Geschichten:Sonnenstand – Ein Licht erlischt
Burg Reinherz, Mitte Hesinde 1041 BF:
Schwer atmend lag Niteo von Illgeney im Grund auf seinem ausladenden Himmelbett, umgeben von einem Meer aus Seidenkissen und umhüllt von kunstvoll bestickten Decken. Der Hofkaplan und gräfliche Beichtvater war nun schon seit vielen Tagen bettlägerig. Die Fleischmassen seines siechenden Körpers machten jeden Bewegung zur Qual. Der als wortgewaltiger Prediger und eloquente Konversationspartner bekannte und gefürchtete Prälat der Praios-Kirche sah seinem Ende entgegen. Bald schon würde er das heilige Licht sehen.
Viele seiner einstigen Weggefährten hatte der feiste Praiot überlebt, so etwa den Perricumer Custos Lumini Yacuban von Creutz-Hebenstreyt, oder den Inquisitionsrat Celesto Custodias. Bald schon wäre er mit diesen Schwergewichten der Praios-Kirche wieder vereint.
Schwere Schritte ließen ihn mit Mühe die müden Augenlider öffnen. Vor ihm stand Praidan zu Wyrmbergen, ein Ritter vom Bannstrahl Praios.
„Ah Wyrmbergen, Ihr seid gekommen. Ich hoffe Ihr habt mir Wein und Gebäck mitgebracht.“ Der Hofkaplan röchelte. „Gibt es Neuigkeiten vom Grafen, hat er nach mir gefragt?“
„Hochwürden“, Praidan hüstelte, „ich befürchte er hat nicht nach Euch gefragt. Der Graf befindet sich die meiste Zeit des Tages mit seiner Familie im Tempel zum Gebet. Die Amtsgeschäfte überlässt er seinem Truchsess. Der Hochadel ist unzufrieden, wird er doch nicht mehr vom Grafen empfangen, da es keine Audienzen mehr gibt.“
„Ich fürchte um sein Seelenheil.“ Ein Röcheln ließ die schlaffen Körpermassen des Hofkaplans zusammenzucken als wären sie von neuem Leben erfüllt. „Seine heldenhaften Taten in Beilunk gegen die Dämonenhorden werfen noch immer einen dunklen Schatten auf seine reine Seele. Wer nimmt ihm die Beichte ab?“
„Eine junge Geweihte aus dem Gefolge der Gräfin … aus Wandleth wie es heißt. Das Feuer des Götterfürsten brennt in ihr, doch sind ihre Predigten weitaus düsterer als die Euren. Es fehlt die Zuversicht, die Zuwendung zu den Gläubigen. Der Graf lebt sehr zurückgezogen, zeigt sich kaum noch in der Öffentlichkeit. Er redet nur noch davon seine Seele und die seiner Familie für das ewige Licht reinzuwaschen.“
Der feiste Hofkaplan gab dem Bannstrahler mit einer unbeholfenen Bewegung seiner Hand zu verstehen näher an ihn heranzutreten. „Wyrmbergen, behaltet den Grafen im Auge. Er hat einen Weg eingeschlagen, der nicht mehr der unsrige ist. Alles wofür wir gefochten haben steht auf dem Spiel. Dort auf dem Tischlein, neben dem Konfekt aus Gareth, liegt ein Brief. Lasst ihn unverzüglich dem Halhofer zukommen. Es ist dringend!“
„Sehr wohl, Hochwürden! Ihr solltet Euch nun besser ausruhen.“
„Die Geister, die ich rief … .“ Mit diesen schlossen sich die Augenlider des Hofkaplans für immer.