Geschichten:Sommer auf Rosskuppe - Der Mann am Tor
Markgräflicher Marstall in der Baronie Hexenhain
Mitte Ingerimm 1033 BF
Dramatis Personae
- Ardo von Keilholtz ä.H., Baron von Kressenburg
- Urion von Reiffenberg, Rittmeister der Mark
- Mechthild von Kieselholm, Knappin des Barons von Kressenburg
Noch bevor die Dämmerung über sie herein brach, erreichten sie die Brücke über den Perlenbach. Am anderen Ufer stieg das Gelände steiler an. Die Landschaft wurde insgesamt welliger. Zu Ihrer Rechten sahen sie, wie sich das untergehende Praiosgestirn in einem nahezu kreisrunden See spiegelte. Auf der Anhöhe rechts des Weges erhob sich ein stark befestigter Gutshof. Ardo warf gerade einen Blick auf den Wagen, als er von hinten eine kleine Reitergruppe auf sich zukommen sah. Schon aus der Entfernung konnte er das Markgräfliche Banner der Grenzreiter erkennen. Die Reiter überquerten rasch die Brücke und wandten sich gen Rahja. Nach kurzer Zeit waren sie hinter einer Kuppe verschwunden. Ardo trieb BOROMIL an, um nun zügig den Marstall zu erreichen. Er hegte keinen Zweifel daran, dass er und seine Begleiter bereits entdeckt und Urion gemeldet worden waren. Sein Wappenschild und sein Wappenbanner an seiner Lanze waren ja auch weithin sichtbar, wie es ihm anstand.
Er folgte dem Weg bis er auf der Anhöhe an einer Kreuzung gen Efferd abbog, und auf das geöffnete Tor des Marstall zuritt. Von der Anhöhe hatte er einen hervorragenden Blick auf das umgebende gen Praios leicht abfallende Gelände.
In seinem Rücken konnte er die Dächer eines kleinen Weilers ausmachen. Dies musste das Dorf Rosskuppe sein, von dem ihm Urion berichtet hatte. Gen Praios sah er in der Ferne nur noch schemenhaft ein größeres Waldgebiet, welches sich in seiner Ausdehnung allerdings nicht mit den Wäldern seiner kressenburger Heimat messen konnte. Und auch das Gelände um ihn herum war offenes Weideland, nur ab und zu mit kleineren Baum- und Buschgruppen bewachsen. In eingezäunten Weideflächen konnte er allerlei Rinder und Schafe entdecken. Auf einer anderen Weide entdeckte er einen einzelnen großen Greifenfurter Kalten, einen Hengst, der als er BOROMILS Witterung aufgenommen hatte, mit geschmeidigen Bewegung auf sie zu trabte. Das Schnauben aus seinen Nüstern verursachte in der schon kühlen Luft eine imposante Dunstwolke. BOROMIL nahm das Geräusch auf und antwortete ebenso mit einem lautem Schnauben. Ardo war sich sicher, dass sich gerade zwei alte Bekannte begrüßt hatten.
Der Baron wandte nun seinen Blick dem Marstall zu und betrachtete das Gemäuer genau. Er erkannte, dass es sich um eine großflächig angelegten Vierseithof handelte. In den das Innere konnte man noch nicht blicken weil man den Hof zusätzlich mit einer starken Schutzmauer umgeben hatte. An einigen stellen hinter der Mauer stiegen Rauchsäulen in den Himmel auf. Die Mauer sah noch recht neu aus und bestand aus dem im Finsterkamm üblichen Kalkstein. Ardo erinnerte sich daran, dass Urion bei ihrem letzten Treffen von der Zerstörung des Gutes während des Orkkrieges und dem Wiederaufbau berichtet hatte. An der Firun zugewandten Seite ragte ein imposanter Wehrturm auf, auf dessen Zinnen Ardo jetzt auch zwei Wachen erkennen konnte. Im Torbogen entdeckte er die großgewachsene athletische Gestalt Urions, der wie stets gerüstet und mit seinem Schwert „Leuentreu“ gegürtet am linken Torbogen lehnte.
Als sie nahe genug heran waren, hob Urion den gerüsteten Arm und kam auf Ardo zu geeilt. Der junge Baron konnte die Freude im Gesicht und die strahlenden Augen seines älteren Freundes und Kampfgefährten deutlich erkennen.
