Geschichten:Tsapfauenauge - Alter Wald
„Oh je, ich hätte nicht gedacht, dass der Wald so dicht ist. Ich hatte bisher gar nicht die Zeit gehabt, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Aber jetzt verstehe ich, warum Ungulf meinte, er sei alt. Und unheimlich…“ plapperte Tsaiana vor sich hin, während sie dem Tsadel langsam zu seinem Ursprung folgte. Ihr Pferd hatte sie auf der Wiese zurückgelassen, aber nun war ihr doch recht mulmig zumute und sie sprach ihre Gedanken laut aus, um sich Mut zu machen. „Reste des Reichsforstes, des alten Elfenwaldes, voller Magie und Mythen. Ich dachte, das sagte Ungulf nur so damit ich besser aufpasse. Aber ich kann es fast spüren. Es ist seltsam.“
Der Wald hatte sich verändert. Erst war die junge Frau einem fröhlich glucksenden Bachlauf gefolgt. Der Wald war noch recht licht und die Sonnenstrahlen erhellten den Waldboden, der von Kräutern und Wildblumen bedeckt war. Regenbogenforellen schwammen im Fluss und deren Schuppen glitzerten unter der Wasseroberfläche. Nach einiger Zeit wurde der Wald zusehends dichter, und nur noch einzelne Sonnenstrahlen brachen durch das Geäst der uralten Bäume. Ab und zu hörte man Vögel kreischen oder etwas durchs Unterholz huschen. Hier und da knackte es. Der Tsadel wurde schmaler und auch etwas brackig. Kurz zögerte die Baronin weiter zu gehen, aber selbst in dieser unheimlichen Umgebung waren Zeichen zu entdecken, die ihre Schritte weiterführten. In dem dunklen Wasser entdeckte sie kleine Molche. Sie waren fast schwarz, aber paddelten zufrieden um einige Blätter rum. Kurz hielt Tsaiana inne und hockte sich hin, um die Tiere zu beobachten. Da kam eines aus dem Wasser, platzierte sich vor sie und schien ihr direkt in die Augen zu schauen. Dann reckte es den Kopf Richtung flussaufwärts. Und Tsaiana stand auf und schritt weiter. In die Dunkelheit des Waldes.
Inzwischen wusste Tsaiana nicht mehr welche Tageszeit sein könnte. Ihr war es, als wäre sie schon Stunden unterwegs. Der Wald war inzwischen noch dichter geworden, und sie musste ständig über alte Baumstämme und Äste klettern und sich einen Weg durch dichte Büsche und Dornenhecken bahnen. Inzwischen hatte sie schon einige Kratzer und ihre Kleidung wies den einen oder anderen Riss auf. Und trotz dessen hatte sie das Gefühl, dass es noch ein recht einfacher Pfad war, dem sie folgte. Es sah immer schlimmer aus als es war. Urige Baumstämme hingen über dem Bach, den man nur noch ab und an sah, so zugewachsen war er. Moose und Farne überwucherten alles, was den Bäumen ein noch gruseligeres Aussehen verlieh. Und doch fühlte sie sich willkommen. „Ich möchte wirklich wissen, wo hier eine herrliche Waldlichtung sein soll. Und wie spät es ist. Langsam habe ich wirklich Hunger.“ Sie hatte dies grade ausgesprochen, als vor ihr ein riesiger Felsen auftauchte, der vollkommen von Brombeerranken umwuchert war, die in voller Reife standen. Überraschenderweise war auch dort eine der seltenen Stellen, wo einige Sonnenstrahlen den Waldboden erreichten. „Bei Tsa, ich werde gewiss nicht mehr zweifeln, ich danke dem Wald und den Göttern für diese Beeren.“ Sie aß sich satt. Die Früchte waren süß und sehr saftig, weswegen auch ihr Durst gestillt wurde. Es waren die besten Brombeeren, die sie jemals gekostet hatte. Sie nahm nur so viel, dass ihr Hunger gestillt war, dann ging sie weiter. Sie fühlte sich frisch wie am Morgen. Ihr fiel erst jetzt auf, dass ihre Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten. Sie konnte recht gut die Umrisse der Pflanzen sehen und nun, da sie sich darauf konzentrierte, sah sie auch wieder Tiere. Sie sah allerlei Insekten, entdeckte kleine Mäuse und auch einige Vögel. Ein großer Uhu schlief auf einen Ast. Er schaute kurz mit einem Auge, aufgeschreckt von den Geräuschen, die der Mensch verursachte. Er hatte bernsteinfarbene Augen. Es war seltsam, soviel wahrzunehmen, und diese Eindrücke vermittelten ihr das Gefühl, ein Teil dessen zu sein. Sie versuchte grade ihre Gedanken zu ordnen, als sie sich einen Weg durch eine besonders große Hecke bahnte. Und als sie durchbrach, stockte ihr der Atem.
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