Geschichten:Sommer auf Rosskuppe - Inspektion im Biwak der Grenzreiter
Mitte Ingerimm 1033 BF
Dramatis Personae
- Ardo von Keilholtz ä.H., Baron von Kressenburg
- Urion von Reiffenberg, Rittmeister der Mark
- Mechthild von Kieselholm, Knappin des Barons von Kressenburg
- Rondrian von Reiffenberg, Rondrageweihter, Urions Bruder
- Praiolin von Reiffenberg, Merans und Baradurs Sohn
Im Grenzreiterlager angekommen galt Ardos erste Aufmerksamkeit dem steinernen Gemäuer, zu dessen Füßen die Zelte aufgeschlagen worden waren. „Sag Urion, dieser Wehrturm hier ist doch sicherlich schon ein Teil der Finsterwacht. Wenn die Grenzreiter gerade keine Übung abhalten, wie ist dann hier die Besatzung? Gibt es einen Ritter der für die Instandhaltung und die Ländereien verantwortlich ist?“
„Du hast Recht, es handelt sich um einen Turm der Wacht. Mit der Wacht ist ein gewisser Brin von Greifenrode betraut, ein jüngerer Bruder des Ritters Erlan von Greifenrode. Ihm unterstehen noch drei Kriegsleute. Die Versorgung der Wacht erfolgt über einzelne Waldbauerhöfen in der Umgebung, die zur Wacht gehören. Der gute Brin ist mir sehr dankbar, dass ich meinen Biwakplatz hier gewählt habe, weiß er das Mehr an Sicherheit und Kampfkraft doch zu schätzen. Er sagt immer, wenn wir an jedem Turm der Wacht eine Schwadron Grenzreiter hätten könnten alle Märker ruhig schlafen. Wenn ich im Herbst und Frühjahr nicht hier bin, kommen lediglich ab und zu ein paar Grenzjäger vorbei. Dieses Tal liegt sehr abgelegen und an keiner der bekannten Passstraßen. Aber wenn du dich ich den nächsten Tagen genau umschaust, wirst du feststellen, dass auch von hier ein Pfad in die Berge führt. Er ist zwar nur zu Fuß und einzeln hintereinander begehbar und quert häufig einen kleinen Gebirgsbach, aber auch über solche Wege kommen die Schwarzpelze über den Finsterkamm und machen uns das Leben schwer. Vom Turm aus hast du ein guten Blick über einen Großteil des unteren Wegstücks und über die Rodung um den Turm herum. So ist wenigstens gewährleistet, dass noch rechtzeitig die Meldungen weitergegeben werden kann. Ansonsten bist du hier den Kräften der Wildnis und des Finsterkammes ausgesetzt.“
Ardo richtete seinen Blick grimmig, ja fast hassserfüllt, in Richtung der Bergwälder und zu den Gipfeln des Finsterkamms. „Weißt du Urion, bevor ich so unverhofft zum Baron von Kressenburg geworden bin, konnte ich mir nichts Größeres vorstellen als ein Ritter der Wacht zu werden. Die Mark an ihrer schwächsten Grenze verteidigen und Schwarzpelze in die Niederhöllen schicken, das habe ich mir immer gewünscht. Nun habe ich zwar deutlich mehr Geldmittel aber dafür seit der Firntrutz doch keinen Ork mehr zu Gesicht bekommen. Fast beneide ich dich ein wenig. Du hast immer ein Ohr am Geschehen im Finsterkamm, während ich am ruhigen Reichsforst sitze und aus Langeweile Abstecher zur Kaiserin nach Perricum mache. Wenn du irgendwo eine Schwachstelle findest an der besonders Not am Mann ist, dann lass es mich wissen. Ich habe inzwischen eine Lanze Ritter zur Hand, die ich nur zu gerne einmal gegen Schwarzpelze führten würde.“
„Mach ich gern. Aber vergiss nicht, die Barone vorher zu informieren. Auch wenn du eine willkommene Verstärkung bist, sehen es einige nicht gern, wenn man sich, ohne ihnen wenigstens kurz die Aufwartung gemacht zu haben, auf ihrem Gebiet herumtreibt. Und ein guten Humpen Bier wirst du zumindest bei Gerbald immer bekommen“, Urion lachte.
