Geschichten:Verräter und Getreue - Mörder oder Held
Gut Feldrungen, 6. Peraine 1033 BF
Hadrumir von Schwingenfels ließ den Blick über die leere Weide zum Waldrand hinüber schweifen. Ein leichter Dunst hing über dem Boden und tauchte das Land zusammen mit dem heraufziehenden Morgen in ein diffuses Blau. Ein offizielles Treffen war vorerst weder geboten noch notwendig und so war der Kronvogt von Puleth froh, als er die Zusage zu dieser Zusammenkunft bekommen hatte. Dann sah er ihn aus dem Schatten der Bäume treten und, das eine Bein leicht nachziehend, auf sich zukommen. Als er heran war, neigte der Schwingenfelser sein Haupt zum Gruß: „Die Zwölfe mit Euch, Lechdan von Quintian-Quandt.“
„Und mit Euch, Hadrumir von Schwingenfels“, der andere deutete eine Verbeugung an.
„Es ist mutig von Euch, Euch mit mir zu treffen“, stellte Hadrumir fest, „Euch muss doch bekannt sein, dass Euer Bruder mich für vogelfrei erklärt hat und seine Söldner ausgeschickt hat, um mich zu töten.“
Der Pulether Junker erwiderte ernst: „Niemand sieht uns zu, Hochgeboren. Also sind wir beide gar nicht wirklich hier. Sollte die Situation also zu einem Problem zwischen uns führen?“ Als Hadumir den Kopf schüttelte, fuhr der andere fort: „Außerdem bin ich neugierig auf das, was Ihr mir zu sagen habt. Eure Ankündigung klang doch recht… interessant.“
„Um es kurz zu machen: Ich benötige Eure Hilfe bei einem Friedensschluss“, gab Hadrumir knapp zurück.
„Einen Frieden? Etwa zwischen meinem Bruder und Euch? Ich fürchte, da überschätzt Ihr meinen Einfluss. Außerdem: Was würde Euer Graf dazu sagen?“
„Mitnichten“, wiegelte der Schwingenfelser ab. „Zwischen den Hutter Rittern und der Familie Schwingenfels.“
„Ach“, der Junker von Königsgrund wirkte überrascht und begann, sich am Bart zu kratzen, „Und wie genau stellt Ihr Euch das vor?“
Der Schwingenfelser setzte ihm seinen Plan auseinander und Lechdan hörte aufmerksam zu. Als Hadrumir geendet hatte, wiegte der Quintian-Quandt den Kopf hin und her und klopfte mit dem Zeigefinger gegen seine Nase: „Eine wichtige Frage sei mir aber gestattet, Hochgeboren: Warum sollte ich das tun? Warum sollte ich meinem gräflichen Bruder schaden?“
Hadrumir holte tief Luft: „Wie Geismar seine Gefangenen behandelt, wisst Ihr genau so gut wie ich. Könnt Ihr das mit Eurer Ehre vereinbaren?“
„Es muss mir nicht gefallen. Aber er ist der Graf und es sind seine Gefangenen“, gab Lechdan zurück.
„Ihr seid mir auch genannt worden als jemand, der sich für den Frieden in der Grafschaft eingesetzt hat“, versuchte es Hadrumir erneut. „Soll alles, was ich da über Euch gehört habe, Lügen gewesen sein? Hier habt Ihr die Gelegenheit, etwas für den Frieden in der Grafschaft zu tun, indem Ihr mir bei dieser Unternehmung zur Seite steht und so den Menschen wie dem Land einen unschätzbaren Dienst erweist.“
„Sagen wir doch erst einmal, ‚Euch‘ einen Dienst zu tun. Denn immerhin ist die Hutter Fehde Euer Problem.“
„Ich sehe schon, Ihr seid eine harte Nuss“, musste Hadrumir zugeben, „Aber vielleicht hilft Euch das hier bei Eurer Entscheidung.“ Hadrumir holte einige Dokumente hervor. „Euer Bruder Geismar ist ein Hochverräter.“
Lechdan lachte freudlos auf: „Mag sein, dass mein Bruder in Bezug auf sich selbst so manches Gesetz eher für eine Richtlinie hält, aber für Märchenstunden habe ich mich so früh am Morgen freilich nicht auf den Weg gemacht, Schwingenfels.“
„Ihr seid aber gekommen und werdet Euch anhören, was ich zu sagen habe. Und dann erst fällt Euer Urteil!“ Hadrumir wirkte sichtlich ungehalten.
