Geschichten:Vergessene Heldentat

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Stadt Samlor, 17 Ingerimm 1046 BF

Ryane war nun seit einer Woche an der Reit- und Lanzenschule zu Samlor und hatte sich schon gut eingelebt. Sie hatte sich mit ihren beiden Stubenkameraden Eberhardt von Zankenblatt und Firnwulf von Hirschfurten angefreundet. Die drei waren ein dynamisches Trio geworden, die gemeinsam viel Zeit verbrachten.

Am heutigen Tag waren erstmals Übungen mit schweren Kriegslanzen angesetzt. Obschon sie bislang alle Herausforderungen mit Bravour gemeistert hatte, tat sie sich im Umgang mit der Kriegslanze doch sehr schwer. Und es lag nicht am höheren Gewicht der Waffe, denn Ryane war durchaus kräftig gebaut. Doch wollte ihr dieses mal so gar nichts gelingen, nicht einmal traf ihre Lanze vernünftig ins Ziel, was für einigen Ärger bei ihrem Ausbilder Hauptmann Herdenheim sorgte, der ihr vorhielt sich nicht genügend anzustrengen. Dies war ihren Freunden natürlich nicht verborgen geblieben.

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Am Abend waren die drei in den Fasskeller gegangen, eine beliebte Samlorer Kneipe für die Rekruten und Kadetten der Lanzenschule. Sie alle hatten einen großen Humpen Bier vor sich stehen und prosteten sich gut gelaunt zu. Nur Ryane wirkte ein wenig nachdenklich.

"Sag mal, Ryane", begann Eberhardt beiläufig, "was war denn heute nur los mit dir? Da wollte ja mal so gar nichts klappen. War dir die Lanze zu schwer?" Ryane wurde ernst und senkte den Blick.

"Ach, nein, das war es nicht. Die Dinger wiegen schon ne Menge, das stimmt. Aber zu schwer sind sie mir nicht. Zumindest für eine Weile geht es."

"Was war es dann?" fragte Firnwulf. "Du hattest doch bslang nicht solche Probleme."

Ryane nickte: "Vor drei Jahren gab es einen Vorfall... ach, ich sollte Euch das besser nicht erzählen, sonst seid ihr nachher noch enttäuscht von mir."

Die beiden schüttelten die Köpfe. "Aber nein, Ryane. Erzähl es uns doch bitte. Vielleicht können wir dir ja helfen bei deinem Problem", antwortete Eberhard. Auch Firnwulf pflichtete dem bei.

Ryane atmete kurz durch: "Also schön. Als ich vor ein dreieinhalb Jahren den Ritterschlag erhalten hatte, ging gerade die große garetische Fehde los. Zu dem Zeitpunkt war ich noch Hausritterin bei Kronvogt Albur von Mersingen in Dornensee."

"Und weiter?" fragte Firnwulf.

Die drei Freunde feiern im Fasskeller in Samlor © Nimmgalf

"Ich fühlte mich meiner Heimat Reichsforst verpflichtet und bat meinen Dienstherren, mich für die Dauer der Fehde freizustellen, was er mir auch gewährte. So reiste ich dann Ende Travia zurück nach Rubreth, um mich dort der Rubrether Ritterschaft anzuschließen. Derweil erreichten uns schlimme Nachrichten: obwohl oder gerade weil es dem Reichsforster Heer unter Baron Nimmgalf gelungen war, tief nach Hartsteen vorzustoßen und große Teile der Grafschaft zu besetzten, waren wir nicht auf einen Großangriff aus der Kaisermark vorbereitet, der es gelang, in kurzer Zeit drei unserer Baronien zu überrennen und zu plündern, darunter auch Teile von Rubreth."

"Ja, ich erinnere mich!" bestätigte Eberhardt. Zu der Zeit war ich noch Knappe bei Melina von Ehrenstein auf Burg Rubreth. Wir wurden von den Kaisermärkern einige Wochen belagert."

