Geschichten:Umwege - Im Wald II
Gnitzenkuhl, im wald Richtung Kohlhof, Ende Travia 1037 BF
...Es folgte nun eine Sage, die er aus eigenen Kindertagen wieder erkannte. War sie ihm jedoch weitaus blutrünstiger vorgetragen worden, so schmückte Selissa eher die Erzählung liebevoll aus, und besonders der Schluß, dass nämlich unter dem Wald in einer Felsgrotte friedlich ruhte, was früher für Angst und Schrecken sorgte, fand großen Raum.
"... und wenn keiner der Söhne Perricum kommt und sie weckt, dann wird dieser Wald und seine Bewohner friedlich leben bis sich keiner mehr an sie erinnern kann!" Hlutharion fröstelte etwas dabei und er spürte das ungern doch die letzten Jahre hatten ihm viele Schrecken vor Augen geführt und er war empfänglich für solcherlei Dinge.
Doch sie lächelte offen und absolut zufrieden wie es schien. Sie hatte begonnen während der Erzählung einen Kranz aus jungen Haselzweigen zu binden, und betrachtete erst diesen, dann ihn zufrieden. Man sah solche Kränze häufig hier in der Gegend- sie standen für den tsagefälligen Neubeginn, und wurde oft als Gastgeschenk mit überreicht, wenn man Freunde besuchte. Wieder so eine herzlich-leichte Geste, dachte sich Hlutarion und das Frösteln machte einer unbekannten, wohligen Wärme platz, die er aber aufgrund der Fremdheit versuchte zu verdrängen, dabei griff er wie in Gedanken nach dem Kranz und berührte dabei ihre Hand.
Sie zog die ihre keineswegs zurück, sondern ließ es zu, dass die ihre in seiner zu ruhen kam. "Wir könnten einfach nach Kohlhof gehen, und den Kranz werfen...dort wo er hin fällt werden wir einen Wohnturm errichten lassen. Ein wenig ungewöhnlich vielleicht...aber ich glaube da das Dorf noch nicht befestigt ist dürfte es gleich sein wo genau wir den Grundstein legen für...für... unsere Familie."
Die letzten zwei Worte waren mehr gehaucht gekommen, und das blasse Gesicht war wieder mit einer Röte überzogen die sie noch jünger aussehen ließ. Hlutharion fröstelte plötzlich noch mehr. Er hatte schlimme Dinge gesehen und auch getan, sehr schlimme. Aber die sanften, hoffnungsvollen Worte Selissas machten ihm deutlich mehr Angst, er kannte das nicht – diese Unbeschwertheit. In seiner Welt war er es gewohnt dass alles Zarghafte zwangsläufig in sich zusammen brach oder zertreten wurde, von ihm selbst oder anderen. Und er wollte nicht dass dieses unschuldige Ding vor ihm dies erleiden müsste, andererseites spürte er auch einen Drang sie vor solcherlei Dingen zu schützen, das erste Mal das es ihm nicht nur um seine eigene Haut ging. Und das gefiel ihm nicht, irgendwie, das ließ ihn frösteln. Andererseits war Kohlhof so weit ab vom Schuß…er kam zu keinem Schluß, sondern nickte nur verlegen und betrachtete ihrer beiden in einander liegenden Hände und erschrak fast als er sich dessen gewahr wurde. Um sie nicht zu irritieren, nickte er nochmals und versuchte ihr tief in die Augen zu schauen, bei ihr war das möglich. Ihre Augen waren tief, seine hingegen stumpf und unerklärbar matt.
Plötzlich knirschte das Geäst unheilsschwanger als eine männliche Stimme aus ihrer beider Rücken erklang. Mit ihm mischte sich das Kläffen eines Hundes mit dem Kommentar seines Herren.
"Braver Brogar, was für Täubchen hast du mir denn da aufgespürt?" Belustigung war aus dem Klang zu entnehmen und beim Umdrehen sah Hlutharion noch wie Selissa errötete und sich fast hinter ihm klein zu machen versuchte. Es handelte sich um Quanion von Isenbrunn. Hlutharion kannte ihn bereits. Mehr als einmal hatte er erleben müssen wie der gutaussehende Adlige aus Kaltengrundt versuchte Geshla von Gnitzenkuhl für die ein oder andere Sache zu begeistern. Doch anders als sein Herr Vater war ihm weniger am Wohle der Baronie, als am eigenen Säckel gelegen. In einer sehr intimen Stunde hatte Geshla ihm aufs deutlichste zu Verstehen gegeben, dass es irgendein Geheimnis gab in der Familie Isenbrunn, dass ihr jedoch selbst Leomara nicht anvertraut hatte. Doch die gestandene Rittfrau miedt ihren Halbbruder wo sie nur konnte.
Das machte die Situation nicht gerade angenehmer. Und just kam wieder dieses Gefühl auf Selissa schützen zu müssen und Hlutharion stand auf: „Was kann ich für Euch tun, Euer Wohlgeboren?“ Seine Stimme war ungewohnt stark und seine Körperhaltung eine ganz andere, stellte Selissa fest.
"Ihr, für mich Hoher Herr von Sturmfels?" entgegnete Quanion sarkastisch. "Wenig nehme ich an. Es sei denn ihr seid vernünftiger als unsere hoch verehrte Baronin es bisweilen ist. Sie verschließt sich Neuerungen, die doch tsagefällig und gewinnbringend sind so vehement, als sei sie eine Vorgestrige, die mehr an der Vergangenheit hängt, als am Morgen. Doch IHR...solltet doch genau wissen, was gut für uns alle ist."
Lauernd wie ein Kater, der eine Maus vor sich sieht lächelte er abwechselnd Hlutharion, dann wieder Selissa an. Seine Hand hatte er dabei ruhig auf den Sattelknauf gelegt. Ein Bild von einem Mann wie das blonde Haar leicht im Wind wehte und die stahlblauen Augen hell aus dem Gesicht leuchteten. Diese Andeutung verstand Hlutharion nicht und zog nur seine rechte Augenbraue leicht nach oben. "Wie Ihr meint, Isenbrunn. Ich werde Eure Bedenken an die Baronin weiterleiten. Aber was treibt Euch denn hier her?"