Geschichten:Tal der Tränen - Das beste Pferd im Stall
Es war der Abend des 10. Firun. Die Sonne war längst unter gegangen, als ein einzelner Reiter auf Burg Freudenstein eintraf. Irnfrede wollte sich gerade in ihrem Gästezimmer für die Nacht umziehen, als sie im Fackelschein den Neuankömmling auf dem Burghof bemerkte. Ihr Herz machte vor Freude einen Sprung. „Aber das ist doch…“
Sie zog sich rasch warme Pantoffeln und einen dicken Wollmantel an und lief aus dem Herrenhaus hinaus auf den verschneiten Hof. Der Neuankömmling hatte derweil sein Pferd zu den Ställen geführt, und war dabei Sattel und Zaumzeug abzuschnallen. Leise schlich sie sich an ihn heran.
Als sie nur noch knapp hinter ihm stand, sprang sie vor und schlang ihre Arme um seinen Leib. „Hab dich!“ rief sie lachend.
Der ‚Gefangene‘ schreckte kurz auf, entwand sich aber dann leicht aus ihrem Griff und drehte sich lächelnd herum zu ihr. Er küsste sie zur Begrüßung heiß auf die Lippen. Es war Geromel von Talbach.
„Bist du von Sinnen, du wirst dich noch erkälten!“ schalt er sie mit gespielter Strenge.
„Dann beeile dich lieber mit deinem Ross, dass wir schnell wieder ins Haus gehen können. Du darfst dich gleich in meinem Bettchen aufwärmen!“ zwinkerte sie ihm verheißungsvoll zu. Geromel lächelte. Wie sehr hatte er sich darauf schon gefreut.
Zwei Kerzen erhellten flackernd das Gemach Irnfredes in der Nacht und eine kleine Feuerschale sorgte für etwas Wärme. Geromel richtete sich keuchend und schwitzend auf und setzte sich erstmal eine Weile aufrecht hin, um wieder zu Atem zu kommen.
„War es schön für dich?“ fragte er die nackte Schönheit an seiner Seite lächelnd, die sich neben ihm auf dem Laken räkelte. „Es war himmlisch“, hauchte Irnfrede und zitterte immer noch leicht von den Nachwirkungen ihres letzten Höhepunktes. Er legte sich neben seine Liebste, die sich gleich an ihn schmiegte. Er genoss den sanften Druck ihrer warmen Brüste auf seinem Körper und streichelte ihr über die Schenkel und den Po. Ihr wildes Liebesspiel hatte beinahe eine Stunde gedauert. Nun waren beide ziemlich erschöpft aber glücklich. Irnfrede genoss seine zärtlichen Berührungen, aber etwas ging ihr ständig durch den Kopf. Sie richtete sich etwas auf, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte.
„Geromel?“ „Was ist denn, Liebste?“ „Ich muss dir etwas sagen! Es…es ist wichtig.“
Der Angesprochene blickte sie fragend an. „Was denn? Ist dir nicht wohl? Du wirktest eben bisweilen so, als wärst du nicht ganz bei der Sache!“
Irnfrede lächelte ihn etwas gequält an. „Doch schon. Mir geht es soweit ganz gut. Ich… also was ich dir sagen will, ist…“ sie stockte.
„Na los, jetzt sag es schon!“ lächelte er sanft.
„Ich bekomme ein Kind von dir!“ Ihr Blick zeigte ihm, dass sie keine Scherze machte.
Geromel war wie versteinert.
„G… Geromel?“
Der Ritter setzte sich wieder auf und schlug seine Hände vors Gesicht. „Oh Götter, alles nur das nicht!“
Irnfrede kniete sich hinter ihn und schlang ihre Arme um seine Brust.
„Aber mach dir keine Sorgen, es ist schon alles geregelt!“
Geromel löste sich aus ihrem Griff und drehte sich zu ihr um. „Was soll da geregelt sein?“
„Baronin Selinde wird das Kind, sobald es geboren ist, als das ihre annehmen! Mein Vetter Ludolf ist auch einverstanden. Niemand wird je erfahren, dass es in Wahrheit unser Kind ist! Ist das nicht toll?“ versuchte sie ihn von ihrem Plan zu begeistern.
