Geschichten:Umwerfendes Pilzragout - Nur ein Unfall
Rallerspfort, 1. Hesinde 1043 BF
Praiowin von Arkenaue versuchte, streng zu gucken und mit den Augen zu funkeln. Was gäbe er dafür, „Mit-der-Stimme-die-befiehlt“ sprechen zu können, aber das war ihm nie vergönnt gewesen. Überhaupt: Dass er es bis zum Tempelvorsteher gebracht hatte, war wie mit den Blinden und dem Einäugigen. Nach der Ausbildung hatte es ihn aus der Hauptstadt weggezogen, auf einen ruhigen Posten. Das war ihm lieber. Rallerspfort war aber seit einiger Zeit schon gar nicht mehr so ruhig. Erst Baron Zornbrechts Tod, dann Baron Raulbrins Tod, dann Haldans Ernennung, dann die Fehde, das reichte ihm schon. Und dann das: drei Tote. Edelleute, Magier, Bürgermeisterin, Baron, Cantzler – schließlich hatte der Magier in einem fort „Rubinbruder“, „Rubinbruder“ geröchelt. Die störten seine Provinzruhe auch immer mal wieder, dabei gehörten sie doch eigentlich ins benachbarte Waldfang. Er wendete sich wieder Hernobert Hintzkerber zu, dem Wirt des ‚Roten Horns‘, der gerade von des Cantzlers Gesandten befragt wurde.
„Also, Bursche, ich fasse zusammen: Du willst uns sagen, dass du dieses Pilzragout nicht vergiftet hast, um Magus Dunvallo zu beseitigen, um einer Entdeckung zuvorzukommen, weil der dich als einen der Kultisten von Waldfang wiedererkannt hat.“ Quendan von Ahrenstedt hatte die Angewohnheit, in solchen Verhörsituationen seiner Stimme den Klang einer Klinge auf dem Wetzstein zu geben, so dass es die anderen Anwesenden – Bürgermeisterin Ludilla Holwern, die Peraine-Geweihte Titina Kupferich, der Stadtrat Torm Ackerreych und des Barons Vertreterin Alara von Zerbelhufen.
„Ja, wie ich schon seit einer Woche sage: Das war ein dummer Zufall!“
„Zufall?“ Ahrenstedt intonierte dieses eine Wort mit einem Timbre wie eine abgehende Lawine.
„Un-fall! Unfall, meine ich!“ Hintzkerber war in diesem Karzer unterhalb des Rathauses an einen schweren Stuhl gekettet, trug die Kleidung, die er auch am Tage des „Unfalls“ angehabt hatte, und wirkte abgerissen und erschöpft.
„Klingt doch glaubhaft“, meinte Meisterin Holwern, aber Praiowin widersprach sofort: „Keineswegs!“ Er wusste selbst nicht genau, was er damit meinte, er wusste nur, dass er in jedem Fall widersprechen musste. Zerbelhufen, die erst jüngst ihren Vater verloren hatte, blickte den Praios-Geweihten nachdenklich an. Dann sagte sie: „Ich glaube ihm, dass er die drei nicht vergiften wollte.“
„Ach ja?“, fragten Praiowin und Ahrenstedt gleichzeitig. Der eine überrascht, der andere amüsiert.
„Ja, denn ich glaube auch, dass er wirklich einer der Rubinbrüder gewesen ist. Dann wäre es doch dumm von ihm, unter seinem Dach drei Menschen zu vergiften – bedeutende zudem –, weil doch die Obrigkeit sich sofort darum kümmern würde. So kam es ja auch. Ich meine: Das Zedernkabinett hat ja sogar gleich Euch hierher geschickt, Wohlgeboren Ahrenstedt.“ Meisterin Holwern lächelte die junge Ritterin glücklich an: „Ganz der Vater!“
„Ja aber …“, wollte Praiowin sicherheitshalber protestieren, wurde aber von Ahrenstedt unterbrochen.
„Ich glaube ihm auch. Dass er Rathsamshausen, Luchsenau und Dunvallo vergiftet hat, kann nicht in seinem Interesse gelegen haben. Dafür wird er dennoch baumeln. Jetzt geht es vielmehr um seine Kontakte. Nicht wahr, mein Freund?“
Selten wurde dieses Wort mit soviel Gewaltandrohung gesprochen wie in diesem Augenblick. Hintzkerber zuckte unter Ahrenstedts Blick zusammen. „ich weiß nicht, wen Ihr meint, Herr“, stammelte er.
„Doch, du weißt es, mein Freund. Und bald werde ich es auch wissen, Herrschaften, wenn ich bitten darf? Bei der jetzt folgenden Befragung ist die Anwesenheit so vieler Personen unerwünscht.“ Ahrenstedt wies formvollendet auf die Tür.
„Was habt Ihr vor? Ich kann nicht zulassen, dass Ihr diesen Mann foltert“, protestierte Titina Kupferich.
„Ihr könnte es aber auch nicht verhindern, Hochwürden. Macht eine Eingabe an das Zedernkabinett, wenn es sein muss. Euer Hochwürden, wollt Ihr assistieren? Er landet wahrscheinlich eh auf Eurem Scheiterhaufen.“
Praiowin riss entsetzt die Augen auf und erbleichte: „Nein, nein, ich … äh … bin sowieso aus der Übung.“ Damit stahl er sich aus dem Raum, in dem nur der Wirt des ‚Roten Horns‘ und der Gesandte aus Gareth zurückblieben.