Geschichten:Spenden für die Ostmarken - Draufsicht mit Katastrophe
Natterbrücke, früher Abend des 8. Rahja 1040 BF
Zwischen den Zinnen der Turmkrone sah Korisande von Rothermund fasziniert von oben auf die riesige Wagenkolonne herab, die durch das Tor unter ihr auf die Natterbrücke gerollt kam. Das Zählen der einzelnen Gefährte hatte sie schon bald aufgegeben, denn mit all den berittenen Begleitmannschaften erschien ihr der Zug noch größer als der reisende Kaiserhof, den sie als kleines Mädchen einmal auf der Marschroute erlebt hatte. Im Vergleich mit der Erinnerung war die Zahl der gerade vorbeiziehenden Wappen, Wimpel und prächtigen Pferde nicht weniger imposant, wenn auch vielleicht nicht so erlesen. Das stete hohle Klappern der Hufe über die Bohlen vermischte sich mit dem beruhigend gemeinten Zungenschnalzen und Rufen der Fuhrleute und ihrer Knechte. Entlang der Straßenränder hatte sich allerlei Volk gesammelt, welches dem Schauspiel ebenfalls zusah, teils aus Neugier aus den nahen Höfen und Dörfern zusammengelaufen, teils, weil ihm nichts anderes zu tun übrig geblieben war, außer zu warten. Denn für den garetischen Spendenzug hatte der Hartsteener Wegevogt den übrigen Verkehr schon vor einer Stunde in Richtung Brücke aufhalten lassen.
Am Brückenturm hatte der Landvogt Lepel, gegen den Korisande eine aufrichtige Abneigung empfand, die Führung des Zuges an den Rabensbrücker Baron und sein Gefolge übergeben. Für einen Moment hatte sie überlegt, wie es wohl wäre, wenn sie dem stinkreichen Glatzkopf durch den Maschikuli auf den kahlen Schädel rotzte, den Gedanken aber rasch wieder verworfen. Als die ersten Wagen das Hartsteener Ufer erreicht hatten, waren sie von den Spalier stehenden Rabensbrücker Rundhelmen mit einem über die trüben Wasser schallenden „Hurra, Hurra, Garetia!“ empfangen worden, bevor diese sich dem Zug anschlossen. Sie hatten Befehl, ihn bis zum Lagerplatz für die Nacht zu geleiten, welcher von den Rabensbrückern einige hundert Schritt vom Fluss entfernt am Rande der Talaue eilig in den letzten Tagen hergerichtet worden war.
Erneut rumpelte es mächtig, als ein schwerer von etlichen Reisigen in den Schlunder Farben umringter Karren auf die Brücke fuhr und dahinter eine ebenfalls von vier Rittern gedeckte leichte Reisekutsche.
„Das Wappen da solltest du dir merken“, deutete Bodebert, der junge Gehilfe des Oberhartsteener Tafelmeisters, neben ihr auf das Banner mit den zwei grünen Eichen auf goldenem Grund, „Das führen die Grafen von Reichsforst. Ich habe gehört, dass die Gräfin höchstpersönlich den Zug begleitet. Gut möglich, dass die da drin sitzt.“
Korisande nickte mechanisch. Mit Wappen kannte sich Bodebert aus wie kein zweiter am Hartsteener Grafenhof, den Spitznamen ‚Herold’ hatte er schon längst weg und möglicherweise würde er genau das eines Tages auch werden. Sie beugte sich vor, um vielleicht einen Blick auf das gräfliche Antlitz zu erhaschen, doch dann fesselte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Eine plötzliche Unruhe erfasste den Zug, als ein Mann hoch zu Ross – das war doch der Steinfelde! – wie ein Besessener herangesprengt kam, rief, wild gestikulierend mit den Armen ruderte und immer wieder mit dem mittlerweile gezogenen Schwert auf die Wasseroberfläche flussaufwärts deutete. Sein Warnruf pflanzte sich wie ein Lauffeuer entlang der Brücke fort: „Der Natternunhold! Fort! Schnell!“
Korisande spähte in die angegebene Richtung, konnte aber in den trüben Fluten beim besten Willen nichts erkennen. War sie etwa blind? Nicht einmal die Andeutung eines schuppigen Leibes war zu sehen, von den drei Köpfen, von denen der alte Goswin erzählt hatte, ganz zu schweigen. Sollte sich die finstere Kreatur etwa unsichtbar machen können? Da bemerkte sie die merkwürdigen Nebelschwaden, die flussaufwärts an der Flussbiegung hingen. Verbarg sich die Kreatur darin? Aber das spielte offenbar keine Rolle: Panik bemächtigte sich der Leute unten auf der Brücke und ein jeder schien nur noch an die eigene Sicherheit zu denken. Scharfes Peitschenknallen, gebrüllte Flüche und wütende Rufe verbanden sich mit dem wildem Wiehern der angetriebenen Zugtiere, deren Hufe nun in immer schnellerem Takt über das Gebälk trommelten, und dem bedenklichen Knarren und Knirschen der Gefährte zu einer plötzlich hörbaren Flutwelle aufflackernder Angst, die alles mit sich fortriss.
Allein der schwere Karren war mitten auf der Brücke stehen geblieben. Die Spannpferde hatten sich losgerissen und etliche Fuhrleute konnten sich nur durch einen waghalsigen Sprung ins Wasser vor den heranstürmenden Tieren in Sicherheit bringen. Auch von dem hässlichen Fuhrknecht, der gerade eben noch auf dem Bock stehend lautstarke Warnungen von sich gegeben hatte, fehlte jede Spur. Obendrein steckte die nachfolgende gräfliche Kutsche fest, denn die Brücke war zum Wenden zu schmal. Auch die Kutschpferde folgten ihrem natürlichen Fluchtinstinkt und wollten zur Seite und damit ins Wasser ausbrechen. Verzweifelt versuchte der Kutscher, die Tiere zu beruhigen, doch vergeblich! Und auch die Reichsforster Ritter waren nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen, gingen ihnen doch ihre eigenen Rösser durch und drohten sie abzuwerfen oder unter den wild stampfenden Hufen zu zermalmen. Begleitet von einem aus dutzenden Kehlen empordrängenden Entsetzensschrei der vom Ufer aus ohnmächtig Zuschauenden durchbrach die kippende Kutsche das schmale Brückengeländer und fiel mit einem mächtigen Platschen in die Fluten der Natter, wo sie gurgelnd verschwand. Doch damit noch nicht genug! Korisande konnte angesichts der Szenerie keinen Fuß rühren und auch Bodebert stand da wie festgenagelt.
Ein plötzliches Ächzen ging durch die Brücke, das Gebälk knarrte drohend und das Bauwerk erzitterte. Einer der Gerüsteten, der sich noch auf der Brücke befunden hatte, wurde zu Boden gerissen und schlitterte um Hilfe schreiend auf den schweren Wagen zu, dessen Räder gerade zersplitterten. Die Brückenkonstruktion schien regelrecht Wellen zu schlagen und zwei herrenlose Tellerhelme rollten auf ihren Rändern in einem merkwürdigen Tanz vereint über die Planken. Dann barsten zuerst die mächtigen Pfeiler in der Mitte des Stromes, dessen Wasseroberfläche um die Brücke schäumte wie bei einem Platzregen. Von unsichtbarer Hand weggerissen knickte gleich darauf ein Pfeilerpaar nach dem anderen weg. Das Gebälk krachte in sich zusammen und mit ihm wurden Karren und Reiter nach unten gezogen und von den Wassern verschlungen. Die Brücke – war fort.
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