„Alleine dafür würde es sich lohnen den Schwarzpelz warten zu lassen. Aber sicherlich kann ich gut nachvollziehen, dass kein Baron gerne einen bewaffneten Trupp auf seinen Ländereien hat, von dessen Ambitionen er nichts weiß. Ich würde auch keine Horde Söldner oder selbst die Grenzreiter in Kressenburg haben wollen, wenn ich vorher nicht darüber informiert worden wäre. Es muss schon alles seine Ordnung haben, vor allem in diesen Zeiten.“
Rondrian und Praiolin setzten sich von der Gruppe ab, während Urion, Ardo und Mechthild ihren Rundgang fortsetzten.
„Also, das Lager ist so ausgerichtet, dass es leicht zu verteidigen ist. Die Zelte bestehen alle aus abgeschabten Leder und nicht aus Stoff. Das Leder ist schwerer in Brand zu setzen auch wenn es zur Abwehr von Regen und Schnee gewachst ist. Dennoch steht neben jedem Zelt immer ein Eimer mit Wasser um Brände sofort bekämpfen zu können.“ Urion wies auf ein Zelt. Dann stutzte er denn bei einem zweiten Zelt konnte er keinen Eimer entdecken. „Da siehst du, wie unerfahren und sorglos die jungen Soldaten noch sind. Aber es liegt auch an der Führung. Solche Mängel müssten sofort abgestellt werden. Na, wenn wir fertig sind, werde ich dem Leutnant eine kleine Standpauke halten müssen. Und er soll die Schuld bloß nicht auf die Unteroffiziere abschieben. Wenn nötig bekommen auch die von mir einen aufs Haupt. Du weißt ja selbst wie wichtig diese vermeindlichen Kleinigkeiten sind. Im Gefecht habe ich keine Zeit mir darüber Gedanken zu machen. Wenn dir Übrigens etwas auffallen sollte, sag's ruhig, jetzt ist es auch für die Führer noch ein Lernprozess.“
Sie gingen an einem Lagerfeuer vorbei, welches von der Lagerstreife versorgt wurde. Hier stand ein großer Eimer mit Sand. Ardo wusste dass damit ein Feuer ohne große Rauchentwicklung gelöscht werden konnte.
„Die Lagerfeuer sind alle so angelegt, dass sie von den Zelten abgeschirmt werden. Das dient zum einen dazu, dass der Wind nicht in die Flammen greifen kann und der Rauch möglichst gerade aufsteigt“, erläuterte Urion, „zum Anderen wird verhindert, dass der Lichtschein gerade des Nachts verräterisch weit zu sehen ist.“
Urion klappte eine Zeltbahn auf und zeigte Ardo und Mechthild das Innere. „Jeweils vier Soldaten teilen sich ein Zelt. Das entspricht auch der Stärke der Streife und der Lagerwache. Da kann die Feuerwache immer ein ganzes Zelt zum Wachwechsel wecken. Die Einrichtung des Zeltes wird stets aus der umgebenden Natur hergestellt. Lediglich die Zeltstangen und Zeltbahnen werden mit genommen. Die Soldaten schlafen auch im Sommer nicht auf dem blanken Erdboden. Wie ihr hier seht, haben sie sich aus mehreren starken Ästen, Zweigen und trockenem Laub eine einigermaßen bequeme Bettstatt gebaut. Mit einer Decke schläft es sich eigentlich ganz gut darauf. Aber ihr werdet es ja in den nächsten beiden Nächten selbst erleben“, Urion schmunzelte.
