Geschichten:Unter Geiern – Gefälscht
Burg Scharfenstein, Firun 1044 BF
„Frau von Windfels“, fing Yolande von Raukenfels die Kämmerin auf dem Weg zum abendlichen Mahl ab, „Ich habe einige Dokumente, die Ihr Euch dringend anschauen solltet.“ Sie hielt ihrer Gegenüber einige Unterlagen entgegen. Liliane von Windfels versuchte sie an sich zunehmen, die Vögtin ließ sie jedoch nicht gänzlich los.
„Ich werde sie mir gleich morgen anschauen“, versicherte die Windfelderin ihr nickend und lächelte dabei freundlich.
„Es ist dringend“, betonte die Vögtin und blickte ihre Gegenüber unnachgiebig an, „Duldet keinen Aufschub. Ich brauche Eure Expertise möglichst zeitnah. Am besten sofort. Ihr versteht?“
Die Kämmerin verstand nicht, das war der Vögtin klar, aber sie gab schließlich seufzend nach: „Wäre Euch sofort recht?“
„Gerne“, ein zufriedenes Lächeln legte sich über das Gesicht der Raukenfelserin, „Ich werde Euch begleiten. Ich möchte augenblicklich wissen, was Ihr davon haltet.“
Zusammen zogen sich die beiden Frauen in die Schreibstube zurück. Zu dieser Zeit hielt sich dort niemand außer ihnen auf, dennoch verriegelte die Vögtin die Tür. Sie wollte nicht gestört werden. Sicher war sicher. Unterdessen warf Liliane einen ersten, flüchtigen Blick auf die Dokumente, dann blickte sie einen Moment zu ihrer Gegenüber auf, ehe sie sich wieder mit den Unterlagen befasste, nur um dann erneut aufzublicken und zu erklären: „Das könnte ein längeres Unterfangen werden, ich muss das mit den Büchern abgleichen und das kann dauern, vielleicht sollten wir uns eine Kleinigkeit zu essen bringen lassen?“
„Wie seid Ihr an diese Dokumente gekommen?“, wollte die Windfelserin in den frühen Morgenstunden wissen, nachdem sie sich mit der Vögtin zusammen die ganze Nacht parallel durch die Listen mit den Abgaben aus dem Junkertum Erlenfall in den Büchern der Baronie Schwarztannen und den losen Dokumenten, die Auskunft über die Erträge des Junkergutes lieferten, gearbeitet und diverse Widersprüche gefunden hatte.
„Der Kammerherr“, erwiderte die Vögtin erschöpft und nippte an ihrem Becher Wein während sie ihrer gegenüber auch einen reichte, „Iber von Radewitz. Er hat sie mir zukommen lassen.“
„Und woher... woher hat er sie?“
„Vom Pferd gefallen?“, schlug sie schulterzuckend vor, „Und um ehrlich zu sein, ist es mir auch gleichgültig. Ich will nur eines wissen: Glaubt Ihr da ist was dran?“
Die Windfelserin schluckte. Sie wirkte blass: „Mein Bruder hat damit nichts zu tun.“
„Mit Verlaub, aber was Euer Bruder tut und lässt interessiert hier keinen. Er ist kein direkter Vasall des Barons. Von Interesse ist für mich allerdings das Treiben seines Lehnsherren.“
Die Kämmerin nickte, obgleich sie noch nicht so recht erleichtert zu sein schien: „Ich weiß, was mein Bruder an Abgaben an seinen Lehnsherrn leistet. Zumindest ungefähr. Immerzu beschwert er sich über die horrenden Summen, die er an den Erlenfaller abtreten muss. Selbst wenn ich die Größenordnung, die er mir nannte, stets für etwas übertrieben hielt, schließlich weiß ich recht genau, welche Summe unter meinem Vater an den Junker zu entrichten war, so spiegeln die Abgaben aus Erlenfall das keinesfalls wieder. Etwas scheint hier also nicht zu stimmen, obgleich ich sagen muss, dass das aus den Büchern der Baronie nicht so recht hervorgeht. Wenn man nicht weiß, wonach man suchen muss.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich werde es weiter prüfen. Es wird dauern.“ Sie schluckte. „Aber man sollte den Erlenfallern nichts unterstellen ohne sich wirklich sicher zu sein. Ohne wirkliche Beweise werden wir nichts ausrichten können. Sie sind einfach besser aufgestellt, haben Einfluss und Macht und nicht zuletzt sitzt der Junker selbst am Grafenhof. Abgesehen davon ist meine Familie ihm verpflichtet...“
Trotz aller Bedenken, schien Yolande erfreut über diese Nachricht zu sein: „Das heißt, die Erlenfaller haben seit geraumer Zeit ihre Abgaben nicht korrekt entrichtet?“
„So sieht es aus.“
Die Vögtin lächelte zufrieden und murmelte wiederholt: „Sehr gut. Sehr gut.“