Geschichten:Tal der Tränen - Um Leben und Tod
Triggerwarnung!!
Die folgende Geschichte hat es in sich! Wer schon einmal eine schwere Geburt miterlebt hat, oder bei so etwas stark emotional reagiert, sollte diese Geschichte besser nicht lesen.
Es war der Abend des 30. Rahja 1044 BF. Schon seit Stunden hallten Irnfredes Schreie durch die Baronsgemächer von Burg Freudenstein. Das Kind in ihrem Bauch war nun schon ein paar Tage überfällig, und die Wehen hatten voll eingesetzt. Aus Gründen der Geheimhaltung hatte man den Dienern strickte Anweisungen gegeben, dass vom Personal niemand außer dem barönlichen Leibmedicus Gerbald von Dachsen und der Hebamme Janne die Gemächer betreten dürfe, schließlich sollte es ja offiziell das Kind von Selinde von Ruchin sein. Aus diesem Grunde hatte sich Irnfrede in den letzten Wochen auch weitegehnd von der Öffentlichkeit isoliert, weil sich ihre Schwangerschaft rein optisch schon nicht mehr verheimlichen ließ.
Ludolf kam eilenden Schrittes hereingestürmt und schloss hinter sich die Türe. „Was ist denn los? Diese Schreie sind ja unerträglich. Kommt das Kind jetzt bald?“
Irnfrede lag nackt, schwitzend und nur in dünne Decken gehüllt auf dem herrschaftlichen Doppelbett und keuchte schwer. Immer wieder stieß sie gequälte Schreie aus, wenn die Wehen einsetzten. Selinde kniete an ihrem Haupt, hielt ihre Hand und strich ihr die verklebten Haare aus dem Gesicht. Sie warf Ludolf einen besorgten Blick zu. Der junge Burgmedicus Gerbald von Dachsen untersuchte immer noch Irnfredes stark angeschwollenen Bauch und die Lage des Kindes.
Dann blickte er den Baron an. „Es tut mir leid, Euer Hochgeboren, aber ich habe keinen guten Neuigkeiten. Es gibt Komplikationen: das Kind hat sich nicht gedreht, und ich fürchte die Nabelschnur hat sich verwickelt. So wird es sich beim Geburtsvorgang selbst strangulieren.“
„WAS??? Dann tut was dagegen, verdammt noch mal!“ fuhr Ludolf ihn an.
Der junge Mann zuckte mit den Schultern und senkte den Blick: „Ich versuche es ja, aber ich fürchte, da kann ich von hier aus nichts tun.“
„IHR MÜSST ETWAS TUN! Irnfredes Kind wird sonst sterben!“ Er blickte sich hilfesuchend zu Selinde um. Irnfrede stöhnte laut auf: „Es tut so… weh… aaaahhh!“
Selinde blickte erst Irnfrede traurig an, und dann den Medicus. „Können wir da gar nichts tun?“
Der Medicus antwortete: „Es gäbe einen Weg, wie wir wenigstens das Kind retten können. Wir schneiden es aus ihrem Bauch heraus. Ich habe das zwar noch nie gemacht, aber wenn wir behutsam vorgehen, kann das Kind den Eingriff überleben.“
Ludolf packte den Medicus wütend am Schlafittchen: „Bist du wahnsinnig, Mann? Wie soll ich das denn meinem Onkel Nimmgalf und seiner Frau erklären, dass ihre Tochter mit einem Bastard im Bauch hier verblutet ist?“
Selinde griff ein: „Lass ihn! Aber so würde dann wenigstens das Kind leben!“
Der Medicus stimmte ihr zu: „Wenn wir es nicht tun, dann werden beide sterben, Herr!“ fürchtete er.
Irnfrede wimmerte: „Bitte… bitte nicht… Ich… will nicht… sterben…“, dann folgte erneut ein gequälter Schmerzensschrei.
Ludolf lief nun völlig panisch hin und her. „Nein, nein, NEIN! Das darf nicht passieren! Hätte ich mich doch niemals auf so etwas eingelassen. Jetzt seht ihr wohin uns das geführt hat! Wo bleibt denn bloß der Geweihte aus Erlenstamm? Er müsste schon seit Stunden hier sein. Was machen wir nur, wenn sie wirklich stirbt?“ Völlig außer sich blickte er Selinde verzweifelt an, doch diese war auch ratlos. „Versucht wenigstens es irgendwie noch zu drehen!“ wies er den Medicus an.
