Geschichten:Verhandlungen - Gespräche in Haselhain
Dramatis personae:
- Lyn ni Niamad von Brendiltal, Vögtin von Haselhain
- Cordovan von Keres, Leutnant im Stab des Heermeisters
- Timshal von Zackenberg, Leutnant im Heer
Haselhain, 28. Rahja 1034 BF
Lyn ni Niamad von Brendiltal saß gerade in ihrer Schreibstube und versuchte sich auf die vor ihr liegenden Bücher zu konzentrieren. Die dunklen Augenringe zeugten davon, dass sie auch in dieser Nacht zu wenig geschlafen hatte und nur dank der bräunenden Praiosstrahlen war die Blässe in ihrem Gesicht nicht so offensichtlich. Als Cha'nila, ihre Sekretaria, eintrat, blickte Lyn unwirsch auf, doch ehe sie fragen konnte, was die Störung zu bedeuten hatte meinte die junge Frau, die sehr augenscheinlich nebachotische Wurzeln hatte, auch schon: "Verzeiht die Störung, aber es sind hochgestellte Gäste angekommen, die Euch zu sprechen wünschen."
"Hochgestellte Gäste ohne vorherige Ankündigung?", fragte Lyn kritisch nach.
"Ja, es sind Cordovan von Keres und Timshal von Zackenberg."
Lyn nickte nur und erwiderte: "Führ sie in den Salon und lass ihnen Erfrischungen bringen. Ich bin sogleich da."
Cha'nila nickte dienstbeflissen ehe sie mit einem "Wie ihr wünscht" die Schreibstube verließ.
Als das Mädchen gegangen war, kramte Lyn in ihrem Gedächtnis um sich zu erinnern, wer dies war. Keres, das war doch der Magier ... Aber der hieß nicht Cordovan. Sie war gespannt, was er von ihr wollte, auch wenn sie gerade über die Störung nicht sehr erfreut war. Auch wenn es zwar Ablenkung von dem elenden Schreibkram bedeutete, hieß es wahrscheinlich endlosen Smalltalk, gefolgt von was auch immer ihre Gäste mit ihr besprechen wollten.
Im Salon angekommen konnte sie einen Blick auf die Besucher werfen. Der eine war in militärischer Uniform gekleidet und stand aufrecht da, während er wartete. Der andere dagegen hatte einen breitkrempigen Hut auf und war eher wie ein Fuhrmann gekleidet, auch wenn er ein gutes Hemd und einen teuren Mantel trug, das sich wohl nicht jeder leisten konnte. Seinem Auftreten nach aber stand er wohl über dem anderen.
Als dieser sie bemerkte kam er lächelnd auf sie zu. "Den Zwölfen zum Gruße, Hohe Dame. Mein Name ist Cordovan von Keres. Wir kommen im Auftrag des Heermeisters", sagte er. "Ich hoffe wir stören nicht."
Lyn nickte den Anwesenden freundlich zu, während sie dachte: Doch, ihr stört. Aber das kann ich euch wohl schlecht sagen.
Müde sah sie aus als sie antwortete: "Nein, ganz und gar nicht. Nehmt doch Platz." Mit diesen Worten deutete sie auf eine Gruppe von Sesseln die um einen Tisch herum standen und ging auch selbst in jene Richtung. Über den mit einer rotgoldener Borte verzierten langen Rock trug sie eine weinrote, ebenso mit einer goldenen Borte verzierte Tunika, die zwar recht locker saß, aber bei näherer Betrachtung die Wölbung ihres Leibes preisgab.
Als die beiden Herren Platz genommen hatten, schenkte eine Dienerin allen drei Herrschaften einen leichten Wein ein, wofür sich Cordovan bei ihr mit einem Lächeln bedankte. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Obst und kleinen Pasteten. Währenddessen musterte Lyn ohne es zu verbergen die Beiden und fragte sich, warum Aldron ihr dieses Jüngelchen geschickt hatte, was kaum aussah als wüsste es, wo das spitze Ende einer Waffe war.
Ohne dass ihr Lächeln ihre Augen wirklich erreichte fragte sie in höflichem Plauderton: "Ich hoffe ihr hattet eine angenehme Reise?"
