Geschichten:Trügerischer Schein - Teil 48: Der Tod kommt Nachts I
Dramatis personae:
- Kor’win von Brendiltal, Jäger
- Kain aus Brendiltal, Ziehsohn Korwins
- Al'Arik han Kur'barun, Edler zu Feshaven
- Nedarna von Trollsteige, Reshminianerin
- Gerion von Keres, Magier aus Garetien
Markgrafschaft Perricum, Ein Hain, Praios 1034 BF
Die recht mitgenommene Gruppe um Nedarna, dem stark verletzten Gerion, Kor’win und Al’Arik erreichte nach den letzten turbulenten Stunden endlich den Hain, in dem sie ihre Pferde zuvor platziert hatten. Dort wartete auch schon Kain auf sie, der auch ein wenig mitgenommen schien, da auch bei ihm einige kleinere Blutflecken auf seiner Kleidung davon zeugten, dass auch er wohl nicht um Handgreiflichkeiten umher gekommen war. Man tauschte sich kurz aus um dann die Pferde zu besteigen und im Eilritt gen Gnitzenkuhl los zu preschen. Das Pferd Ri’djetos führte Al’Arik dabei an seiner Seite, was bei ihrem Tempo nicht gerade einfach war, aber durch seine ausgesprochenen Reitkünste zu bewerkstelligen war. Und so ritt man schweigend in die Dunkelheit hinaus um möglichst viel Strecke zwischen sich und eventuellen Verfolgern zu bringen. Ein gar nicht so leichtes Unterfangen, spendete Madas Mal in dieser Nacht doch nur wenig Licht. So war es denn dann auch nicht verwunderlich, dass die kleine Gruppe – nachdem man sich sicher war, eventuelle Verfolger abgeschüttelt zu haben – eine kurze Rast für die restliche Nacht einlegten. Kurz vor Sonnenaufgang sollte es direkt weitergehen. Nedarna hatte berichtet, dass ihre Rittmeisterin die Reshminianer am Darpat Manöverübungen durchführen ließ. Alle waren sich einig, dass sie die erste Anlaufstelle sein sollte, von wo aus man dann eiligst weiter gen Gnitzenkuhl reisen wollte.
Gerions Wunde am Arm verband man notdürftig. Einen Heilzauber wollte er nicht sprechen, da er seine astrale Energie für etwas Wichtigeres aufheben wollte.
Kor’win, übernahm in dieser Nacht die erste Wache, dann Al’Arik und dann Nedarna, die sich das letzte Stück der Wache noch mit Kain teilte, wobei dieser selbst diese Gelegenheit nicht ausließ ihre Grenzen zu testen. Doch hatte die Ritterin noch die Erlebnisse der letzten Nacht zu deutlich vor Augen als, dass sie näher darauf einging. Stattdessen fragte sie sich, ob sie jemals die Erinnerung an den fauligen Atem des Seemannes loswerden würde.
„Glaub mir, ich kennte Dir daibai hälfen die Är’innerungen värgessen zu lassen“, meinte Kain – der ihre Gedanken zu erraten schien - daraufhin nur süffisant.
Nach etwa vier Stundengläsern Schlaf machte man sich allerdings, noch vor dem Morgengrauen, wieder geschwind auf. Kain hatte gerade angefangen die Pferde zu satteln, während Al’arik etwas trockenes Holz zu einem kleinen, spärlichen Lagerfeuer entzündete, als Nedarna versuchte das Geschehene zu thematisieren. Doch als der Edle aus Feshaven nur mit den Schultern zuckte und Kor’win noch immer keine Anstalten machten zu reagieren oder sich zumindest von seinem Nachtlager zu erheben, trat sie an den anscheinend noch immer schlafenden Kor’win, um ihn zu wecken. Als dieser jedoch noch immer nicht reagierte, kniete sich die Ritterin nieder und rüttelte den alten Jäger an der Schulter. Dabei drehte sie den Nebachoten auf den Rücken und erschrak. An ihrer Hand klebte irgendeine zähe Flüssigkeit, die sie im spärlichen Schein des Feuers jedoch nicht sogleich erkannte. Kor’win starrte sie fast anklagend aus glasigen, toten Augen an. In seiner Brust steckte ein Dolch… Ihr Dolch… Und das an ihrer Hand war Blut, sein Blut… Kor’win war tot…..
„Na wuas ist?“, rief Kain amüsiert und führte die Pferde heran. „Mich verschmähst Du und zu ihm willst Du Dich lägen?“ Der junge Jäger hatte noch nicht gesehen, was mit Kor’win geschehen war, verdeckte Nedarna doch den größten Teil des alten Jägers.