Bange Minuten vergingen und Irnfredes Zustand verschlechterte sich zusehends. Immer wieder folgten neue Wehen, immer wieder schrie sie ihre Pein heraus und wurde zusehends schwächer. Und die Sonne sank tiefer und tiefer.
Schließlich sagte der Medicus traurig: „Es tut so mir leid, Euer Hochgeboren, aber die Zeit wird knapp. Bald fangen die Tage ohne Namen an, wenn es überhaupt noch eine Hoffnung geben soll, dann müssen wir das Kind noch vorher herausholen.“
Selinde sah Irnfredes Entsetzen im Gesicht, aber sie nickte traurig. Die Baronin hatte feuchte Augen, als sie ihre Hand drückte und ihr noch einen letzten Kuss auf die Stirn gab. „Ich werde deinem Kind eine gute Mutter sein, das schwöre ich dir bei den Göttern“, versicherte sie ihr schluchzend. Irnfrede weinte bitterlich. „Dann… lebt wohl. Ich sterbe … damit mein Kind… leben kann.“ Dann schloss sie die Augen. „Du bist so tapfer, Liebes!“ Selinde weinte ebenfalls.
Ludolf konnte es nicht mitansehen und vergrub verzweifelt sein Gesicht in den Händen. Der Medicus hatte das Skalpell schon in der Hand und setzte es senkrecht knapp unter Irnfredes Bauchnabel an. Diese machte noch einmal die Augen auf. „Wartet…“ der Medicus hielt nochmal inne. „Wenn es ein Junge ist… soll er Rondrasil heißen, ein Mädchen hingegen Ruffina!“ Selinde nickte. „So soll es sein! Du hast mein Wort.“ Dann schloss Irnfrede wieder die Augen und zitterte. Man konnte sehen, dass sie furchtbare Angst hatte.
Erneut setzte der Medicus das Skalpell an, als plötzlich die Tür aufgestoßen wurde und ein älterer kräftiger Mann in dunkelgrüner Robe hereingestürmt kam. Erschrocken blickten die Anwesenden auf: es war Bruder Laurentian, Geweihter der Peraine und Hüter der Saat aus Erlenstamm, er erkannte sofort was da vor sich ging. „Stopp! Haltet ein!“ rief er. Der Medicus hielt sofort inne.
Schnellen Schrittes lief der große Mann zu Irnfrede an die Bettstatt und drängte den Medicus beiseite. „So wird das böse enden!“ sagte er tadelnd.
Ludolf und Selinde blickten ihn voller Hoffnung an: „Bruder Laurentian, den Göttern sei Dank! Könnt Ihr sie und das Kind noch retten?“ fragte Selinde.
„Ich werde es versuchen. Doch damit es gelingt, müssen alle mithelfen. Du“, er zeigte auf Ludolf „stell dich hinter ihren Kopf und lege ihr ein Beißholz zwischen die Zähne. Sie darf auf keinen Fall ohnmächtig werden. Solange sie schreit, ist sie bei Bewusstsein. Sobald das Kind aus dem Bauch raus ist, flößt du ihr diesen Wirseltrank ein!“ Ludolf nickte, nahm die Ampulle entgegen und befolgte die Anweisungen.
Er blickte den jungen Medicus Gerbald von Dachsen an: „Du hältst die Wundränder auseinander, bis ich das Kind herausgeholt habe. Achte darauf, dass sie sauber bleiben und nichts herausquillt!“ Dieser nickte nur. Offenbar wusste der Mann, was er tat, also überließ er ihm die Führung, schließlich ging es hier um Leben und Tod.
Zu Selinde gewandt: „Du wirst das Kind gleich annehmen und so halten, dass ich die Nabelschnur abtrennen kann. Dann gibst du es der Hebamme. Es muss unbedingt schnell atmen, sonst erstickt es.“ Auch Selinde und Janne nickten.
„Außerdem müsst ihr die Beine, ihre Arme und ihre Schultern so kräftig ihr könnt aufs Lager drücken. Jede falsche Bewegung von ihr kann fatale Folgen haben.“ Ludolf und Selinde packten darauf je einen von Irnfredes Armen mit beiden Händen und drückten sie so gut es ging herunter. Die Hebamme hielt derweil die Beine fest.
