Geschichten:Trügerischer Schein - Teil 24: Ein Schiff wird kommen I
Dramatis personae:
- Lyn ni Niamad von Brendiltal, Baroness von Brendiltal
- Rash'ijd han Rab'a Enock (Rashid von Rabenstock), Krieger der Feshavener Blutgarde
- Sequim von Alxertis, Ritter zu Goldackern
- Hakon von Sturmfels, Kapitän der Admiral Dozman
- Alfred Beradje von Schwertwacht, Leutnant des Zornesordens
- Unswin von Keilholtz, Krieger des Zornesordens
- Chaantrea, Novizin im Zornesorden
- Bruder Thurbold, Golgarit aus Brendiltal
Baronie Haselhain, Dorf Gaulsfurt, Praios 1034 BF
Die Reise über den Darpat hatte nicht lange gedauert, musste Alfred Beradje feststellen. Die Admiral Dozman hatte gute Fahrt gemacht und da die leichte Brise im Tagesverlauf sogar noch auffrischte, ging es wahrlich flott und angenehm kühl von statten. Alfred, dem das Unbehagen Unswins nicht verborgen geblieben war, hatte diesen, zusammen mit Chaantrea in verschiedene Gespräche verwickelt und hatte ebenso den Kapitän von Sturmfels in die Unterredung bezüglich der gefundenen Leiche mit einbezogen.
Bei der Leiche schien es sich um einen Fischer, nebachotischer Abstammung zu halten. Der Mann schien in etwa Mitte 50 gewesen zu sein, wobei sein Gesicht recht wettergegerbt schien. Ansonsten war die Leiche im recht guten Zustand – besonders verglichen mit der halb zerfetzten Leiche, die sie bei Dergelmund aus dem Darpat gefischt hatten. Eine offensichtliche Todesursache war nicht erkennbar, vielmehr hatte es fast den Anschein, als sei der Fischer einfach ertrunken, was recht ungewöhnlich wäre. Nun standen die Zornesritter wieder vorne am linken Bug des Schiffes und sahen, wie sie sich dem kleinen Fischerort in Haselhain zügig näherten.
Vom Ufer aus sahen die Bewohner des kleinen Dorfs, dass die sich rasch nähernde Galeere offenbar eben ihr Dorf anlaufen wollte. Der Kommandant des Schiffes ließ bereits das Segel einholen und Fahrt aus dem Schiff nehmen. Die geübten Ruderer verringerten die Schlagzahl und bremsten die kleine Bireme schließlich gänzlich ab, so dass sie in der Nähe der Anlegestelle am Darpat zum Stehen kam. Es nutze seinen geringen Tiefgang dabei beinahe vollends aus und war in dem flachen Wasser in Ufernähe Anker. Spätestens jetzt konnte auch ein jeder das große Banner am Heck erkennen. Es zeigte das Wappen der Markgrafschaft.
Am Ufer konnten die Flussreisenden einiges an Bewegung ausmachen. „Ziemlich viel los dort am Ufer“, stellte Alfred lapidar fest. „Und sieh einmal dort unweit vom Ufer sind auch einige Pferde auszumachen.“ sagte er an Unswin gewandt. „Zudem scheinen die Menschen dort gewappnet und bewaffnet zu sein, wie der Widerschein des Lichts zu verraten scheint?“ führte Alfred weiter aus. Während das Schiff an Fahrt verlor und sich nun immer langsamer der Anlegestelle näherte blinzelte Alfred in das Licht und nahm seine linke Hand über die Augen, um diese vor dem Licht zu schützen. Dann streckte er die Rechte aus und meinte, „Unswin, dort, die Frau neben dem Nebachoten, ist dies nicht Lyn ni Niamad von Brendiltal?“
Der junge Zornesritter sah auf den Fingerzeig seines Leutnants genauer hin und erkannte die Baroness tatsächlich wieder. Beim Hochzeitsturnier im vergangenen Götterlauf war sie ihm als willensstarke Persönlichkeit in Erinnerung geblieben. „Ich glaube du hast Recht Alfred. Wie es scheint, zieht die Geschichte größere Kreise als bisher angenommen. Wenn die hohen Herrschaften schon persönlich anreisen, muss mehr im Argen liegen als wir bisher vermutet haben.“
Der Feshavener Krieger Rash’ijd beugte sich leicht zur Seite an das Ohr der Baroness und sprach verschwörerisch auf nebachotisch zu ihr, die gerade mit dem Rücken zum Fluß stand, da sie den in weiter Ferne davon reitenden Nebachoten und Nedarna nachsah: „Mar’ola (Edle/Prinzessin), wir bekommen erneut Besuch.“ Dann stellte er sich wieder stumm an ihre Seite. Die Angesprochene drehte sich zum Fluss. „Das sind Zornesritter“ war ihre überraschte Antwort.