„Da kannst du froh sein, dass du hier keine perricumschen Junker zu Gast hast sondern wetterfeste Greifenfurter. Ich habe in den letzten Wochen mindestens drei Dutzen Edle kennengelernt, die allein beim Gedanken in so einem Zelt zu übernachten ohnmächtig zu Boden gestürzt wären.“
Urion zeigte noch auf den inneren Rand der Zeltbahn: „Draußen habt ihr den Abwassergraben sicherlich gesehen. Von Innen wird die Zeltbahn so verstärkt, dass das Wasser auch in den Graben fließt und selbst bei Starkregen nicht eindringen kann. Auf diese Kleinigkeiten achte ich sehr genau, hängt davon nicht nur die Bequemlichkeit, sondern viel mehr die Einsatzfähigkeit der Truppe ab.“
Sie gingen weiter bis zum Rand des Lagers, dass mit angespitzten Holzpfählen befestigt war. „Eine Palisade wie ich sehe. Sehr vernünftig wenn man mit Schwarzpelzen rechnen muss. Ich denke ich werde mein Landwehrlager auch damit ausstatten lassen. Diese steht aber noch nicht lange, wenn ich mich nicht irre. Es sind keinerlei Anzeichen von Verwitterung zu erkennen. Das ist doch nicht die erste Abteilung die hier ihr Biwak hat, oder doch?“
„Nein, nein der Ort für Winter- und Sommerbiwak ist immer gleich. Ich lasse die Soldaten nur deshalb immer ein neues Lager errichten, damit sie es lernen. Jeder dieser stolzen Reiter muss sich auch mal die Finger dreckig gemacht haben. Es muss ihnen in Fleisch und Blut übergehen, dass sie stets in der Lage leben. Und sobald der Soldat seine Garnison verlässt herrscht für ihn Krieg und ich erwarte, dass er sich gefechtsmäßig verhält. Dazu gehört eben auch das Leben im Felde. Was die Wacht an Brennholz von den alten Pfählen nicht benötigt, lasse ich durch die Soldaten übrigens zu einer nahegelegenen Köhlerei bringen. Manchmal in voller Rüstung und im Laufschritt. Das fördert die Ausdauer und Disziplin der Männer und Frauen.“
„Eine gute Idee.“ Ardo musste bei dem Gedanken daran unvermittelt grinsen. „Zudem, es hält den Wald hier zurück und schafft weiteres freies Sichtfeld für die Wacht.“
An einer Stelle, wo der Wall dem vorbeifließenden Bach nahe kam, waren die Pferde in Holzständen untergebracht. Zwei Unterstände waren leer. „Insgesamt hat die 2. Schwadron 33 Reiter und Pferde“, erklärte Urion, „sie ist also bei Weitem nicht zu voller Stärke aufgewachsen, aber mehr kann sich die Mark derzeit einfach nicht leisten. Aber lasst uns mal nachschauen, ich habe den Eindruck, dass da etwas nicht stimmt.“
Er öffnete ein Gatter und betrat einen Unterstand. Eines der Pferde kam auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem lauten Schnauben. Urion tätschelte es und betrachtete das Tier genau. Ardo und Mechthild waren ihm gefolgt. Urion wies auf die Fesseln des Tieres. „Seht ihr, die Fesseln sind dreckig. Mechthild, was haben die Soldaten falsch gemacht?“
Die Knappin war bis zu diesem Moment stillschweigend hinter den beiden Männern her getrabt und war in Gedanken bei Rondrian und Praiolin, denen sie zu gerne bei ihren Schwertübungen zugesehen hätte. Aus ihren Tagträumen gerissen brauchte sie einen Moment, bis sie verstand worauf Urion hinaus wollte. „Die Unterstände sind zu nah am Wasser gebaut worden. Dadurch ist der Untergrund schlammig und die Pferde stehen feucht. Das kann auf Dauer zu Huffäule führen.“
„Sehr gut, richtige Schlussfolgerung, allerdings wurde der Standort aus taktischen Erwägungen hier her gelegt. Das konntest du nicht wissen. Was würdest du dann als Maßnahme vorschlagen, wenn man an diesem Standort bleiben muss?“
Mechthild dachte wirklich sehr angestrengt über diese Frage nach. Ihre Stirn war in Falten gelegt und sie wand einen ihrer blonden Zöpfe nervös zwischen den Fingern, während sie den Blick zwischen den Verschlägen und dem Bach hin und her wandern ließ. „Man müsste ein paar Bohlen und Bretter als Boden in den Boxen verlegen. Dann stünden die Pferde trocken und auch das Stroh würde nicht so schnell verfaulen. Natürlich bräuchte man dafür noch mehr Holz, aber da anscheinend genügend Bauholz vorhanden ist, um die Palisade zweimal im Götterlauf komplett zu erneuern, sollte man auch darüber einmal nachdenken.“ Es war ihr anzumerken, dass sie selbst nicht völlig von der Machbarkeit ihrer Idee überzeugt war. Immerhin hatte sie bei ihrem Großonkel und ihrem Schwertvater gelernt, wie wertvoll brauchbares Bauholz sein konnte und dass man bei weitem nicht jeden Baum dafür würde verwenden können. Immerhin mussten die Planken dann hunderte Stein Pferdemasse tragen und durften beim Scharren der Hufe nicht zu leicht splittern, um die Tiere nicht versehentlich zu verletzen.