„Praios zum Gruße, Ardo oder muss ich doch besser Herr Baron sagen!?“ Er verneigte sich höflich. „Es ist lange her, dass wir uns sahen und um so schöner ist deshalb auch das Wiedersehen. Ich freue mich, dass du mich mal auf dem Marstall besuchst.“ Urion schmunzelte und wies auf die Weide mit dem Hengst: “Und mir scheint, dass BOROMIL seine alte Heimat auch gleich wieder erkannt hat. Zumindest hat er seinen Vater ALTROS standesgemäß begrüßt.“ Wieder an Ardo gewandt, setze er fort: „Du hast es mir ja auch bei unserer Queste im Kosch hoch und heilig versprochen, mich zu besuchen. Sag, welche den Göttern gefälligen Winde haben dich hergetrieben und wie lange kannst du bleiben?“
Schwungvoll sprang der Kressenburger aus dem Sattel und reichte dem Älteren die Hand zum Gruß. „Praios zum Gruße, Urion! Bleiben wir doch bei den Namen, den unsere Mütter uns gegeben haben. Ich bin kein Horasier und laufe auch nicht Gefahr, ob meiner neuen Aufgaben meine Gefährten zu vergessen.“ Neugierig sah er sich um und betrachtete alles, was er sah aufmerksam.
„Bitte verzeih, dass es so lange gedauert, hat bis ich mein Versprechen einlösen konnte. Doch die neuen Pflichten nehmen mir mehr Zeit, als ich es mir je vorstellen konnte. Ich habe Glück, so einen tüchtigen Vogt zu haben, der mir den Rücken zum großen Teil frei hält.“ Mit einem Blick zurück deutete er auf den Karren, welcher ein Dutzend Schritte hinter ihnen gehalten hatte und klopfte seinem Ross gütig am Hals. „Ich habe die Gelegenheit genutzt, um die letzte Rate für meinen guten BOROMIL hier persönlich vorbei zu bringen. Es ist an der Zeit, dass ich ihn auslöse, denn ich habe nicht gerne Schulden. Ein paar Tage werde ich sicherlich bleiben können, wenn es sich ergibt. Ich bringe einige Nachrichten aus Perricum mit mir, auch wenn du die wichtigsten Dinge sicherlich schon vernommen hast.“
Neben ihm war inzwischen seine Knappin abgestiegen und hatte sich schweigend neben die beiden Männer gestellt. Urion konnte auf ihrer Stirn und der rechten Wange die Spuren frisch verheilter Narben erkennen, die unter ihren blonden Haaren verschwanden. Die Narben waren groß und sehr gut verwachsen, aber durch die Blässe des Mädchens doch noch deutlich zu erkennen. „Ach ja, bevor ich es vergesse. Dies ist Mechthild von Kieselholm, meine Knappin. Mechthild, das ist Urion von Reiffenberg, der Rittmeister der Mark.“
Urion betrachtete die Knappin, nachdem sie sich nach einer Verbeugung ganz aufgerichtet hatte. Er sah eine schlaksiges etwa 14jährige jungen Frau, mit einem Gesicht voller Sommersprossen und langem, zu zwei Zöpfen geflochtenem, blonden Haar. „Nun denn, seid auch ihr herzlich Willkommen auf dem Marstall, Mechthild von Kieselholm, auch wenn ich gerne erfahren möchte, wer einer hübschen jungen Knappin ein Haar zu krümmen wünscht?“ Mechthilds fahler Gesichtsausdruck wich und eine leichte Röte schlich sich auf ihre Wangen, ob des Kompliments.
Er lächelte und wandte sich wieder Ardo zu. „Ich verzeihe dir natürlich und freue mich umso mehr, weil es nach so langer Zeit, so überraschend kommt. Aber keine Angst, wir hier auf dem Marstall sind jederzeit auf Besuch vorbereitet, so dass wir im Nu alles für Eure Unterbringung vorbereitet haben. Es ist erfreulich, dass du selber kommst, um die letzte Rate abzuliefern. Und genau zum Stichtag – nicht, dass ich dir nicht noch Zeit eingeräumt hätte.“
Als Urion sich BOROMIL aus der Nähe ansah, erkannte er, dass der Hengst einige kürzlich verheilte Wunden am Körper hatte. Er schritt auf das Tier zu und begrüßte es mit ruhiger Stimme. Das ruhige, beinahe lässige Schnauben verriet Urion, dass der Hengst wohlauf war. Er würde Ardo erst beim Absatteln auf die Verwundungen ansprechen.
◅ | Gerade da und schon wieder weg |
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Erst das Ross und dann der Reiter | ▻ |