Geschichten:Tauben und Wölfe - Ein Wolf im Schafspelz
2. Teil - Ein Wolf im Schafspelz
Burg Greifenklaue zu Uslenried, kurz nach Mitternacht am 1. Peraine 1032 BF
»Was ist hier eigentlich los?« fiel Yalinda im wahrsten Sinn des Wortes mit der Tür ins Haus, denn sie sprach diese Worte, noch bevor sie den Raum vollends betreten hatte. Hinter ihr traten Jessa al Tern und ein reichlich eingeschüchtert wirkender Gerban in das Kaminzimmer; der Knappe machte ganz den Eindruck, als ob er sich zu einen Fehl am Platze und noch dazu äußerst unwohl in seiner Haut fühlte.
Wulf hingegen überging die Bemerkung seiner Schwester geflissentlich und bedeuetete den Neuankömmlingen, ebenfalls Platz zu nehmen. Yalinda allerdings schlenderte erst einmal hinüber zur Anrichte, nachdem sie der Weinkrüge ansichtig geworden war, und goß zwei Becher ein. Dann erst schlenderte sie zu einem der Sessel und ließ sich neben Jessa nieder, der sie den zweiten Becher reichte.
»Gerban, nun setzt Dich endlich und steh nicht wie ein falscher Kreuzer in der Gegend herum«, fuhr der Baron seinen Knappen an, der noch immer unschlüssig nahe der Tür herumstand.
»Also, was gibt es nun so wichtiges, daß Du uns mitten in der Nacht hierher auf die Burg beorderst?« fragte Yalinda erneut, derweil Cern in Kenntnis der Hartsteener Depesche sich das Grinden nicht verkneifen konnte.
»Es ist so«, begann Wulf mit wichtiger Mine, »daß ein gewisser Reichsvogt – nein, Pfalzgraf schimpft er sich ja inzwischen – zu Sertis sich bislang wenig um jene seiner Untergebenen gekümmert hat, die man als die Sertischen Steinwölfe oder auch den Sertischen Teil der Waldsteiner Wölfe kennt.«
»Jaja, das ist nichts neues«, fuhr Yalinda dazwischen.
Auch Wulf mußte nun ob der Bemerkung grinsen, schließlich war Yalinda die Kommandantin der Gesamttruppe und hatte sich mehr als einmal über den schlechten Zustand und die Moral der Sertiser beklagt. »Nunmehr ist es aber so, daß der gute Hilbert sich mit einem Schlag sogar sehr für die Söldner interessiert – und zwar nicht nur für seine eigenen, sondern für alle. Um es anders auszudrücken: Er hat sie angefordert.«
Yalinda zog die rechte Augenbraue hoch. »Alle?«
»Alle.« Wulf nickte und reichte ihr die Depesche. Yalinda nahm das Papier entgegen und hielt es so, daß auch Jessa mit hineinsehen konnte.
»Der Harststeener im Duell mit dem Höllenwaller auf’s dritte Blut? Ich fass es nicht!« erwiderte Yalinda mit einem hämischen Grinsen.
»Dieser Schwächling«, zischte Jessa. »Der übersteht ein Duell doch keine zwei Minuten!«
»Dann können wir demnächst ja zur Beerdingung nach Sertis reisen. Oder wird er eher in Hartsteen bestattet?« witzelte Yalinda.
»Nanana, so weit wird es wohl hoffentlich nicht kommen. Warum also wird er die Wölfe wohl anwesend wissen? Weil er sich natürlich irgendwie aus der Affäre zu ziehen versuchen wird. Und da wir uns mit den Hartsteener verbunden fühlen...«
»...werden wir also mit den Wölfen gen Osenbrück ziehen«, ergänzte die Kommandantin.
»Ganz recht, Schwesterherz. Ich habe bereits einen Boten nach Streitzensfeld gesandt, daß ich die dortigen Rudel zur Mittagstund hier erwarte. Sobald sie eingetroffen sind, brechen wir auf.«
»Wir?« fragte Yalinda und sah ihn an. »Das heißt, Du kommst mit?«
»Natürlich. Glaubst Du, den Spaß möchte ich mir entgehen lassen? Außerdem bin ich neugierig, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Irgend etwas muß folglich bei der Einsetzung der Mersinger Pfalzgräfin im Greifenfurtschen vorgefallen sein, daß die beiden nun im Zwist liegen.« Wulf mußte lachen, als er sich Hilbert in einer Rüstung steckend vorstellte.
»Und außerdem ist der Höllenwaller bei den Pulethanern, derweil Hilbert den Pfortenrittern angehört«, warf Cern noch ein.
»Na, das kann ja was werden. Am Ende gibt es noch ein schönes Blutbad...« feixte Jessa.
»Also, damit verfahren wir wie folgt: Sobald die Streitzensfelder Rudel morgen hier eintreffen, brechen wir auf. Nur leichtes Gepäck und Verpflegung für ein paar Tage, wir reisen entlang der Straßen; wenn es not tut können wir uns mit Proviant versorgen. Ein paar Packpferde können allerdings nicht schaden, wenn wir nicht im gänzlich im Freien nächtigen wollen. Cern hält hier die Stellung und führt das Kommando, solange ich fort bin. Gerban, für uns nimmst Du meinen Tralloper Riesen. Wir nehmen nur leichte Rüstung mit; Kettenhemd und Wappenröcke, das kann gleich ins Gepäck«, wies Wulf seinen Knappen an.
Jener schaute etwas pikiert und verunsichert.
»Jaja, wir reisen inkognito«, grinste Wulf. »Wir wollen meine Anwesenheit schließlich nicht so sehr an die große Glocke hängen, und außerdem tragen mir die Schwertler ja das Mühlingen immer noch nach. Wir wollen sie schließlich nicht provozieren...«
»Das heißt dann wohl, daß ich Dir Befehle geben kann, wenn Du als einer der Söldner reist, was?« scherzte Yalinda. »Das wird mir eine besondere Freude sein.«
»Übertreib es bloß nicht, Schwester«, erwiderte Wulf. »Für den Augenblick war das alles; wir sehen uns morgen, spätestens zum Mittag.«
Die Versammelten tranken aus, dann erhoben sie sich. Gerban von Hallerstein blickte noch immer unzufrieden daher; die ganze Angelegenheit schien ihm wenig ritterlich und befremdlich. Seinem Schwertvater blieb die finstere Mine allerdings nicht verborgen.
»Besondere Zeiten verlangen besondere Maßnahmen. Du solltest Dich daran gewöhnen«, gab Wulf seinem Knappen mit auf den Weg, und Jessa nickte zustimmend.
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