Al’Arik der etwas seitlicher stand bemerkte einen kurzen schwer zu deutenden Gesichtsausdruck in Nedarnas Gesicht und ging nun ebenfalls auf sie und den alten Jäger zu. Irgendetwas gefiel dem Feshavener Edlen nicht.
Wie erstarrt kniete Nedarna vor dem Jäger. Glaubte nicht, was sie mit eigenen Augen sah. ‚Nein, das kann nicht sein’, schoss es ihr durch den Kopf. Langsam drehte sie ihren Kopf zu Al’Arik, das Gesicht kreidebleich, blickte sie zu ihm auf. Leise und voller Unglauben kamen ihr die Worte über die Lippen: „Er ist tot.“
„WAS?!“, schoß es aus Al’Ariks Mund donnernd hervor, der im gleichen Augenblick seinen Säbel zog und irritiert versuchte die Lage zu verstehen und darauf Konsequenzen folgen zu lassen. Dabei machte er zwei bedrohliche Schritte auf Nedarna und den toten Kor’win zu und kam der Ritterin dabei beunruhigend nahe, was ihr ungutes Gefühl im Bauch noch einmal potenzierte.
Kain, der noch immer nicht verstanden hatte, wollte zunächst etwas auf seiner flapsigen Art Nedarna entgegnen, doch nachdem Al’Arik seinen Säbel gezogen hatte hielt er irritiert inne. Fragend wanderte sein Blick vom Feshavener zur Ritterin, wieder zurück zu Al’Arik und schließlich zu Kor’win, der noch immer regungslos da lag.
„Kor‘win?“, fragte er schließlich unsicher, ließ die Zügel der Pferde aus der Hand gleiten und trat um Nedarna herum. Als er den Dolch in Kor’wins Brust stecken sah, stockte ihm kurz der Atem. Seine Lippen verzogen sich zu einem stillen Schrei und formten ein lautloses "Nein…"
Kain ließ sich auf die Knie fallen und rüttelte an seinem Mentor. „Kor’win! Wuas ist? Kor’win?“ Immer eindringlicher schüttelte und rüttelte er den Leichnam seines Ziehvaters, bis sich schließlich die Erkenntnis durch seinen innerlichen Schmerz einen Weg bahnte.
Verzweiflung, Wut, Schmerz, Trauer, Angst… Alle Gefühle kämpften gerade in Kain um die Herrschaft über sein Handeln. Fast liebevoll schloß der junge Jäger seinem Mentor, Freund und Vater die Augen und den Mund, ballte die eigenen Fäuste, warf seinen Kopf in den Nacken, drückte dabei seinen Rücken durch und stieß einen lauten, gequälten, aber auch herausfordernden Schrei gen Alveran. Golgari und die Götter sollten hören, wer da gerade zu ihnen kam ...
Al’Arik stand immernoch da wie angewurzelt. Er verstand die Situation noch nicht. Wenn Kor’win durch die Hand eines ihrer Verfolger gestorben war, warum hatten diese dann nicht die anderen auch niedergestreckt und wie konnten sie während ihrer Wache so etwas übersehen? Kor’win hatte die erste Wache gehalten und ihn dann geweckt, da lebte er also noch. Dann hatte er selbst Wache gehalten und ihm wäre soetwas nicht entgangen. Dann hatte er die Raulsche Ritterin geweckt und sich selber noch einmal zur Ruhe gelegt. Diese Raulsche hatte also versagt. Typisch. Er hätte sich selber weiter um die Wache kümmern sollen. Aber das erklärte immernoch nicht warum nur Kor’win sterben musste. Immernoch stand Al’Arik da und sah zum laut aufschreienden Kain hinüber.
Gerion, der durch die Unruhe im Lager und die Schmerzensschreie Kain’s erwachte, blickte auf das Geschehene ohne sich von seiner Lagerstatt zu erheben und registrierte recht schnell was hier passiert sein mußte.
Kain schien noch immer nichts um sich herum wahrzunehmen. Fast zärtlich tastete er die Stelle um Kor’wins Brust ab, in der der Dolch steckte, den er schließlich mit einem fest Ruck herauszog. Liebevoll, so als würde ein Kind mit einer Puppe spielen tastete er nun auch diesen Dolch ab. Dann hielt er inne, so als würde ihm etwas einfallen. Mit einem Ruck hob er seinen Blick, zunächst auf Nedarnas Hände, an denen noch immer Kor’wins Blut klebte und dann weiter um ihr ins Gesicht zu sehen. Binnen eines Herzschlages wechselte seine Trauer, in Wut und weiter in unbändigen Hass. Schließlich war er sich mit einem tierischen Schrei auf die Ritterin und brüllte etwas von "Merderin" und "Dies sei doch ihr Dolch".
...