Geschichten:Tal der Tränen - In Travia vereint
Burg Freudenstein 30. Tsa 1044, der lang ersehnte Tag war endlich gekommen. Die Baronin zu Erlenstamm Selinde von Ruchin trat mit ihrem deutlich jüngeren Verlobten Ludolf von Hirschfurten vor den Altar, um in den heiligen Bund der Ehe zu treten. Die Baronin trug ein wunderschönes Hochzeitskleid, welches jedoch nicht den kleinen Bauchansatz völlig kaschieren konnte, der allerdings durch ein umgebundenes Kissen nur simuliert war. Was schon längere Zeit als Gerücht die Runde machte wurde bei der Festansprache des Brautpaares dann endlich bestätigt: Selinde befand sich seit einier Zeit in guter Hoffnung, und man erwartete zum Ende des Jahres endlich einen Erben für Erlenstamm, was von den Gästen mit großem Jubel und zahlreichen Hochrufen aufgenommen wurde.
Zahlreiche Gäste von Nah und Fern waren angereist. Das Haus Ruchin war nahezu vollständig präsent, aber auch von den Hirschfurtens war ein gutes Dutzend nach Erlenstamm gekommen. Auch zahlreiche weitere Hoch- und Niederadelige Häupter waren zugegen, so auch Baron Helon von Hinn zu Nettersquell, und Baron Anaxios von Ochs auf der Viehwiesen gemeinsam mit seiner Gemahlin Chaliba von Brendiltal. Nach der feierlichen Zeremonie, die von der Äbtissin des nahegelegenen Travienkloster St. Falkhilde Landfrieda vom Hangwald geleitet wurde, lud man dann die Gäste zum Festball ein.
Beim Ball ließ es sich der eigens aus Hirschfurten angereiste Baron Nimmgalf nicht nehmen, mit der stolzen Braut zu tanzen, um ihr dabei noch mal persönlich zu ihrem doppelten Glück in Travia und Tsa zu gratulieren. Mit diesem Bund wurde eine starke Allianz zwischen den beiden alten Häusern Ruchin und Hirschfurten geschlossen.
Später ergab es sich, dass er auch seine reizende Tochter Irnfrede zum Tanz auffordern konnte. Anders als noch zu seinem Tsatag im letzten Boron hatte sie dieses mal ein hochgeschlossenes und weiter fallendes Kleid gewählt, für ihre Verhältnisse schon fast zu züchtig.
Während des Tanzes sagte er beiläufig zu ihr: „Wirklich reizend, diese Burg Freudenstein. Ich freue mich sehr, dass es dir hier so gut geht. Gestattest du mir die Frage, Liebes: warum trägst du heute nicht dein schickes rotes Kleid? Ich hatte mich schon gefreut, dich nochmal darin zu sehen.“ Er bemerkte, dass Irnfrede leicht errötete. „Oh, wirklich? Nun… ich dachte, dass du es nicht so gerne sehen würdest, da es dich beim letzten mal doch noch an deine erste Gemahlin erinnert hatte.“
„Ach deswegen hast du darauf verzichtet es zu tragen? Nur aus Rücksichtnahme auf mich?“ lächelte Nimmgalf. „Ich kenne dich etwas besser, mein Kind! Komm schon, sag mir die Wahrheit, hm?“
Irnfrede wurde leicht nervös, denn sie hatte beim Ankleiden versucht ihren kleinen Babybauch so gut es ging zu kaschieren, immerhin war sie schon im 6. Mond schwanger, was langsam immer deutlicher sichtbar wurde, wodurch das Tragen ihres dunkelroten Seidenkleides unmöglich geworden war. Hatte er vielleicht etwas bemerkt? Verflixt, sie musste sich schnell etwas einfallen lassen.
„Nun gut, Vater, ich sage es dir“, zischte sie leise. „Aber ich will keine dummen Witze hören! Ich habe leider über den Winter etwas zugelegt, und daher passt es mir nicht mehr so gut. Sobald es draußen wieder grüner wird, werde ich gegen die überzähligen Pfunde aber vorgehen, das kannst du mir glauben“, flüsterte sie ihm zu.