"Ja, richtig, das kam später. Aber das war noch nicht alles: über Eslamsgrund fiel ein größerer Plünderzug aus dem Schlund in Rubreth ein, und zog raubend und vergewaltigend durch die Lande. Melina von Ehrenstein zog darauf alle verfügbaren Ritter zusammen, und setzte ihnen nach. Ich war auch dabei, ich hatte eine Kriegslanze von einem gefallenen Kameraden aufgehoben. Ich wollte es den Schlundern heimzahlen. Gegen Ende Boron, als schon überall Schnee lag, gelang es uns schließlich, die Schlunder bei einem kleinen Dorf in Waldfang zu umzingeln. Wir bildeten einen Kessel, aus dem sie kaum noch entkommen konnten. Trotzdem wagten die Schlunder Ritter auf Befehl ihres Anführers den Durchbruch. Sie bildeten einen Keil und preschten mit eingelegten Kriegslanzen auf unsere Waffenknechte zu, die angstvoll zurückwichen. Ich war die eine von wenigen Rittern, die nahe genug platziert waren, um dem Lanzenangriff noch zu entgegnen. Und so kam es, dass ich mit meinem alten Gaul und meiner klapprigen Rüstung voll auf die ausbrechenden Schlunder zuhielt. Da ich nicht frontal, sondern schräg von der Seite kam, bemerkten sie es nicht sofort. Ein großer Schlunder Ritter - wie sich später herausstellte handelte es sich wohl um den Anführer selbst - sah mich dann doch, und wollte meinem Lanzenstoß noch ausweichen. Doch es war zu spät, meine Lanze traf ihn wenig rondragefällig von der Seite und spießte ihn regelrecht auf. Er stürzte mitsamt seines Pferdes in den Schnee und blieb in einer Blutlache liegen. Von den anderen Rittern entkamen höchstens noch drei oder vier, dann war der Kampf vorbei."

Die beiden Freunde lauschten wie gebannt ihren Worten.

"Soll das heißen, dass DU damals den Bluthund des Schlunder Grafen, also den Anführer der Schlunder Invasionstruppen in der großen Fehde erledigt hast?" fragte Firnwulf fasziniert.

Ryane nickte. "Sein Name war Leoderich von Sennenberg-Ruchin, wie ich später von einem Gefangenen erfuhr. Er kämpfte im Namen der Herrin Rondra. Da ich für seinen Tod verantwortlich war, hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, seinen Leichnam wieder zurück in den Schlund zu bringen - und das mitten im Winter, das war furchtbar anstrengend und kalt, aber ich wollte es unbedingt tun. So brachte ich ihn mitsamt Wappenrock, Schwert und Schild unter Parlamentärsflagge zurück in seine Heimatbaronie nach Ruchin. Seine Schwester, die Junkerin zu Senntal, war natürlich bestürzt, aber mir zugleich unendlich dankbar. So konnte ihr Bruder in der Familiengruft bestattet werden! Und mir gewährte sie noch bis zum Ende des Winters Quartier auf ihrer Burg."

"Unglaublich. Das haut mich jetzt um", sagte Firnwulf und starrte sie ungläubig an.

"So weit ich weiß ist gar nicht bekannt, wer den Anführer der Schlunder besiegt hat", meinte Eberhardt nachdenklich.

Ryane zuckte mit den Schultern: "Kann schon sein, dass das im allgemeinen Chaos etwas untergegangen ist. Ich hatte mich dann noch bei meinem Vorgesetzten abgemeldet, bevor ich in den Schlund geritten bin, aber nach meiner Rückkehr erfuhr ich, dass der kurz darauf auch gefallen war. Vielleicht konnte er das gar nicht mehr weitergeben."

Firnwulf musste erstmal seine Gedanken sortieren. "Ryane, das... das war eine echte Heldentat! Das war unglaublich mutig! Das müssen wir unbedingt Nimmgalf oder Tsaiane berichten, die werden aus allen Wolken fallen."

"Nein!... Nein, bitte. Ich möchte nicht, dass das jetzt nach so langer Zeit nochmal so aufgebauscht wird. Es ist..." sie seufzte kurz "ich habe auch nicht wirklich ein Problem mit der Führung der Kriegslanze, es war nur so, dass ich heute während der Übung die ganze Zeit daran denken musste, wie ich damals mit so einer Lanze den Ritter tötete. Der Anblick seiner Leiche im Schnee in der Blutlache... das hätte auch ich sein können, wenn es nur geringfügig anders gekommen wäre. Ich glaube, ich brauche einfach nur noch etwas Zeit, um das richtig zu verarbeiten."

"Das glaube ich auch, Ryane!" ergänzte Eberhardt. Und Firnwulf fuhr fort: "Es herrschte immerhin sowas wie Krieg, da sterben nunmal auf beiden Seiten Menschen. Und dass nicht immer alles nach den rondrianischen Regeln abläuft, ist nun mal leider die bittere Realität! Das wird sich leider nie ganz vermeiden lassen."

Ryane nickte. "Ja, ihr habt recht. Ich bin jedenfalls froh, dass ich mal jemandem davon erzählen konnte. Ich denke, das hat mir auch schon geholfen. Aber nun, lasst uns noch Spass haben! Wer seinen Humpen zuerst leer hat, gewinnt. Und los!" Kurz darauf knallten drei Humpen fast zeitgleich auf den Tisch.



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17. Ing 1046 BF zur abendlichen Perainestunde
Vergessene Heldentat
Die schwindenden Ringe


Kapitel 6

Träume
Autor: Nimmgalf