofort war seine Neugier und sein Abenteuergeist geweckt worden. Dies war die eine Gelegenheit, die sich ihm bot, um aus seiner tristen und mühseligen Existenz herauszutreten und ein Leben voller spannender Abwechslungen und Anerkennung durch die Edlen der Reiche Aventuriens zu beginnen.
Mühsam unterdrückte er den Zorn in seiner Stimme und zitternd fuhr er fort: »Eine unentdeckte Höhle verspricht unbekannte Reichtümer. Überlege nur, welche Edelsteine oder kostbaren Erze dort leicht zugänglich zu finden sein könnten. Wer weiß, ob nicht sogar das eine oder andere Artefakt dort auf den nächstbesten Finder wartet.«
Er kannte das Wort »Artefakt« von Gerdan, dem örtlichen Fuhrmann, von dem die Stadt Hornbeil die wichtigsten Nachrichten aus dem Königreich geliefert bekam, wenn dieser von seinen Fahrten aus Bitani oder Hirschfurt zurückkehrte und von den atemberaubenden Erfolgen der berühmtesten Glücksritter zu berichten wusste. »Artefakte«, so wusste Grimhart, waren der Schlüssel zum Erfolg, der Inbegriff von großer Macht und Ansehen. Wer ein »Artefakt« sein eigen nennen konnte, dessen Name wurde mit Ehrfurcht gesprochen und die hohen Herren und Damen öffneten ihm die Türen.
»Ich meine nur … ich glaube … Und was, wenn es dort gefährlich ist? Ein Troll oder ein Tatzelwurm, der sich in den Höhlen dort versteckt und der nur darauf wartet, mit dir zu kämpfen?« Laurona Stimme kam gedämpft und voller Sorge, dass das Kind wieder erwachte, dass sie unter so großer Mühe in den Schlaf gewiegt hatte. Und das Glucksen aus dem einfachen Bettchen zeigte ihr deutlich, dass ihre Sorge berechtigt war.
»Mir passiert schon nichts«, grummelte der Köhler, aber insgeheim gab er seiner Gattin recht. Alleine sollte er das Abenteuer nicht unternehmen; er benötigte jemanden, der ihm den Rücken freihielt und der mit einer Waffe umzugehen verstand. Er dachte nach, ob ihm jemand geeignetes einfiel.
»Warum fragst du nicht den Zwerg Bothrom? Mit dem verstehst du dich doch beim Würfelspiel so gut, und er kennt sich als Zwerg sicherlich gut unter der Erde aus«, plapperte Laurona mit unverbindlichem Ton vor sich hin, während sie ihre kleine Tochter Alena aus der Wiege nahm, die mit Plärren begonnen hatte. »Psst, meine Liebe. Sei ruhig. Alles wird gut, mein Schatz.«
Bothrom! Natürlich, das war eine gute Idee. Der Söldner im Dienst der Waldsteiner Wölfe würde sich sicherlich keine Gelegenheit durch die Lappen gehen lassen, auf einfachem Wege zu Reichtum zu kommen. Und Grimhart kannte niemand anderen, der so meisterlich mit seiner Kriegsaxt umzugehen verstand wie der Zwerg von jenseits der Grenze des Königreichs.
»Ja, das mache ich«, sagte Grimhart mit selbstbewusster Stimme und erhob sich. »Bete zu den Zwölfen, dass wir erfolgreich von unserer Geheimexpedition zurückkehren. Wenn es der Herr Phex gewährt, dann werden wir schon bald dieses traurige Städtchen hinter uns gelassen haben und in die große weite Welt hinausziehen. Dann wird unsere Tochter nicht als arme Köhlertochter im Reichsforst, sondern als Kind reicher und erfolgreicher Abenteuer die ganze Welt erobern.«
Lauronas schmächtiges Gesicht erstrahlte unter diesen Worten. »Hörst du das, mein Liebling? Wir werden dich in Brokat und perlbesetzten Kleidern großziehen, du wirst in einem Palast aufwachsen und niemand wird dir den Befehl geben, das Erbrochene von betrunken Tavernengästen im Waldschrat aufzuwischen.«
Das Kleinkind krähte kläglich und Laurona setzte sich, um ihr die schmale Brust zu geben, aus der bereits alle Milch gesogen worden war und die das Kind nicht satt machen konnte.