Geschichten:Unbekannte Schönheit
Burg Cresseneck,28. Peraine 1047 BF
"Werteste Gerbalda, Ihr ahnt gar nicht, welche Freude Ihr mir macht, dass Ihr endlich meiner Bitte nach einem gemeinsamen Treffen nachgekommen seid. Ich muss gleich vorwegschicken: Eure natürliche Schönheit übertrifft die auf den Büsten dargestellte noch um Einiges."
Egilmar Berdis, der frühere Bürgermeister von Luring, war wie durch Zufall an eine Büste der "unbekannten Reichsforster Schönheit" geraten. Die Anmut und das Ebenmass ihrer Züge hatten ihm keine Ruhe mehr gelassen, so dass er sich nach dem Ursprung der Büste erkundigt hatte, anfangs jedoch nur mit geringem Erfolg. Er hatte jedoch herausfinden können, dass es noch weitere dieser Büsten gab. So hatte er alles versucht, um noch mehr über deren Ursprung herauszufinden. Anscheinend gab es mehrere von einander unabhängige Künstler in der Kaisermark, die diese Büsten herstellten. Das hatte sein Interesse geweckt. Aus der kleinen anfänglichen Faszination war eine regelrechte Manie geworden. Durch Verhandlungen, Einschüchterungen und Bedrohungen von Kunsthändlern und deren Käufern war es ihm schließlich gelungen, das lebende Vorbild für die vielen wunderschönen Marmorbüsten ausfindig zu machen. Es war Gerbalda Zylvia Flaß von Cresseneck, die Junkerin von Cresseneck im schönen Rubreth, die auf der gleichnamigen Burg residierte.
Es hatte ihn einiges an Mühen und Aufwand gekostet, um endlich die lang ersehnte Einladung zu einem persönlichen Gespräch zu bekommen. Er selbst trug ein edles Gewand aus feinstem Garether Zwirn und hatte der verwitweten Dame einen Strauß roter Rosen mitgebracht, was bei ihr durchaus gut angekommen war.
"Ach, Ihr schmeichelt mir, Herr Berdis!" entgegnete die Junkerin lächelnd. "Aber ich fürchte, dass der frühere Glanz schon etwas verblasst ist. Schließlich habe ich die fünfzig Götterläufe nun schon vor einiger Zeit überschritten."
"Was man Euch zu keiner Zeit anmerkt, meine Teuerste!" entgegnete Egilmar beschwichtigend.
Sie unterhielten sich noch eine Weile angeregt, und schließlich beschloss Egilmar aufs Ganze zu gehen: "Ich kann es Euch nicht länger verschweigen: mein Herz verzehrt sich nach Euch, Gerbalda. Bitte, gewährt mir Eure Gunst. "
Gerbalda blickte ihn traurig an. Dann stand sie auf und trat ans Fenster des Burgpalas. Die Aussicht auf den 12 Schritt tiefer liegenden Burghof war immer wieder schwindelerregend.
"Ich bedaure, aber das kann ich nicht. Boron nahm mir meinen Gemahl und meinen Sohn. Noch eine weitere Liebe, die tragisch endet, verkrafte ich nicht. Daher lautet die Antwort: Nein!"
Egilmar kam auf Sie zu: "Das kann nicht Euer Ernst sein. Soll euer Herz denn bis zu seinem letzten Schlag einsam bleiben? Bitte, ich bin ein wohlhabender Mann. Ein Bund mit mir wäre von großem Vorteil für Euch!"
"Ich weiß sehr wohl, wer Ihr seid, Herr Berdis! Der ehemalige Bürgermeister von Luring, der allerdings beim Grafenhaus un Ungnade gefallen ist!" "Zu Unrecht, wie ich anfügen muss!"
"Wie auch immer. Nun lebt ihr also im vornehmen Gareth und macht Euch mit Eurem ererbten Vermögen ein schönes Leben. Es tut mir leid, es bleibt beim Nein!"
Egilmar wurde zornig. Er kam raschen Schrittes auf sie zu und packte sie hart an den Oberarmen. "Ich bin nicht so weit gekommen, um jetzt so brüsk von Euch abgewisen zu werden!" bellte er schroff.
"Seid Ihr völlig von Sinnen? Hilfe! Wachen!" rief Gerbalda verzweifelt und riss sich ruckartig aus seinem Griff los. Dabei stolperte sie über den Saum ihres Kleides und fiel rücklings gegen das Burgfenster. Klirrend gab das Glas nach, und die Junkerin stürzte in einem Scherbenregen schreiend und mit den Armen rudernd zwölf Schritt in die Tiefe.
"Gerbalda! NEIN!!!!" schrie Egilmar und sah aus dem Fenster. Unten im Burghof lag die Junkerin mit zum Teil verrenkten Gliedmaßen, eine Blutlache breitete sich unter ihr aus.
Drei Wachen kamen in das Burggemach gestürmt. Einer hatte eine geladene Armbrust im Anschlag. "Mörder!" rief er und schoss auf den entsetzten Kaisermärker. Der Bolzen bohrte sich ihm tief in die Brust. Er taumelte nach hinten und stürzte ebenfalls rücklings aus dem Fenster. Schon kurz darauf verstummte sein Schreien. Für immer.
Der junge Knappe Danos von Schilfweih , der ebenfalls in das Burggemach geeilt war, blickte vorsichtig aus dem zerbrochenen Fenster. Unten lagen beide Körper direkt nebeneinander. "Sie sind tot. Alle beide tot", sagte er traurig.
So endete die Suche nach der unbekannten Schönheit tragisch auf dem steinernen Pflaster von Burg Cresseneck.
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