Cordovan wandte seinen Blick von der Dienerin ab. „Oh ja, alles Bestens“, antwortete er. „Nun, ich möchte eigentlich gleich auf den Grund für unseren Besuch kommen. Es geht um die Eingliederung der haselhainer Landwehr in die Kommandostruktur des Heermeisters.“
Trotz seiner Leichtigkeit fiel Lyn auf, daß er sich nicht ganz wohl fühlte. Offenbar war er die Gesellschaft im Adel nicht gewohnt, vermutete sie. Im Gegensatz zum Zackenberger, der sich sehr korrekt verhielt.
Lyn nickte und fragte ohne dabei den Titel des Heermeisters zu erwähnen recht direkt. „Um was genau geht es Aldron?“
„Ihr wißt ja um die Bedrohung von Haffax“, fuhr Cordovan fort. „Um diesem besser begegnen zu können, hält es der Heermeister für nötig in einigen Punkten näher mit den jeweiligen Baronen zu arbeiten. Er möchte auf die Landwehr der jeweiligen Baronien zurückgreifen können, auch wenn nicht zur Heerschau ausgerufen wurde. Sie sollen mit anderen Einheiten aus der Grafschaft mehrere Manöver abhalten, um sie zu schulen und lernen als Einheit zu agieren und damit einer Begegnung gegen Haffax standhalten können.
Dafür benötigt er allerdings den Oberbefehl über die Landwehr und einen Ansprechpartner aus Eurer Baronie“, schloß Cordovan.
Lyn nickte und meinte etwas gereizt: „Natürlich weiß ich um die Bedrohung durch Haffax. Was meint Ihr auf was wir uns seit Monden vorbereiten? So, so, einen Ansprechpartner …„ Sie sah ihn direkt an als sie fortfährt. „Was meint Ihr damit? Im Moment sprecht Ihr mit mir, da der Baron von Haselhain mir die Verwaltung aller Angelegenheiten übertragen hat.“
„Nun, eine Person, die für die Angelegenheiten der haselhainer Landwehr zuständig wäre“, erklärte Cordovan. „Euren Hauptmann, so Ihr einen habt, oder auch Euch, wenn Ihr wollt. Wichtig ist lediglich, daß wir einen Ansprechpartner bezüglich militärischen Belangen haben, mit dem wir zusammen arbeiten können, ohne wegen jeder Kleinigkeit Euch oder den Baron belästigen zu müssen.“
„Und zusätzlich“, so ergänzte der Zackenberger, „benötigen wir Euer Einverständnis, damit der Heermeister ungehindert über die Landwehr verfügen kann.“
Die Frage nach einem Ansprechpartner erst einmal ignorierend fragte Lyn mit leicht herausforderndem Tonfall „Ihr wisst schon, dass der größte Teil der Bevölkerung nebachotisch ist und es deshalb in erster Linie gilt, die Forderungen des nebachotischen Bannerherren zu erfüllen?“
"Selbstverständlich, Euer Hochgeboren", antwortete der Zackenberger. "Und dennoch gibt es auch raulsche Untertanen in Eurer Baronie, die ebenfalls ihrer Wehrpflicht nachkommen müssen."
Sie blickte zu Cordovan, da sie in ihm den eigentlichen Gesprächsführer des Gespräches sah und meinte recht forsch: „Ich sagte, der größte Teil, nicht alle, oder? Und glaubt mir, solange ich hier das sagen habe, wird es nicht vorkommen, dass zu wenig Leute zu den Waffen gerufen werden.“ Ihr Blick wurde bei den Worten recht hart aber erst bei den nächsten Sätzen ein wenig verächtlich. „Spielchen wie in Wasserburg könnt Ihr Euch also sparen. Nicht dass ich es Euch zutrauen würde, auf diese Art bei mir Erfolg zu haben.“
Erst schien es, daß Cordovan nicht wußte, was er darauf sagen sollte und tauschte mit dem Zackenberger einen kurzen Blickkontakt aus - und dieser schien ihm einen wissenden Blick zu zuwerfen -, doch dann lächelte er wieder. "Ich glaube kaum, daß das bei Euch nötig sein würde", sagte Cordovan. "Davon abgesehen habe ich auch nicht vor das zu wiederholen.“
Immer noch etwas unterkühlt entgegnete Lyn: „Das ist gut zu wissen. Nun, zurück zu der Landwehr. Es werden zur Zeit fünf Banner ausgehoben die dann Aldron unterstehen werden. Wann und wo werden sie erwartet? Ist es denn jetzt schon an der Zeit oder sollten sie nicht besser hier ausgebildet werden? Wenn es soweit ist, wird Selina Castos das Kommando über die haselhainer Banner haben. Wünscht Ihr jetzt schon mit ihr zu sprechen?“
"Fünf Banner!", rief der Zackenberger erstaunt aus.
