Geschichten:Spenden für die Ostmarken - Im Loch
Irgendwo im Feidewald, Firun 1040 BF
Voltan von Heiterfeld wusste nicht, was ihm mehr zusetzte: Der knurrende Magen oder die erbärmliche Kälte in dem stinkenden Loch, in das ihn seine Peiniger gesteckt hatten. Sie hatten ihm zwar die Fesseln abgenommen, aber er hatte in seinem geschwächten Zustand keine Möglichkeit gefunden, die Wand der Felsspalte zu erklimmen, die ihm nun Gefängnis war. Zudem, das war Voltan sehr bewusst, weit käme er in diesem verfluchten Wald nicht, bevor er von seinen Peinigern wieder einfangen würde. Seine Drohungen waren an den Schurken abgeprallt wie die Kastanie am Harnisch und ihm mittlerweile im Halse stecken geblieben. Wann würde man ihn nur erretten?
Zusammengekauert saß er also in der Dunkelheit seines Kerkers. Nur noch aus Gewohnheit rieb er ab und zu die Arme und Hände an seinem Körper, im vergeblichen Versuch, sich vielleicht doch irgendwie warm zu bekommen. Zwei Zehen und einen Finger spürte er schon nicht mehr. Er lauschte, das Einzige was ihm hier blieb. Doch die einzigen Geräusche, die in den letzten Stunden an sein Ohr gedrungen waren, waren das ausdauernde Klappern seiner Zähne und die schlurfenden Schritte seines Wächters gewesen, der in unregelmäßigen Abständen nach ihm sah. Aber das schien ihm im Moment immer noch besser als das vorangegangene, tagelange Herumstreifen auf abseitigen Pfaden kreuz und quer durch Wald und Gebirge von einem Versteck zum anderen, oftmals mit einem Sack über dem Kopf, getreten und geschlagen von den brutalen Schuften, die ihn entführt hatten. Immerhin aber war er nicht mehr dem beißenden Wind ausgesetzt, der ihm durch die fadenscheinigen Fetzen gefahren war, welche ihm die Banditen statt seiner eigenen Wintergarderobe überlassen hatten, nur seinen halben Umhang hatten sie ihm gelassen, als Häme. Außerdem war er nun allein und hatte Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen. Diese kreisten freilich mehr und mehr um drei Themen: Wärme, Essen – und Rettung.
Er horchte auf. Schritte näherten sich. Nicht das Schlurfen seines Wärters, wie er bemerkte. Ein Schimmer huschte über den Fels und es wurde heller über ihm, so dass er blinzeln und eine Hand vor die Augen halten musste.
„Na, wie gefällt dir dein Quartier?“, Voltan erkannte die Stimme Gerons von Eichenblatt und gleich darauf schob sich dessen bärtiges Gesicht über den Rand der Spalte.
„Etwas Würzwein und ein warmes Bad wären noch ganz angenehm“, versuchte der Junker sich in Sarkasmus, doch sein typisch heiterfeldsches Lächeln erstarb ihm dabei.
„Kannste gerne kriegen“, feixte Eichenblatts fackelhaltender Spießgeselle und griff mit der freien Hand in seine Hose, doch der Raubritter winkte ab: „Tja, Heiterfeld, sieht schlecht für dich aus. Deine feine Lehnsherrin hat dich im Stich gelassen. Sie will nicht für dich zahlen. Stattdessen hat sie ihre Kettenhunde von der Leine gelassen und auf uns gehetzt.“
„Leider“, ergänzte der andere Räuber hämisch, „wird sie erkennen müssen, dass sie einer falschen Spur folgt und dass sie den Fuchs in seinem Revier mit ihren tumben Schnüfflern nie erwischen wird. Wir wissen nämlich Bescheid.“
‚Verrat.‘, ging es Voltan durch den Kopf, doch wer sollte…
„Es ist schon enttäuschend, dass deinen Leuten nichts an dir liegt“, stellte Eichenblatt fest und holte Voltan wieder aus seinen Gedanken, „Von einem Kaisermärker Junker und Seneschall einer bedeutenden Burggrafschaft hätte ich wahrlich mehr erwartet. Nunja. Aber das bedeutet zweierlei: Erstens, du bist mir nichts mehr nütze. Und ich habe deinen Leuten gesagt, dass du stirbst, wenn sie nicht zahlen. Damit sind wir beim Zweiten: Ich habe keineswegs die Absicht, mein Wort zu brechen.“
Voltan spannte sich an. Seine Burggräfin tat gut daran, diesen Schweinen nichts zu zahlen, doch für ihn würde dies nun schlimme Folgen haben. Er zitterte, nicht nur wegen der Kälte.