Hakon ließ derweil schon das Beiboot klar machen. „Ganz schöner Auflauf“, kommentierte sein erster Offizier die Bewaffneten im Dorf und die übliche Reaktion der Bewohner, wenn sie irgendwo eintrafen. „Das wird nicht von ungefähr kommen.“ Der Sturmfelser winkte einen der Bewaffneten der Dozman zu sich, der ihn begleiten sollte. „Ich gehe mit den Gästen an Land. Ihr haltet mir die Dozman in Bereitschaft. Ich will schnell aufbrechen können, wenn es nötig ist.“ Schon bald darauf saßen sie alle im Beiboot, um die kurze Strecke zum Ufer zu überwinden, wo es wenig später knirschend zum Liegen kam. In einiger Entfernung näherte sich bereits die kleine Gruppe um die albernische Baroness. „Während wir das hier klären, überführt ihr die Leiche.“ Wies der Kapitän die Matrosen an, derweil er seinen Dreispitz zu recht rückte. „Sie werden einen Boronanger haben, wo er bestattet werden kann.“ Nach einer kurzen Begrüßung, die ob der Bekanntschaft einiger der Anwesenden entsprechend herzlich ausfiel, zumindest unter denen die sich kannten, kam der Seeritter in seiner gewohnten Art auch schon auf den Grund für ihr Hier sein zu sprechen. Erneut scheint das ‚Untier vom Darpat’, sein Unwesen zu treiben. Oder jemand wollte, dass man das dachte. Neben verschiedenen Gerüchten, Geschichten, wie sie schon seit einiger Zeit die Runde machten, sei vor kurzem eine Leiche in den Efferdtempel von Dergelmund gebracht worden. Ein übel zugerichteter Nebachote, wohl ein Fischer. Er mochte kaum mehr denn 20 Götterläufe alt gewesen sein. Ein Arm und Bein waren glattweg abgerissen, die Leiche selbst durchlöchert. Einzig eine auffällige Narbe im Gesicht könne wohl helfen, ihn zu identifizieren. Da es zu der Geschichte eines verschwundenen Fischers in Haselhain passte, sei man hierher gekommen. Auch weil man von einem Augenzeuge gehört hatte, der das Monster gesehen haben wollte. Auf der Fahrt hierher habe man dann eine weitere Leiche aus dem Fluss geborgen. Ebenfalls einen dieser Nebachoten, der wohl zwei, drei Tage im Wasser gelegen haben mochte. „Die Tatsache Euch hier anzutreffen, legt zumindest den Schluss nahe, dass auch Ihr den Gerüchten nachgeht, Hochgeboren“, endete der Sturmfelser schließlich seine kurz gehaltenen Ausführungen.
Lyn ni Niamad von Brendiltal blickte neben dem Sturmfelser auch die anderen Neuankömmlinge an „Dem ist in der Tat so. Wir wollten gerade gen Gnitzenkuhl aufbrechen um uns Leomara von Isenbrunn anzuschließen. Außer uns sind Al'Arik han Kur'barun sowie Kain und Kor’win, zwei nebachotische Jäger, auf der Suche nach dem Untier oder was auch immer dahinter stecken mag. Ihr habt sie knapp verpasst, sie sind gerade mit Nedarna von Trollsteige gen Perricum weitergereist. Dort werden sie wohl auch auf Magister Gerion von Keres treffen, der ebenfalls den Gerüchten nachgeht.“ Dem Seeritter fiel dabei auf, dass ein nebachotischer Krieger in schwarzer Rüstung mit roten Applikationen nicht von der Seite der Baroness wich (ohne aber aufdringlich zu sein), als sie auf ihn zutrat.
