Geschichten:Vergessene Sünde

Aus GaretienWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die etwa fünfzehnjährige Novizin Travialieb führte Coruna durch den Tempel und zeigte ihr die Andachtshalle, die Armenküche, den Traualtar und noch weitere Bereiche. Coruna wurde zusehends nervöser und konnte sich kaum auf die Erläuterungen des Mädchens konzentrieren. Wer war sie nur? Mit ihren roten Haaren und den kleinen Sommersprossen sah sie beinahe aus wie... wie eine etwa fünfzehn Jahre jüngere Version von ihr selbst. Aber wie war das möglich? Sie musste Gewissheit haben.

"Und diese schönen Fresken hier wurden noch zu Zeiten von Kaiser Perval angefertigt durch einen berühmten Bildhauer, dessen Name mir gerade leider entfallen ist."

"Ja, sehr interesant", bemerkte Coruna. "Aber bitte, Travialieb, würdest du mir eine Frage beantworten?"

"Aber gerne. Was möchtet ihr wissen?"

"Wer sind deine Eltern?"

Travialieb blickte ein wenig betrübt. "Das weiß ich leider nicht. Ich war ein Findelkind. Vor 16 Götterläufen hat man mich in einem Körbchen auf den Tempelstufen gefunden. Seit dem lebe ich hier im Tempel. Es gab leider keine Hinweise, wer meine Eltern sein könnten."

Coruna atmete schwer, ihr wurde schwindelig und ihre Gedanken rasten. Längst vergessene oder verdrängte Erinnerungen kamen wieder hervor. Sie musste sich an der Wand abstützen, denn die Erkenntnis traf sie wie ein titanischer Faustschlag tief ins Mark. Diese junge Frau hier war ihre eigene Tochter! Sie war damals schon sehr früh schwanger geworden, aber nicht weil ihr Reitlehrer sich ihr aufgedrängt hatte, wie sie später behauptet hatte, nein, sie hatte ihn immer wieder verführt, einfach um ihre frisch erblühenden Reize auszutesten. Für sie war es ein Spiel gewesen, doch sein Leben hatte sie damit zerstört. Denn kurze Zeit später beging er Selbstmord. Doch auch für sie war die Sache nicht folgenlos geblieben, denn damals wußte sie noch nicht, wie man eine Schwangerschaft verhütete. So wurde sie schon mit nur 15 Jahren Mutter, doch ihre eigene Mutter wollte diesen Skandal nicht dulden, und so hatte sie das Kind wohl dem Traviatempel übergeben lassen. Natürlich anonym. Es konnte nicht anders sein.

"Was ist mit Euch, geht es Euch nicht gut?" fragte die Novizin etwas besorgt.

"Nein... es... es geht schon wieder."

'Wie rein und unschuldig sie mich ansieht', dachte sie. 'Es ist fast so, als würde ich in einen Spiegel blicken, der mir ein Bild meiner selbst zeigt, wie ich hätte sein können, wenn ich damals nicht den Weg der Sünde eingeschlagen hätte. Ist dies die Strafe der Göttin Travia für meine Frevel? Es ist grausam und wundervoll zugleich.' Sie versuchte ihre Tränen zurückzuhalten, doch sie konnte es nicht.

"Dar... darf ich dich umarmen, bitte?" fragte sie leise.

"Aber natürlich!" sagte das Mädchen und nahm sie in den Arm. Für eine Weile blieben sie so, bis sie ein Räuspern hörte. Coruna löste sich von ihr und wischte rasch die Tränen weg.

"Hrm, hrm. Verzeiht, ich störe nur ungerne, aber die Urkunden sind nun fertig. Ich habe sie ihn eine Lederhülle eingepackt, wo sie vor Nässe und Verunreinigung geschützt sein sollten", sprach der Geweihte, der wieder hinzu getreten war.

"Oh, wirklich. Vielen, vielen Dank! Hier, ich hoffe, das ist genügend Lohn für Eure Mühen!" sie nahm das lederne Päckchen entgegen und drückte dem Mann 5 Golddukaten in die Hand. Dieser nahm sie lächelnd an. "Oh ja, das ist reichlich, habt vielen Dank. Und die besten Wünsche und Empfehlungen an Junkerin Salaria. Möge die Herrin Travia Euch und Euer Familie stets eine sichere Heimstatt gewähren!" sagte er sanft.

Die Novizin geleitete Coruna dann zum Tempel hinaus und verabschiedete sich freundlich von ihr. "Warte!" rief Coruna noch, und sie drehte sich noch einmal zu ihr um. "Ja?" "Ich wollte dir nur noch eines sagen. Ich bin mir ganz sicher: deine Mutter ist unglaublich stolz auf dich!"

Da platze es aus Travialieb heraus: "Meine Mutter? Warum sagt Ihr das? Kennt Ihr sie etwa? Oder... oder seid Ihr vielleicht..."

Doch Coruna unterbrach sie barsch. "Bitte keine Fragen mehr. ich habe schon zu viel gesagt. Noch ist die Zeit nicht gekommen, aber eines Tages wirst Du mehr erfahren." Damit lief sie schnell zu ihrem Pferd und beeilte sich, die Stadt noch vor Sonnenuntergang wieder zu verlassen. Travialieb sah ihr noch eine Weile traurig nach und ging dann zurück in den Tempel.


 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Koenigreich Garetien.svg   Wappen Grafschaft Reichsforst.svg   Wappen Baronie Hirschfurten.svg   Wappen Haus Hirschfurten.svg   Stadt.svg  
 Tempel.svg
 
5. Phe 1047 BF zur abendlichen Firunstunde
Vergessene Sünde
Gottesfurcht


Kapitel 9

Liebe oder Stahl
Autor: Nimmgalf