Geromel blickte sie fassungslos an. „Nein, Irnfrede! Das ist nicht toll. Das ist Wahnsinn!“
„Aber… wieso?“
„Du kannst doch nicht ernsthaft glauben, dass du mit so einer Scharade durchkommst! Selbst wenn du es versuchst, wie viele Leute werden es denn wohl zwangsläufig mitbekommen? Der Burgmedicus? Die Hebamme? Die Bediensteten? So etwas lässt sich einfach nicht auf Dauer verheimlichen! Mach dir doch nichts vor!“
„Wir werden sie alle zum Schweigen verdonnern. Wer redet, wird aufs Höchste bestraft. Wir…“ Ihr eigener Plan kam ihr auf einmal sehr riskant vor.
„Egal was du versuchst, irgendwann wird es dein Vater erfahren. Und was glaubst du, was er dann mit mir machen wird? Mit seinem Ritter, der seine Tochter - sein bestes Pferd im Stall und künftige Gräfin von Reichsforst - um jeden Preis beschützen sollte? Und stattdessen nichts Besseres zu tun hatte, als ihr die Jungfräulichkeit zu nehmen und ihr auch noch einen Bastard einzupflanzen?“ Seine Worte wurden immer verzweifelter.
„Bitte rede nicht so! Ich ertrage es nicht!“ wandte sich Irnfrede zitternd mit feuchten Augen ab. Sie wischte sich eine Träne weg.
„Es gibt nur einen Weg!“ beschloss er leise. „Ich muss fortgehen.“
„Fort? Aber… nein, nein, du musst nicht fortgehen, du darfst nicht fortgehen, Geromel. Ich brauche dich hier! Wir können das schaffen.“ In ihren Augen stand nun blanke Furcht.
„Wenn ich fort bin, und du dich erklären musst, kannst du immer noch sagen, ich hätte mich dir aufgezwungen. So bleibt wenigstens deine Ehre intakt!“
Irnfrede sah ihn entsetzt an: „Aber das wäre glatt gelogen! Ich wollte es doch! Jedes mal!“
Er blickte sie an und sah, dass sie weinte. „Irnfrede, es gibt keinen anderen Weg. Meine Ehre ist nun ohnehin völlig zerstört. Dies war der Preis, den ich dafür zahlen musste, dass ich dich lieben durfte!“
Sie sah ihn verzweifelt an, die Tränen liefen ihr in Strömen über das Gesicht. „Dann nimm mich einfach mit. Ich folge dir wohin du auch gehst!“
Der Ritter schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Dein Vater würde uns jagen, selbst bis ans Ende der Welt. Wir würden ständig auf der Flucht leben und kämen nie mehr zur Ruhe. Außerdem ist dein Platz hier!“
Irnfrede heulte auf und schluchzte: „Du kannst mich doch nicht ernsthaft verlassen, Geromel. Bitte, ich flehe dich an!“
„Wärst du nicht die, die du bist, dann würdest du mich jetzt zum glücklichsten Mann der Welt machen. Wir könnten heiraten, viele Kinder bekommen und für alle Zeiten glücklich sein. Aber dieses Schicksal ist uns nun einmal nicht vorherbestimmt. So sehr wir uns auch danach sehnen. Wir stammen nun mal aus verschiedenen Welten, deswegen gibt es keinen anderen Weg. Es tut mir sehr leid, Irnfrede!“
Er stand auf, nahm seine Sachen auf den Arm und ging zu seiner kleinen Kammer. Irnfrede weinte in ihr Kissen.
Eine halbe Stunde später hatte er seine wenigen Sachen auf sein Pferd geschnallt und ritt durch das Tor der Burg hinaus in die Kälte und die Finsternis.
Irnfrede hielt es nicht aus und lief ihm nur mit einem Wollmantel bekleidet barfuß durch den tiefen Schnee hinterher und rief nach ihm.
Als er sie bemerkte, ließ er sein Pferd etwas schneller traben.
„GEROMEL… ICH LIEBE DICH!!!!“ rief sie ihm verzweifelt hinterher.
Doch der Ritter blickte nur noch nach vorne und ritt weiter. „Ich weiß!“ sagte er mehr zu sich selbst und verschwand in der Dunkelheit.
Irnfrede brach weinend im Schnee zusammen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt.
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