Nimmgalf schmunzelte. „Zu schade. Obschon dir dieses weite Kleid natürlich auch gut steht, keine Frage. Zugleich ist es aber auch das beste Kompliment aus deinem Munde an die Erlenstammer Küche.“
„Ich sagte doch, keine dummen Witze, Vater!“ funkelte ihn Irnfrede erbost an. Insgeheim war sie aber erleichtert, dass er ihr die kleine Notlüge geglaubt hatte. Nimmgalf grinste noch ein wenig und genoss den Rest des Tanzes mit seiner schönen Tochter.
Als er sie zurück zum Platz geleitet hatte, sprach er sie nochmal an: „Irnfrede, eine Sache noch: nach der Absage aus den Nordmarken stehe ich momentan wieder in Verhandlung mit einem hohen Haus bezüglich eines passenden Bräutigams für dich, diesmal mit einem horasischen. Es sieht so aus, dass ein Vetter der Phalanxana von Toricum in der Coverna – das ist in etwa vergleichbar mit einer Gräfin – ein junger Mann aus dem hochadeligen Hause Torrem als Bräutigam für dich in Frage käme. Wenn alles klappt, wird er schon im nächsten Götterlauf nach Garetien kommen, anschließend werden wir dann eure Verlobung verkünden.“
Irnfrede schwieg einen Moment lang und überlegte: „Dann hoffe ich sehr, dass Deine Bemühungen diesbezüglich zum gewünschten Erfolg führen werden, Vater!“ sagte sie.
Nimmgalf blickte sie etwas überrascht an. „Nanu? Das klingt ja ganz so als wärest du dieses mal mit meiner Wahl einverstanden?“
„Was bliebe mir auch anderes übrig, Vater? Ich bin überzeugt, dass du alle Aspekte gut abgewogen hast, um den bestmöglichen Ehemann für mich zu finden!“
Nimmgalf nickte: „Das habe ich in der Tat. Ich sehe es mit Wohlwollen, dass du dem Ganzen nun positiv entgegenblickst. Dann kann ja zumindest von unserer Seite her nichts mehr schiefgehen.“
„Gewiss, Vater!“ Irnfrede lächelte ihn an, doch dieses mal war es aufgesetzt. Tief im Inneren waren ihr andere Männer völlig egal, ganz gleich wer sie waren oder woher sie stammten. Sie musste immer nur an ihren Liebsten denken. Doch er war fort. Und sie vermisste ihn schmerzlich.
„Wo ist eigentlich Ritter Geromel?“ fragte Nimmgalf sie plötzlich – so als hätte er ihre Gedanken erraten. „Ich hatte ihn doch letzten Mond zurück zu dir geschickt. Ich würde ihn gerne sprechen.“
Irnfrede wurde blass. „Ritter… Geromel? Ich … ich weiß es nicht, Vater… er ist hier nicht angekommen.“ Sie schüttelte den Kopf.
„Was? Unmöglich! In Hirschfurten ist er auch nicht.“ Nimmgalf sah sie etwas überrascht an.
„Aber… bei den Göttern, ich hoffe doch, ihm ist nichts Schlimmes widerfahren!“
„Geromel ist ein zäher Hund. Dem passiert so schnell nichts. Aber trotzdem eigenartig, dass er nicht hier angekommen ist, und sich nirgends gemeldet hat. Ich denke, ich werde nach ihm suchen lassen. Ich habe da einen Experten zur Hand für solche Fälle.“
„Wirklich?“ platzte es aus Irnfrede heraus – etwas zu leidenschaftlich, schalt sie sich in Gedanken. „Ich meine, es wäre gut, wenn er gefunden werden könnte. Er hat mir stets gute Dienste als Beschützer geleistet, Vater“, fügte sie rasch an.
„Ja. Ich werde dir einen weiteren Ritter und fünf meiner Wachen aus Hirschfurten herschicken. Wenn du deine neue Burg beziehst, werden sie deine hiesigen Burgwachen ausbilden. In diesen Zeiten brauchst du auf jeden Fall ausreichend Schutz in deinem neuen Heim. Noch ist die Fehde nicht ausgestanden, auch wenn sich so langsam alle Parteien wieder in ihre Pfründe zurückziehen.“
„Danke, Vater. Ich weiß das sehr zu schätzen, was du für mich tust.“ Sie gab ihm einen zarten Kuss auf die Wange.
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