Geschichten:Sternguckerin – Scheitern
Stacken, Anfang Peraine 1043 BF
Um nach Salzkotten zu kommen mussten die Waldsteiner über eine Brücke, darunter floss der Mühlbach entlang, der genug Wasser führt um eine Mühle anzutreiben und so eine Durchquerung zu Fuß oder zu Pferd zwar nicht unmöglich war, aber eben mühsamer. Hier wollte man die Waldsteiner in die Falle locken. Wenn es irgendwo gelingen könnte, dann hier an dieser Engstelle. Es gelang nicht. Es lag nicht an dem Umstand, dass diese Stelle nicht geeignete gewesen war oder der Plan nicht wirklich durchdacht, es lag an der bloßen Unterzahl der Reichsforster oder viel eher an der Überzahl der Waldsteiner. Der Versuch war gescheitert. Und wieder floh wir. Dieses Mal zogen wir uns bis nach Baringen zurück.
Zusammen mit Gerbald von Luring-Schneitzig versorgte ich die Verwundeten. Inzwischen gab es keinen einzigen unverletzten mehr unter uns. Die Stimmung war wieder einmal äußerst schlecht. Erst spät in der Nacht, war auch die letzte Wunde verbunden, da sah ich den Baron, wie er in die Sterne blickte.
„Was soll ich tun, Schwester Lindegard?“, wollte er schulterzuckend wissen, „Kämpfe ich um Schwarztannen, lasse ich meine Männer und Frauen sinnlos sterben, denn schlagen können wir die Waldsteiner nicht. Tue ich es nicht, fällt alles den Waldsteinern in die Hände. Ganz gleich was ich tue, es ist immer falsch...“ Er seufzte schwer. „Ich kann ihnen Schwarztannen einfach nicht so überlassen, aber mehr als es ihnen schwerer machen kann ich auch nicht.“ Wieder zuckte er mit den Schultern. „Ich habe mir das alles anders vorgestellt...“
„Ja“, erwiderte ich da, „Das geht uns wohl allen so. Ich habe mir das auch anders vorgestellt, das könnt Ihr mir glauben, aber...“ Ich stockte. „Auch wenn es mir im Augenblick schwer fällt, aber so vertraue ich darauf, dass meine Herrin einen guten Grund hatte, ausgerechnet mich an Eure Seite zu stellen.“
„Ihr seid eine gute Heilkundige“, erwiderte er, „Was könnte in unserer derzeitigen Situation nützlicher sein?“
„Mag sein, Hochgeboren, aber meine Schwester Perainidane ist auch eine gute Heilkundige und im Tempel in Schwarztannen gibt es noch weitere. Trotzdem bin ich an Eurer Seite und nicht meine Schwester oder ein anderer Geweihter, neben Euer Gnaden Luring-Schneitzig selbstredend. Vielleicht werde ich irgendwann begreifen, was sich meine Herrin dabei gedacht hat. Und gewiss, ja gewiss gibt es auch einen guten Grund, warum die Götter Euch genau diese Aufgabe zugedacht haben.“
„Damit ich das Scheitern lerne?“, entgegnete er mir voller Zynismus.
Ein Lächeln legte sich unweigerlich über meine Lippen: „Vielleicht? Vielleicht seid Ihr aber auch der Einzige, dem die Götter genau das zugetraut haben?“ Ungläubig blickte er mich an. „Bedenkt: Wie viele hätten bereits aufgegeben, aufgrund der Aussichtslosigkeit dieser Auseinandersetzung? Offensichtlich sind die Waldsteiner uns zahlenmäßig überlegen und mangels Verstärkung auf unserer Seite wird das gewiss auch so bleiben.“ Nun nickte er zaghaft. „Die Götter haben sich etwas dabei gedacht, Euch an diese Stelle zu setzten. Graf Drego hat sich etwas dabei gedacht. Ihr seid keiner dieser Emporkömmlinge, die sich nach Ruhm und Ehre sehnen und nur auf die nächst beste Gelegenheit warten um sich zu profilieren. Ihr seid ein aufrechter Ritter, der den seinen loyal und treu ergeben ist. Für Euch zählt die Sache und die Sache ist, dass es Unrecht ist was die Waldsteiner da tun. Freilich verstehe ich recht wenig von dem, was eine Fehde ausmacht und wer sie führt, aber warum solltet Ihr und Eure Untertanen für das bezahlen, was zwischen den Häusern Luring und Hartsteen passiert ist?“ Einen Moment hielt ich inne. Auch der Baron schwieg. „Ihr, Hochgeboren, seid hier, weil Ihr genau hier gebraucht werdet und weil Ihr vermutlich der einzige seid, der angesichts der aussichtslosen Lage noch immer erbittert weiterkämpft: Gebt nicht auf, Hochgeboren, die Götter stehen Euch bei.“
Und Drego von Altjachern gab nicht auf. Er versucht immer wieder mit den Waldsteinern zu verhandeln, auch wenn die nicht wollten. Meine Worte hatten also getan, was ich gehofft hatte. Und was hätte ich ihm auch anderes sagen sollen? Die Wahrheit etwa?