Nachdem alle verstanden hatten was zu tun war, nahm der Geweihte sein eigenes Skalpell aus der Tasche, welches am Griff das Symbol der Peraine trug, und so stets scharf und sauber blieb. „Keine Sorge. Ich war mal Feldchirurg, ich hab da einiges an Erfahrung sammeln können. Man setzt den Schnitt am Bauchansatz quer, und nicht längs, sonst besteht die Gefahr, dass man die Nabelschnur verletzt. Außerdem heilt die Wunde so viel leichter. Merk dir das!“ sagte er zu Gerbald gewandt. Der Angesprochene verstand und sah sich alles genau an.
Der große Geweihte holte noch etwas aus seiner Tasche und blickte Irnfrede ernst an, die ihn mit zusammengepressten Lippen ansah: „Das wird jetzt leider sehr wehtun! Aber du bist jung und stark, du wirst es schaffen! Schluck diese Samenkapsel vom Bleichmohn, sie wird deine Schmerzen etwas lindern!“ Irnfrede nahm die Kapsel in den Mund und Selinde gab ihr etwas Wasser, um sie herunter zu spülen.
Bruder Laurentian wusch sich noch gründlich die Hände, und dann begann er den Eingriff. Die nun folgenden Qualen waren unbeschreiblich. Irnfrede schrie sich die Seele aus dem Leib, als Bruder Laurentian ihr den Bauch und die Gebärmutter aufschnitt. Eine Menge Blut trat aus, und färbte die Laken und Gewänder rot. Alle Beteiligten waren aufs Höchste konzentriert und gemeinsam unter größten Anstrengungen schafften sie es schließlich, das Kind unversehrt aus Irnfredes Bauch zu holen. Selinde nahm es vorsichtig an, so dass Bruder Laurentian die verwickelte Nabelschnur abtrennen und entfernen konnte.
Anschließend nahm die Hebamme den kleinen Körper von Selinde entgegen und gab ihm einen leichten Klaps auf den Po, so dass es anfing zu schreien. „Es atmet!“ rief sie erfreut. „Und … es ist ein Junge!“
Selinde und Ludolf sahen sich erleichtert an. Aber Irnfrede rührte sich nicht mehr. Ludolf hatte noch versucht, ihr den heilsamen Trank einzuflößen, doch hatte sie nur wenig davon schlucken können, bevor sie das Bewusstsein verlor.
„Ist sie… tot?“ fragte er leise mit zitternder Stimme und nassen Augen.
Nachdem er noch vorsichtig den überschüssigen Mutterkuchen entfernt hatte, legte der Geweihte seine blutigen Hände über die klaffende Wunde, rieb dann ein wenig zerriebenen Knoblauch darauf und begann zu beten: „Gnädige Peraine, Göttliche Heilerin, schenke diesem Leib Deine Kraft.“ Immer wieder wiederholte er die heilige Liturgie, und auch die anderen stimmten mit ein. Es folgten bange Augenblicke der Ungewissheit, doch dann wurden sie Zeugen, wie sich die Wunde an Irnfredes Bauch langsam wieder schloss. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Sonne unterging. Nicht mal eine Narbe war noch zu sehen.
Selinde horchte an ihrem Gesicht und nahm eine ganz schwache Atmung wahr: „Ich glaube sie lebt!“ flüsterte Selinde mit Tränen in den Augen. „Sie lebt!!! Bei den Göttern, es ist ein Wunder!“
Etwas später schlug Irnfrede die Augen auf. „Was… was ist passiert?“ hauchte sie völlig entkräftet. Ludolf hatte das Kind auf den Arm genommen und legte es nun vorsichtig neben sie.
„Darf ich vorstellen: Rondrasil von Ruchin, ein kräftiger Junge und Erbe einer Baronie! Und dein Sohn“, lächelte er milde. Irnfrede nahm das Kind in den Arm und gab ihm vorsichtig einen Kuss auf das kleine flaumige Köpfchen. Erneut weinte sie, aber dieses mal voller Glück und Dankbarkeit, derweil Bruder Laurentian es sich nicht nehmen ließ, dem neuen Derenbürger den Geburtssegen zu spenden.