„Ich merke, die weise Herrin Hesinde hat dir deinen Kopf nicht nur dafür gegeben, um einen Helm darauf zu setzen. So oder ähnlich lautet die Lösung für unser Problem. Nun, in diesem Fall ist dies ein Biwakplatz der schnell bezogen und wieder verlassen werden kann. Da wäre es sicherlich zu viel Aufwand ein befestigten Untergrund aus Bohlen und Brettern zu schaffen. Aber du denkst in die richtige Richtung. Die Pferde dürfen im Boden nicht mehr einsinken, deshalb müssen sie festeren Untergrund bekommen. Folgt mir nach draußen“, meinte Urion begeistert von der Lernbereitschaft der Knappin. Er trat aus dem Unterstand und wies auf die in einiger Entfernung am Rand des Baches wachsenden Weidenbüsche. „Ihr kennt sicherlich die Weidenkörbe eurer Mägde und Bäuerinnen zu Hause in Kressenburg. Es ist sowohl leichtes als auch biegsames Holz, welche aber auch eine gewisse Festigkeit aufweist.“ Er ging zu einem der Büsche und brach mehrere Zweige ab. Daraus flocht er mit flinken Fingern ein engmaschiges Gitter. „So, fertig. Wahrscheinlich auch für den dümmsten Soldaten keine geistige Überforderung so etwas herzustellen, meint ihr nicht auch? Davon flechtet man so viel wie man braucht. Die einzelnen Matten kann man ja auch übereinander legen. Und jetzt ist es wichtig, dass man zusätzlich richtig viel Laubstreu darauf ausbringt, zum einen, damit die Feuchtigkeit nicht durchzieht, zum anderen damit die Hufe das Geflecht nicht unnötig beschädigen. Das Gewicht der Pferde ist dabei nicht relevant, weil die Matten das Gewicht sauber verteilen.“
Die junge Knappin nickte eifrig zu Urions Worten und schien jedes einzelne förmlich in sich aufzusaugen. Wie immer wenn es etwas über Pferde und ihre Haltung zu lernen gab, war sie Feuer und Flamme. Ardo blickte zwar weit abgeklärter drein, aber auch er erkannte Sinn und Nutzen in den Worten seines Freundes.
„Letztlich muss der Kommandant entscheiden, ob sich ein Ausbau lohnt, aber eine solch leichte Konstruktion verlange ich eigentlich von jedem, der länger als drei bis vier Tage biwakiert. Den richtigen Ausbau befehle ich z.B. dann immer wenn wegen des Winters keine oder nur wenige Truppenbewegungen stattfinden. Aber das ist selten geworden.“
„Ich werde diese Mattentechnik benutzen, wenn ich die Unterkünfte für deine Pferde bereitstelle. Das mindert die Kosten und zudem geht es deutlich schneller, als wenn die Holzschober aufwendig mit gehobelten Bohlen und Planken ausgelegt werden müssten. Mir scheint in der Offiziersausbildung lernt man doch das ein oder andere brauchbare Detail.“
„Nun ja, dieses Wissen und die Erfahrung habe auch ich mehr oder weniger schmerzhaft machen müssen. Die Idee mit den Matten habe ich nicht etwa bei einem Ausbilder in Wehrheim gelernt, sondern bei einem Marsch durch ein Sumpfgebiet, wo schwierige Passagen für die Pferde so gangbar gemacht wurden. Als ich dann diesen Platz für das Biwak erkundete, kam mir die Erinnerung an den Sumpf wieder. Ja und so besteht ein Teil des soldatischen Lebens aus einer guten Portion Improvisationstalent. Wenn ihr zum Beispiel mal im Schnee rasten müsst und habt kein Reiser oder Laub, dann umwickelt die Hufe einfach mit mit Leder. Damit bleiben sie zumindest trocken.“
„Stimmt. Ich entsinne mich, dass du das bereits damals im Kosch beim Aufstieg zur Firntrutz angeordnet hattest. Aber wie ich sehe, haben deine Leute hier keine Matten ausgelegt. Ich nehme an dieses Versäumnis wird dann jetzt nachgeholt?“
„Ganz genau, Ardo. Sobald die letzte Lanze von der Ausbildung zurück ist, lasse ich den Haufen antreten und dann können die was erleben. Bevor die zum Verpflegen kommen wird es heute noch spät. Die Vorgesetzten knüpfe ich mir dann in einer eigenen Befehlsausgabe vor. Da erfährst du dann auch, welche Ausbildung uns morgen erwartet.“
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