Auch Cordovan zeigte sich erstaunt. "Das ist ja die doppelte Anzahl, als es die Heeresordnung vorschreibt!", sagte er und nickte erfreut.
Lyn nickte und meinte mit ernster Stimme: „Mögen die Götter mit uns sein auf dass die Anzahl reichen mögen.“
"Eine Frage", meldete sich der Zackenberger zu Wort. "Wird es Euch dann nicht an Bauern auf den Feldern mangeln?"
Jetzt wandte sich Lyn an den Zackenberger und blickte ihn fest an. Recht barsch antwortete sie ihm. „Verwaltet Ihr die Baronie oder ich? Ich glaube Euch ist die Gefahr die uns allen droht nicht bewusst, oder? Ein Jahr etwas mehr auf den Feldern arbeiten oder eine geringere Ernte einzufahren ist ein geringer Preis für einen Sieg, meint Ihr nicht? Und glaubt mir, wenn ich wüsste, dass noch fünf Banner mehr über Sieg oder Niederlage entscheiden, ich würde noch mehr Banner ausheben lassen. Diese dann allerdings Eslam unterstellen, er scheint mehr davon zu verstehen als Ihr.“
Zorn blitzte in ihren Augen, hatte sie es doch satt dass ständig Leute ihre Anordnungen hinterfragten.
Entschuldigend hob der Zackenberger die Hände, und wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, doch wurde er von Cordovan unterbrochen.
"Nun, wie auch immer", fuhr er dazwischen, bevor die Situation entglitt (normalerweise war Timshal derjenige, der die Situation glätten mußte). "Noch soll die Landwehr in Haselhain bleiben. Doch zu gegebener Zeit sollen sie an Manöverübungen teilnehmen und mit anderen Einheiten aus Perricum zusammen arbeiten. Selina Castos wird also das Kommando übernehmen? Nun, dann wollen wir in der Tat mit ihr sprechen."
Lyn blickte noch einmal finster zu dem Zackenberger, ehe sie sich Cordovan zu wandte. Ein Schmunzeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, aber es war nicht unbedingt ein freundlicher sondern eher amüsierter Gesichtsausdruck der dadurch entstand. „Ja, Selina Castos. Ich schätze sie und ihre Ausbildung sehr und sehe in ihr die geeignete Person dafür. Wenn Ihr mit ihr sprechen wollt seid Ihr hier allerdings falsch. Sie hält sich auf meinem Gut Lassar a Yar'Ammayin auf. Habt Ihr noch weitere Fragen an mich?“
"Nun, dann werden wir sie dort aufsuchen", meinte Cordovan.
"Ähm, eine Sache noch", sagte der Zackenberger. "Könnt Ihr uns ein Schreiben mitgeben, das sie dazu berechtigt mit uns zu verhandeln?"
Irritiert blickte Lyn zu dem Zackenberger und antwortete ungläubig. „Ein Schreiben? Ein Ehrenmann sollte kein Schreiben brauchen. Sein Wort sollte genügen. Wobei …“, sie blickte zu Cordovan und fuhr fort, „vielleicht ist es besser wenn ich Euch eines mitgebe.“
Zufrieden beobachtete Lyn, wie Cordovan ein zerknirschtes Gesicht machte, aber darauf keine Antwort gab. Auch der Zackenberger hielt sich nun zurück, so hatte er doch bisher nur barsche Worte von ihr bekommen.