„Immerhin könnten wir noch ein bisschen Spaß mit ihm haben, bevor wir ihn übers Nirgendmeer schi…“
Die beiden Männer am oberen Rand des Felsenloches hielten inne und lauschten. Ein Heulen? Kurz darauf sah Voltan einen dritten Schatten die Höhlenwand über ihm entlang hasten: „Geron! Komm schnell!“
„Was ist?“, fragte der Raubritter barsch.
„Da draußen geht etwas vor sich. Etwas…“
Jetzt vernahm Voltan es auch: Tatsächlich. Entferntes Brüllen und Geschrei. Überraschung? Schmerz? Todesqual? Ein Funke Hoffnung keimte in ihm auf.
„Ich komme!“, Eichenblatts Kopf verschwand und nur der andere blieb einen Moment länger und zischte: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!“
Voltan atmete auf, vielleicht war die Burggräfin doch noch gekommen – allem Verrat zum Trotz. Er wollte die Wand erklimmen, gepackt von neuer Hoffnung, doch wie die Male zuvor rutschte er ab. Er war einfach zu geschwächt und Schmerz durchzog seinen Körper.
Kein Laut drang mehr an sein Ohr. Schreien und Knurren, Brüllen und Fauchen waren verebbt. Wenn der Eichenblatt nun zurückkehrte, würde Voltan sterben, so viel war ihm klar. Doch niemand kam und damit - die Unsicherheit. Die bangen Momente des Wartens dehnten sich immer weiter aus. Was war dort draußen außerhalb seines Gefängnisses geschehen? Hatte seine Burggräfin entgegen den prahlerischen Worten das Räuberversteck doch gefunden und obsiegt, oder waren sie gar alle gefallen? War sie zurückgeschlagen worden? Versuchten die Räuber, sie und ihr Gefolge von ihrem Versteck wegzulocken? Oder wollten ihn die Schurken hier in dieser Spalte einfach an Hunger und Kälte zugrunde gehen lassen? Das wäre wohl das furchtbarste Schicksal und er betete zu den Göttern. Und so harrte er weiter aus und starrte in die Finsternis.
Plötzlich fuhr er hoch. Da!
Das Rieseln eines Steines? Vorsichtige Schritte. Das Knarren von Leder. Das Hochziehen von Rotz in der Nase, gefolgt von einem kehligen: „Hier nichts weiter ist."
Voltan richtete sich auf. „Do...doch! Hi...hier unte...ten!“, presste er zwischen seinen klappernden Zähnen hervor.
Plötzlich Stille.
Bis auf sein eigenes bis zum Hals schlagendes Herz.
Jemand murmelte: „Fey feyiama iungra“, gefolgt von einem Fingerschnippen.
In dem aufleuchtenden, ungewöhnlich kalten Licht schoben sich vorsichtig zwei Köpfe über den oberen Rand der Spalte, wie sie Voltan nicht unterschiedlicher erwartet hatte, so das Voltan sich schon in der nächsten Misere wähnte. Der eine gehörte einem Elf und der andere - einem Orken. Die beiden waren offenbar genauso überrascht, jemanden zu sehen, wie er.
„Bi...bitte, he...helft m...mir. W...wer auch imme...mer ihr se...seid.“
„Wer du bist, etwa Räuber?“, erkundigte sich der Ork mit drohendem Unterton in der Stimme.
"Ich…ich bi..bin Vo..voltan vo...von Heitet…erf...feld. Seneschall vovon O…ochsenb..blutt.“, gab er unsicher und verzweifelt von sich.
Die beiden wechselten einen Blick, bevor der Elf zu seinem - Kameraden? - meinte: „Eile, Freund Orgosch, und hole den tapferen Brinwald.“