Geschichten:Trotz niederen Geblüts - Teil 1
Dorf Rond in der Grafschaft Eslamsgrund. Efferd, 1010 BF
Mit ernstem Ausdruck ritt der junge Ritter Halgan in der Nachmittagssonne über die wenigen Felder, welche das Rittergut Rond besaß, und überwachte die Feldarbeiten seiner Untertanen. Sein Vater war, wie so häufig, bei irgendeinem Feldzug, vermutlich an vorderster Front, vertreten, und so oblag es seiner Mutter und ihm das Gut zu verwalten.
„Wenn man die Zügel zu locker lässt, reitet das Pferd wohin es will, und dann hilft da nur noch die Gerte. Das gleiche gilt auch für Bauern.“ Pflegte Halgans Mutter stets zu sagen. Diese Weisheit hatte er sich auch zu Eigen gemacht. Und so war es kein Wunder, dass die Bauern sich fleißig in die Feldernte duckten, als sie Halgans hünenhafte Gestalt nahen sahen.
Bei einer Gruppe Arbeiter zügelte er das Pferd und sah grimmig auf die Bauernschaft herab. Die Gerte hatte er bereits in seiner Hand, hielt damit aber noch gleichzeitig gelassen die Zügel fest. Auch wenn die Bauern versuchten sich nichts anmerken zu lassen, sondern stoisch weiter zu arbeiten, konnte man ihnen dennoch die Furcht ansehen.
„Was ist das?!“ donnerte der junge Ritter sogleich los, und die Gertenspitze deutete auf einen Heuhaufen neben einem Bauern. „Das ist ja noch genau so viel, wie von einer Stunde! Hast du Hund etwa nicht gearbeitet, als ich fort war?“
Erschrocken blickte der Bauer auf. „Äh…nein, äh doch, Herr…ich war nur-“ er kam nicht dazu den Satz zu beenden, denn sogleich zischte die Gerte nieder und fuhr ihm ins Gesicht. Aufjaulend krümmte sich der Mann zusammen und hob schützend die Hände über den Kopf.
„Du fauler nichtsnutziger Köter!“ Noch drei weitere Male, zischte die Gerte hinterher. Da aber Halgan sich zu weit strecken musste, um den am Boden kauernden Mann zu züchtigen, stieg er unzufrieden vom Pferd ab, und versetzte den Mann sogleich einen Tritt, dass dieser bäuchlings ins Stroh fiel. „Ich werde dich lehren, deine Arbeit zu machen!“ brummte der Ritter, während er den Mann weiter mit der Gerte traktierte.
Der Bauer schluchzte und jaulte schmerzerfüllt auf. „Nein…Herr…haltet ein….ich…“ seine Einwände gingen jedoch zwischen den Schreien unter.
Plötzlich warf sich eine Gestalt über den Bauer und Halgans Hand hielt inne. Unbegeistert über diese Unterbrechung , stierte er den Aufmüpfigen knurrend an.
Flehend und empört zugleich sahen ihn zwei rehbraune Augen an. Das Knurren verebbte, als dieses zarte Wesen mit einem staubigen Gesicht zu ihm aufsah. Unbewusst hielt Halgan die Luft an und ließ die Gerte langsam sinken.
Die junge Magd mochte gerade mal 15 Götterläufe gesehen haben, dennoch reichte es völlig den Ritter aus seiner Spur zu bringen. „Er war die Sensen schärfen, Herr. Bitte, habt erbarmen!“ flehte die Magd, welche nur eine Tochter Rahjas sein konnte, mit lieblicher Stimme.
Wortlos starrte Halgan sie an, während sein Herz anfing zu rasen und er schwer atmete. Es dauerte eine lange Weile, bis ihre Worte zu ihm vorgedrungen waren.
In dieser Zeit konnte die Magd dem geschundenen Bauern aufhelfen, blickte den Ritter dennoch weiter nach Verzeihung heischend an.
Dann erlangte auch Halgan seine Fassung wieder und verhärtete erneut seine Züge. Er hoffte, dass die umliegenden Bauern nichts von seiner Diskrepanz bemerkt hatten, doch diese ernteten weiterhin stoisch die Felder, wussten sie doch was ihnen blühte, wenn sie nachlässig waren.
„Das hätte der Hund außerhalb der Mähzeit machen sollen!“ fluchte Halgan laut und deutete drohend mit der Gerte in des Bauers Richtung, welcher schreckhaft wieder zusammen zuckte. Unbeirrt hielt die hübsche Magd Halgans Blick stand.
Nach einigen Augenblicken des Starrens, wandte sich der Ritter brummend ab und stieg auf sein Pferd. Wortlos gab er dem Ross die Sporen, und blickte noch einmal aus dem Augenwinkel zur Magd, welche ihn nicht aus dem Blick gelassen hatte.
Auch wenn er sicher war, dass seine Eltern das niemals gut heißen würden, er musste sie haben!