Sequim von Alxertis, der junge Rotschopf aus der Nachbarbaronie zeigte mit der Rechten auf die Männer an Bord, die wohl gerade daran waren die Leiche auf das Beiboot zu bringen. Er ging davon aus, dass der Leichnam, der gerade entladen wurde derjenige war, der in Gnitzenkuhl vermisst worden war, und wollte zum Wohle der dortigen Familie intervenieren. „Ähm, verzeiht Hoher Herr, aber ich fürchte die Familie des Nebachoten aus Gnitzenkuhl- das müsste der Leichnam mit der Narbe sein, wird wenig angetan sein, wenn er hier seine Ruhe fände. Wenn ich eurer Schilderung recht gefolgt bin, so dürfte es sich bei einem der Beiden um den Kuhhirten handeln, die Salva von Bleichenwang und auch Leomara von Isenbrunn suchen. Die beiden drehen derzeit jeden Stein nach den Vermissten um.“
Als er bei dem Begriff Vermissten merkte, dass Hakon von Sturmfels wohl noch nichts darüber wusste, holte Sequim tief Luft und berichtete über die ersten Funde der nachträglich verkohlten Rinderleiber, die merkwürdigen Spuren und die vermissten Kuhhirten. Auch ließ er nicht unerwähnt, dass wohl Reste von gewirkter Magie zu finden gewesen waren, doch darüber wusste er wenig, war er doch nicht zugegen gewesen, als der Magus, Gerion von Keres, dies überprüft hatte.
Während seiner Ausführungen wanderten die Blicke des jungen Ritters über die gesamte Gruppe, sodass ein jeder sich mehrfach einer kurzen Musterung unterzogen gefühlt sah, die jedoch eher aus schalkhafter Neugier denn aus sonst einer Regung geschah.
Chaantrea runzelte missbilligend die Stirn, als die neugierigen Blicke des jungen Mannes sie streiften. Ihr entging nicht, das ein jeder von ihm beäugt wurde, doch das änderte nichts daran, dass sie es hasste begafft zu werden. „Ich glaube nicht, dass die Gnitzenkuhler Nebachoten ihren Vermissten in heimatlicher Erde bestatten werden können. Es sei denn, sie wollen ihn aus seinem eingesegneten Grab in Dergelmund ausbuddeln. Ich hörte, dass sich manche Nebachoten um solche Kleinigkeiten wie einen Grabsegen nicht viel scheren.“ Der Ton der hübschen Novizin war herausfordernd, auch wenn sie nach einem strafenden Blick Ritter Unswins die Augen niederschlug und auf ihre Stiefelspitze starrte.
Sequim erkannte seinen Denkfehler, warf der Novizin aber nur einen tadelnden Blick zu, wie er ihm wohl auch einem kleinen Jungen zugeworfen hätte, der soeben mit seiner Zwille auf lebende Tiere geschossen hätte. Doch andere Anwesende nahmen die bissige Spitze der rangniedrigsten unter ihnen weniger gut auf.
Jetzt fiel der Blick der Baroness missbilligend auf die Novizin. „Hörtet ihr so etwas?“ Ihr Ton war streng und auch ein wenig barsch, ehe sie sich ohne eine Antwort abzuwarten an die beiden Zornesritter wandte. „Mir scheint, Eure Novizin muss noch einiges lernen. Vor allem aber Respekt vor anderen zwölf-göttergläubigen Völkern.“ In ihren Augen lag ein leicht herausfordernder Blick den Unswin vom Sturmfels her noch gut genug kannte, und das Versprechen, dass sie sich solche Beleidigung ihrer angeheirateten Familie nicht gefallen lassen würde.
Rash’ijd der gerade ob der beleidigenden Feststellung der Novizin, soweit er sie verstanden hatte, auch einen finsteren Blick aufsetzen wollte, war erstaunt ob der Reaktion der Baroness. Und sie stieg sofort in seinem Ansehen und so baute er sich nun provozierend hinter Lyn auf.
Die Novizin hob indess trotzig den Kopf und sah die Brendiltaler Baroness direkt an. „Seid gewiss, dass ich weder Euch noch Eure Familie beleidigen oder gemeint haben wollte. Trotzdem gibt es unter den Nebachoten Sippen, denen ich den genannten Frevel durchaus zutraue. Das ist eine Wahrheit die Ihr natürlich abstreiten könnt. Ihr könnt auch gerne versuchen sie mit eurem Schwert verstummen zu lassen. Aber damit wird sie nicht unwahr.“ Chaantrea ignorierte weiterhin die bösen Blicke Unswins und konzentrierte sich ganz darauf Lyns Blick zu begegnen und ihm standzuhalten.
Hakon von Sturmfels warf erst einen kurzen Blick auf die Novizin und dann auf die beiden Zornesritter. Auch wenn er die Worte der jungen Frau sofort unterschreiben würde, so ein Verhalten geziemte sich nicht. Knappen oder Novizen hatten sich zurückzuhalten. Er hatte auch durch diese Schule gehen müssen. Würde Chaantrea ihm unterstehen, er würde es ihr beibringen.
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