Geschichten:Später am selben Abend
Ein wenig verkrampft trat Cyberian von Weidenhoff, aus seinem Zimmer auf den verlassenen Flur. Er war schon so lange nicht mehr hier gewesen, in seinem Elternhaus und der Umgebung seiner Kindheit. Er er schlief sogar wieder im selben Raum wie damals gemeinsam mit seinem Bruder Rondragrimm. Wie ungemein passend, dass er sich gerade jetzt fühlte wie ein kleiner Junge, ja wie der siebenjährige Page, der frisch nach Neu-Sighelmsstein gekommen war. Das war doch sonst nicht seine Art.
'Reiß dich zusammen Mann!'
Sein klopfen hallte auf dem Flur wieder.
„Ja?“
„Ich bin es, Cyberian.“
„Kommt nur.“
Cyberian trat ein. Sie stand am Erker und blickte gegen Südosten, wo die Strahlen der untergehenden Praiosscheibe funkelnd auf die Dächer der Stadt des Lichts fielen.
„Ich wollte mich nur noch einmal vergewissern, dass mit eurem Quartier alles in Ordnung ist. Sagt es euch zu? Benötigt ihr noch etwas?“
„Nein nein, ich habe alles was ich brauche.“
Sie setzte sich auf eine der Bänke des Erkers und blickte ihn an.
„Weidenhoff ist so anders als Bleusingk ... all diese Menschen und der Blick auf die Kaiserstadt. Wird es vor diesem Fenster eigentlich jemals dunkel? Und dann diese Gemächer es ist alles so hell und neu … nicht so wie unser alter Wohnturm in Bleusingk. Ihr erbt ein reiches und stattliches Lehen ohne solche Probleme wie ... wie ich. Was mache ich den jetzt? Der Mann der das Gut meiner Familie seit Jahrzehnten verwaltet, hat uns nach Strich und Faden betrogen und dabei auch noch die Liebe und Treue der Leute für sich gewonnen.“
„Was ihr tut? Ihr setzt ihn ab und klagt ihn an!“
„Sicher werde ich das tun. Und dann? Den angerichteten Schaden wird das kaum rückgängig machen und außerdem macht es mir meine eigenen Untertanen zu Feinden. Viel mehr noch, wenn ich versuche das, was sie mir schulden, einzutreiben...“
„Sie haben das praiosgefällige Recht verletzt, nicht ihr. Das erfordert eine harte Hand. Gewinnen könnt ihr sie, wenn die Ordnung wieder hergestellt ist, mit einer guten und gerechten Herrschaft. Außerdem ... dies ist das Herz des Reiches, nicht irgendeine unsichere Grenzprovinz. Was sollen sie tun? Das Volk wird sich kaum erheben. Nicht hier. Zuerst einmal gilt es sich ohnehin mit diesem Runkelhals zu befassen. Wenn es euch beliebt, werde ich euch dafür gerne nach Bleusingk begleiten und wenn ihr meint, dass es dessen bedarf heuern wir noch den ein oder anderen Bewaffneten an.“
Wie Cyberian mit Erleichterung feststellte wirkte Jendwina zunehmend weniger angespannt. Der sorgenvolle Gesichtsausdruck war verschwunden und sie lächelte als sie antwortete:
„Ihr habt Recht. So werden wir es machen. Einen Schritt nach dem anderen... Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie ich euch das alles vergelten soll Cyberian.“
Ein Gefühl gleichermaßen von Freude und Triumph bemächtigte sich Cyberians und er begann sich für einen Augenblick ehrlich zu fragen, ob er nicht nur noch einmal anch Jendwina gesehen hatte um genau diese Worte zu hören, ja zu provozieren. Wie dem auch sei nun war die Gelegenheit da und sie war günstig.
„Wisst ihr Jendwina, mir fiele da etwas ein. Denn wenn man genau darüber nachdenkt, kommt es nach sovielen Jahren auf den ein oder anderen Tag auch nicht mehr an und in den Hügeln blüht gerade die Heide... Sagt, frönt ihr eigentlich der Falkenjagt?"