Während sie sich erhob bedeutete sie ihren Gästen mit einer Geste sitzen zu bleiben und meinte: „Verzeiht, doch ich werde mich kurz zurück ziehen, um das Schreiben aufzusetzen. Es wäre mir eine Freude wenn ihr euch derweil hier ein wenig stärkt.“ Damit deutete sie zu dem Obst und den Pasteten, die bisher unberührt auf dem Tisch standen.
Der Zackenberger, der sich halb erhoben hatte, setzte sich wieder und Cordovan schielte bereits nach eine Pastete.
Mit aufrechtem Gang verließ die hochgewachsene Frau den Salon um sich in ihre Schreibstube zurück zu ziehen. Sie bemerkte, dass der kleine Machtkampf ihre Lebensgeister tatsächlich ein wenig geweckt hatte und lies sich an ihrem Schreibtisch nieder. Mein Platz ist nicht hier, sondern auf dem Schlachtfeld …, dachte sie, während sie auf den Bogen Pergament starrte, der vor ihr lag.
„Na, es läuft doch“, meinte Cordovan, als die Baroness den Salon verlassen hatte und biß in eine Pastete. „Und Ihr hattet schon Befürchtungen, daß sie uns gleich den Kopf von den Schultern reißen würde.“
„Naja, ich hatte da kurzzeitig durchaus den Eindruck ...“
„Ich meine, das wichtige haben wir ja erreicht: Der Heermeister hat Zugang zur haselhainer Landwehr. Nun müssen wir uns nur noch mit dieser Selina Castos wegen der Einzelheiten besprechen. Und sie kann ja wohl kaum schlimmer sein als die Baroness“, sagte Cordovan. „Wo ist eigentlich dieses Lassan ya was-auch-immer?“
„Lassar a Yar'Ammayin“, verbesserte der Zackenberger. „Wenn ich mich nicht irre müßte dieses Gut mehrere Meilen im Osten liegen, aber noch in der Baronie.“ Das lag in etwa auf dem Weg zurück nach Perricum.
Der Zackenberger grübelte noch eine Weile nach, ob die Baroness mit dem Heermeister befreundet war, da sie ihn immer beim Vornamen nannte – und Cordovan konnte darauf auch keine Antwort geben.
Es dauerte allerdings nicht lange da kündeten Schritte vor dem Salon von der Rückkehr Lyns. Sie trat ein und erneut musterten Lyns Augen die Beiden, fast schon als wäre es eine Routine beim Eintreten in einen Raum sich einen genauen Überblick zu verschaffen. Dann ging sie auf Cordovan zu und überreichte ihm einen gesiegelten Brief.
„Überbringt diesen Brief an Selina, dann weiß sie, was zu tun ist.“ Mit einem fast schon freundlich zu nennenden Lächeln fragte sie noch „Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“
Cordovan wollte sich gerade für ihre Zeit bedanken, als ihm noch etwas einfiel. „Ja, eines noch: Der Heermeister plant für die raulsche Landwehr einen eigenen Obristen einzusetzen – so wie der Baron von Brendiltal für die Nebachoten. Ich soll ihm da einige Kandidaten vorschlagen. Könnt Ihr Euch vorstellen, diesen Posten zu übernehmen?“
Lyn schien durch diese Frage sichtlich überrascht und dachte einige Momente lang nach. Für einen kurzen Moment erschien ein resignierter Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht doch dann fasste sie sich und sprach mit fester Stimme.
„Entsendet Aldron meine Grüße und richtet ihm aus, dass ich für diese Position gern zur Verfügung stehen würde. Doch erblickte bereits einer meiner Söhne das Licht Deres auf dem Schlachtfeld, seinem Bruder soll dieses erspart bleiben. Und ich bezweifele dass Haffax uns noch so viel Zeit lässt.“ Cordovan nickte verständnisvoll. „Ich werde es ihm ausrichten“, sagte er.
Lyn nickte und meinte "Dann wünsche ich Euch eine angenehme Weiterreise." Mit diesen Worten geleitete sie die Herren noch auf den Hof, wo die Reittiere der beiden auf sie warteten. Als sie den Hof verließen, konnte sie sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen, war sie doch schon sehr gespannt darauf, wie Selina die Nachricht von ihrer Beförderung aufnehmen würde.
◅ | Praios' Auge sieht alles |
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Im Heim des stolzen Kriegers | ▻ |