Geschichten:Unter einem Banner – Im Heerlager zu Seytnach
Unweit der Stadt Seytnach, Firun 1043 BF:
Die kalte Winternacht bäumte sich mit ganzer Kraft gegen das am fernen Horizont emporsteigende Praiosmal. Der Dunkelheit der sterbenden Nacht wurde durch unzählige Fackeln getrotzt, deren Träger eine lange Reihe bildeten. Hoch zu Ross ritten drei Reiter die lange Reihe der Waldsteiner Ritter ab. Das Schnauben ihrer Pferde ließ warmen Dampf aus ihren Nüstern treten, doch verflüchtigte sich dieser schnell im frostigen Wintermorgen. An der Spitze der junge Landobrist Growin von Streitzig, gefolgt von Seneschall Coswin von Streitzig und Hofkaplan Gutfried von Weißenstein. Auch wenn der Landobrist das Trio anführte, so konnte man erahnen wer die wirklich mächtigen Figuren auf diesem Spielfeld waren. In gebührenden Abstand, ebenfalls hoch zu Ross, ritten die beiden Hauptleute Irberod von Leustein und Raulmine von Wegfeld.
Growin, Sohn des ehemaligen Pfalzgrafen Giselbert von Streitzig, hatte ein schweres Erbe angetreten. Fast 30 Götterläufe stand der große Wulf von Streitzig den Waldsteiner Rittern als Landobrist vor. Doch dieser war tot, wie so viele andere große Helden dieser Zeit. Dem jungen Nachfolger von Wulf fehlte es noch an Charisma und Durchsetzungskraft. Nicht wenige hielten ihn für eine Fehlbesetzung, seine Berufung als Klüngel zwischen den mächtigen Familien Waldsteins. Er musste sich erst noch vor den störrischen und eigensinnigen Waldsteiner Rittern beweisen, das wusste er auch. Nun, in Zeiten da im Königreich die große Fehde herrschte, sah er seine Zeit gekommen.
Seneschall Coswin von Streitzig blickte selbstgefällig über die aufgereihten Ritter hinweg. Trotz seines Amtes und der damit einhergehenden Machtfülle, konnte er niemals aus den Schatten seines Verwandten Wulf treten. Doch das war jetzt Geschichte. Nun war er der mächtigste Streitzig des jüngeren Hauses und dies sollte erst der Anfang sein. Die über das Königreich eingebrochene Fehde war ein Geschenk für ihn und eröffnete ihn ganz neue Handlungsspielräume. Er würde sie zu nutzen wissen.
Hofkaplan Gutfried von Weißenstein stand die Zufriedenheit ins Gesicht geschrieben. Die äußeren politischen Umstände waren günstig. Der Waldsteiner Hof hatte den Schlunder Adligen seine Unterstützung bekundet und war an deren Seite in die Fehde eingestiegen. Der Waldsteiner Hof, das war nicht etwa die so von ihm verhasste Elfengräfin, nein, denn die scherte sich nicht um höfische Politik. Sie traf sich lieber mit ihren so genannten Elfenfreunden in Silz. Die Einflussreichen am Hof, das waren der Seneschall, der Landobrist und er, der Hofkaplan. Dabei war ihm mehr als bewusst, dass der Landobrist nur eines ihrer Werkzeuge war. Die Fäden in diesem Spiel hielten der Seneschall und er.
Vor einer Reiterin mit strengem Blick und aufrechter Haltung blieben die drei Herren stehen. Es handelte sich um Riena Rhodena von Weißenstein, Ritterin der Leunin und Geweihte im Rondra-Tempel zu Uslenried. Mit kräftiger Stimme verschaffte sie sich Gehör.
„Ehrbare Waldsteiner Ritter, mit den Augen eines Adlers haben wir, stolze und ehrenhafte Waldsteiner, mitansehen müssen, wie die sogenannten ritterlichen Grafenhäuser die Tugenden der Ritterlichkeit missachteten und somit der Sturmleunin Gebote frevelten. Mit götterloser Grausamkeit überboten sie sich in ihrem Frevel. In Niedertracht und Feigheit zogen sie auch den Schlunder Adel und die Kaisermärker Ritter mit in ihr perfides Spiel. Doch, die Sturmherrin hat gesprochen, sie verlangte nach Genugtuung für den Frevel der Grafenhäuser.“
Die Ritter johlten und reckten ihrer Schwerter empor. Auf deren blanken Stahl tanzte das Licht der Fackeln und rank mit der langsam weichenden Dunkelheit.
„Lasst uns, der aufrechte Adel Waldsteins, die Schwertspitze sein im Kampf gegen Niedertracht und Frevel, auf das der Sturmherrin genüge getan werde.“
„Lasst uns unsere Schwerter erheben, um unsere heimatliche Scholle zu verteidigen, auf das diese Verderbtheit nicht Einzug halten möge in unsere Lande. Aber mehr noch … .“
„... wie ein Sturm gleich werden wir über die Lande fegen und die in Ungnade Gefallenen läutern, denn dies ist unsere heilige Pflicht.“
„Folgt mir und den Aufrechten!“
Nach den Worten der Geweihten hallte ein unbändiges Grollen der Jubelrufe durch den Morgen und just in diesem Moment gefiel des dem Herrn Praios die Dunkelheit mit seinen aufgehenden Sonnenstrahlen zu vertreiben.
„Seht, der Götterfürst ist mit den Aufrechten!“, rief der Hofkaplan aus voller Brust und riss die Arme in die Höhe.
Mit einem zufriedenen Lächeln hatte der Seneschall Coswin von Streitzig der Szenerie beigewohnt. Es hatte begonnen.