Geschichten:Umzug nach Dreihügeln - Ein Brief kommt an I

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Zeit: Ende Boron 1035 BF

Gut Schroffenstein

Personen:


Die Tür öffnete sich mit einem lauten Rumms, angestoßen von dem rabiaten Wind, der schon seit geraumer Weile von den Bergen kam und Eis und Hagel in seinem Gefolge mit sich führte. Drei Frauen sahen von ihrer Arbeit auf. Magdalante hatte die Karden gerade wieder auseinandergezogen, um die gekämmte Wolle abzuziehen, während Rauhilda und Fiona die Spinnräder anhielten. Selbst die Herrin des Gutes, Yadviga Keilholtz zu Schroffenstein, verhielt an dem großen Webstuhl, das Schiffchen in der einen Hand, die andere an einem Kettfaden, den sie gerade gerichtet hatte. Ja, fast schien es so, als verhielten auch die kleinen Flammen in dem großen Kachelofen, der das ganze Haus mit seinem Feuer wärmte. Nach kurzem Gruß ging der Eindringling daran, sich Lage um Lage auszuwickeln und dabei den Bereich an der Tür mit schnell schmelzenden Schneeflocken zu bedecken. Endlich, die Maße der Gestalt hatten sich stark verkleinert, stand ein Halbwüchsiger vor den Frauen, die krebsroten Hände begehrlich in Richtung des Kachelofens ausgestreckt.


Seufzend richtete sich Yadviga von der knarrenden Bank auf und schickte die Mägde mit einem strengen Blick wieder an die Arbeit, während sie den Burschen mit einem Wink auf die geheizte Ofenbank schickte, wo sich dieser wohlig seufzend niederließ.

"Nun Alarich", die Stimme der hochgewachsenen Frau klang hart, wie auch das Gesicht so aussah, als wäre es, seit mehr denn acht Jahrzehnten den Unbilden des Wetters ausgesetzt, letztlich zu Granit geworden wie die Berge, die das Gut rundum einschlossen, "was führt einen jungen Burschen mitten im Boron den langen Weg herauf von Burg Nebelstein? Ist man da unten jetzt, da ihr ohne Herren seid, so unverantwortlich, dass man die Kinder mitten im Frost raus in die Berge schickt?"


Der Fünfzehnjährige war hinsichtlich der Vorhaltungen der Frau, die ohne weiteres seine Urgroßmutter hätte sein können, mehrmals zusammengezuckt und man konnte sehen, wie gerne er gegen die geäußerten Vorwürfe aufbegehrt hätte, indes kannte er die alte Junkerin gut genug um zu wissen, dass ein Aufbegehren nur Streit und weitere Vorwürfe nach sich ziehen würden. Erst die letzte Äußerung der Frau brachte augenscheinlich das Fass zum Überlaufen und der junge Mann reckte sich noch ein wenig mehr, während in seinen hellen Augen die Funken zu sprühen schienen:" Ich bin mitnichten ein Kind, Frouwe Jadviga. Diesen Schuhen bin ich schon mehr denn einen Götterlauf entwachsen!" Eine Bemerkung, die den Mägden ein leichtes Kichern und der Junkerin einen scharfen Blick in die Runde entlockte. "Ein Kind bist du! Unbeherrscht, vorlaut und unerzogen." Das Gewicht dieser Bemerkung hätte einen Ochsen fällen können. "Und nun beantworte meine Fragen und rede mir nicht drein, Kind."


Kurz schwankte der Bursche, ob er ob des offensichtlichen Missachtens seiner Person richtig wütend werden sollte, da kamen ihm die Worte seines Oheims in den Sinn. 'So ein alter Mensch ist wie ein uralter Apfelbaum. Wenn die Früchte auch faul und mager sind und die Zweige kaum noch Blätter treiben, so ist er doch so fest mit dem Boden verankert, dass ihn der Sturm höchstens entzweibricht. Zu beugen vermag den niemand mehr. Wie willst du einen solch knorrigen Kerl noch richten oder veredeln? Säge ihn ab oder lass ihn stehen, aber er ist die Mühe nicht wert, an ihm rumzuarbeiten.' Und sein Oheim war der Gärtner des barönlichen Gutes. Wenn einer eine Ahnung von Bäumen hatte, dann der. So seufzte der junge Mann innerlich und senkte leicht den Kopf: "Genau darum geht es. Ich bin als Bote gesandt, Euch und die Euren zu informieren, dass die Greifin einen neuen Baron zu Nebelstein ernannt hat."


Yadvigas Kopf ruckte hoch, während sie die Augen misstrauisch zusammenkniff. Der alte Baron war ohne einen Erben aus dem Leben geschieden, seine Frau vor langer Zeit gestorben. Was diese durchtriebene Natter in den letzten Jahren betrieben hatte, hatte die ganze Gegend in Angst und Schrecken versetzt und Yadviga war durchaus davon überzeugt, dass ein fauler Trieb ein klares Zeichen auf eine durch und durch faule Wurzel schließen lassen konnte. Sollte die Greifin irgendwo einen weiteren Nebelsteiner aufgetrieben haben, so war dieser mit Sicherheit ähnlich verderbt wie ihr alter Lehnsherr. Und die Götter mochten verhindern, dass die Markgräfin stattdessen einen Keilholtzer auf den Baronssitz lassen würde, denn dass auch dieser Stamm bis in seine Grundfesten faul war, hatte ihr Nachbar, der Baron von Finsterkamm deutlich gemacht. Es war eine große Erleichterung gewesen, dass die Greifin die Tochter des ehemaligen Barons von Finsterkamm, mittlerweile Baron von Orkenwall, mit der rahjawärtigen Baronie belehnt hatte. Karminia von Radulfshausen war im Herbst zu Gast gewesen und hatte sich als kompetente junge Frau entpuppt, genau das, was man hier im Finsterkamm so nötig brauchte.


Alarich überlegte kurz, ob er die im Raum schwebende Spannung noch ein wenig auskosten solle, doch der stahlharte Blick der Baronin sagte ihm unmissverständlich, was der Lohn einer solchen Verzögerung sein würde. So räusperte er sich lediglich und kramte dann in seinem Wams nach einem gesiegelten Pergament, während er der ihm gegenüberstehenden Frau herausfordernd in die Augen sah. Sein Oheim hatte ihm aufgetragen, die Reaktion der Frau, die wie kaum jemand anderes in diesen Breiten alle Familienverhältnisse kannte, genau zu beobachten und ihm dann zu beschreiben. Er hatte angedeutet, dass das Urteil der Junkerin auch den nebelsteiner Bediensteten das Ein- oder Andere verraten würde, ein Ansinnen, welches Alarich zwar nicht so recht verstanden, gleichwohl aber ernst zu nehmen beschlossen hatte.



 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Greifenfurt.svg   Wappen Baronie Nebelstein.svg   Wappen Gut Schroffenstein.svg  
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27. Bor 1035 BF zur abendlichen Boronstunde
Ein Brief kommt an I
Der erste Götterlauf


Kapitel 7

Ein Brief kommt an II
Autor: Wertlingen