Geschichten:Unergründliche Tiefe - Tränen für Waldstein
Markt Grambusch, Kaiserlich Gerbaldsmark, 23. Rahja 1045 BF
Salix von Hardenstatt blickte seinem Schwiegervater und dessen Entourage nach. Der Herr zu Zackenberg wollte mit alten Weggefährten noch etwas die Ruhe genießen, ehe am morgigen Tage die offiziellen Feierlichkeiten beginnen würden. Aus Erfahrung wusste Zivko, dass er dank seiner Stellung dann nicht mehr unbehelligt mit alten Freunden reden konnte, sondern sich vielmehr um das Politische kümmern musste.
Salix streckte die Arme durch, man hatte ihm angeboten mitzuziehen, doch er hatte mit einem Verweis auf anstehende Aufgaben dankend abgelehnt. Tatsächlich stand jedoch nichts für den restlichen Tag an. Mit der Hilfe seines Schülers war bereits alles vorbereitet, was es vorzubereiten gab. Nun wollte er selbst etwas entspannen, was in der Runde der Militärs nicht ganz so einfach gewesen wäre. Wenngleich sein Schwiegervater sich mit etwaigen Bemerkungen zurückhielt, so gab es genug Spitzen von den anderen. Der blonde Adlige war nun mal kein Kämpfer und das sah man ihm auch an.
Er drehte sich gerade um, als ein junges Mädchen an ihm vorbeilief und einen Zettel in die Hand drückte. Noch ehe er reagieren konnte, war es jedoch schon in den Gassen des Marktes verschwunden. Verblüfft blickte er auf das Papier und begann zu lesen. Kurz schürzte er die Lippen und blickte nochmals in die Richtung, in der das Mädchen verschwunden war.
Ein Aufruf zur Unterstützung des Praios-Tempels in Alka, einem Dorf in Waldstein – wenn er dem Schreiben Glauben schenken durfte. Da schien jemand ein großes Bauwerk errichten zu wollen, ohne dafür die Mittel zu haben. Doch was interessierte ihn das? Salix war drauf und dran, den Zettel wegzuwerfen, hielt jedoch dann inne. Ja, was interessierte ihn der Bau eines Praios-Tempels in Waldstein…?
Er dachte kurz nach, Waldstein hatte sich während der Fehde erheblich geändert, besser gesagt: Die Machtpole in Waldstein hatten sich verschoben. Allen voran die waldsteiner Praios-Kirche. Diese baute ihren politischen Einfluss auf die gräfliche Administration erheblich aus. Zumindest soweit er das bei seiner Reise nach Rallerspfort und Leihenbutt überblicken konnte. Vielleicht interessierte ihn der Bau dieses Tempels doch mehr, als er es für möglich gehalten hätte? Der Adlige faltete den Zettel feinsäuberlich zusammen und verstaute ihn in einer Tasche. Dieser Tag würde doch kein freier werden.
Burg Trollwacht, Baronie Zackenberg, 28. Rahja 1045 BF
Orlana von Zackenberg öffnete den gesiegelten Brief, welcher vor wenigen Stunden ihr von einer Reiterin überreicht worden war. „Direkt aus Grambusch, von seiner Wohlgeboren Salix von Hardenstatt“, erklärte sie. Überrascht hatte die Hofkaplanin das Schreiben entgegengenommen und der Botin gedankt.
Nun saß sie in der großen Speisehalle und las den Brief durch. Als sie fertig war, legte sie das Schreiben ihres Gattens, mit einem Grübeln, auf den Tisch. Ein neuer Tempel des Praios sollte in einem Flecken Dere erbaut werden, von dem sie noch nie gehört hatte und Salix befand es eine gute Idee dieses Vorhaben zu unterstützen. Sie stutzte, ihr Gatte war nie durch übermäßige Praiosverehrung aufgefallen, sie selbst vermutete das der füchsische Gott eine größere Rolle in ihres Gatten privaten Pantheon einnahm.
Weshalb er nun den Bau eines entsprechenden Tempels so weit entfernt unterstützen wollte und das im Namen ihrer Familie erschloss sich der jungen Frau nicht. Dafür hatte er genaue Vorgaben für die Unterstützung gemacht. Ein goldenes Turibulum mit praiosgefälligen Motiven. Als Besonderheit sollte auf der oberen Klappe des Weihrauchfässchens eine Riesenträne – eine türkisfarbene Variante des Bernsteins aus dem Golf von Perricum – angebracht werden. Dazu schlug er eine Kiste Praiosandelholz vor.
Er hatte sich sogar die Mühe gemacht, zu erklären bei welchen Händlern man die verschiedenen Gegenstände erwerben beziehungsweise herstellen lassen konnte. Alle waren in der nahen Reichsstadt zu finden.
Orlana schürzte die Lippen, ein sehr praiosgefälliges Geschenk mit Bezug zu Perricum. Eine schöne Geste, doch was versprach sie Salix davon? Die Familie Zackenberg war recht praiosgläubig, zumindest der Baronszweig. Doch sie bezweifelte, dass Salix aus praiosgefälligen Gesten – in welcher Form auch immer – bei ihrer Familie noch „Gewinn schlagen“ könnte. Dafür hatte Salix weitaus bessere Mittel und Wege.
Warum also, wollte er im Namen der Familie Zackenberg diesen Bau unterstützen? Sie schüttelte den Kopf, früher oder später würde sie es erfahren. Bis dahin würde sie ihren Gatten unterstützen und die gewünschten Gegenstände besorgen. Doch ob das noch vor den Namenlosen Tagen von statten gehen würde, bezweifelte sie stark.
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