Der Quintian-Quandt stützte sich mit verschränkten Armen gegen einen Zaunpfahl: „Na dann, erzählt.“
„Ihr erinnert Euch sicher, wie Eure Mutter so plötzlich verschwand. Es gab immer Gerüchte.“
„Haltloser Schwachsinn, wenn ihr mich fragt“, warf Lechdan ein.
„Vielleicht auch nicht. Ich denke, ich habe die Wahrheit herausgefunden, denn es gibt Hinweise darauf, was mit ihr geschehen ist.“ Hadrumir wies auf die Dokumente in der Hand des Junkers. „Euer gräflicher Bruder hat sie ins Traviakloster Hutt verbringen lassen und dafür gesorgt, dass sie nie mehr von dort weg kam. Zuletzt hat er sie dort sogar lebendig einmauern lassen.“
„Könnt Ihr das auch beweisen?“ Fragte der Junker schroff, doch Hadrumir glaubte, eine Spur der Verunsicherung in den Augen seines Gegenübers bemerkt zu haben.
„Noch nicht. Aber ich werde es beweisen können, wenn erst die Fehde in Hutt beendet ist. Aber bereits jetzt steht für mich fest, dass ich Geismar nie mehr folgen werde und wenn ich die Gelegenheit bekomme, werde ich alles daran setzen, ihn vor Retos Seelenwaage zu bringen. Die Frage ist nun: Werdet Ihr mir bei meinem Plan helfen? Ihr kennt die Feste Feidewald und ihre verborgenen Gänge, und ich verfüge über die richtigen Leute für einen solchen Phexensstreich.“ Hadrumirs Lächeln hatte etwas von einem Wolf, der kurz davor war, seinem Opfer an die Kehle zu gehen.
Lechdan schüttelte unwillig den Kopf: „Ich soll Eure Leute in die Festung schleusen? Haltet Ihr mich für schwachsinnig? Wer garantiert mir denn, dass sie nicht außer dem Kerker zur Befreiung der Gefangenen auch die gräflichen Gemächer aufsuchen und meinen Bruder meucheln? Das machte mich nicht nur zum Verräter sondern obendrein zum Brudermörder. Diese Schuld werde ich nicht auf mich laden!“
„Dann wäre der Grafenstreit wenigstens zu Ende und es würde endlich Frieden in Hartsteen einziehen. Da es sonst niemand tun will, werde ich diese Verantwortung übernehmen und tun, was getan werden muss“, antwortete Hadrumir betont ruhig, um sich im Zaum zu halten.
Der Quintian-Quandt dagegen wurde bei den Worten puterrot im Gesicht: „Man kann doch den Frieden nicht auf einen Mord gründen, Schwingenfels!“
„Euer Bruder, Herr Lechdan, wird die Grafschaft vernichten, wenn man ihn nicht aufhält!“ Hadrumir war nun ebenso kurz davor, selbst die Beherrschung zu verlieren.
Für einen Moment sah es aus, als wollten sich die beiden Ritter gegenseitig an die Gurgel gehen, doch dann atmete Lechdan tief durch und sagte leise aber bestimmt: „Vielleicht habt ihr recht. Nun gut. Ich werde die Gefangenen aus Festung Feidewald holen und Euch helfen, die Hutter Fehde zu beenden – ohne die Begleitung Eurer Leute, Hochgeboren. Wenn Ihr dann die Beweise finden solltet, von denen Ihr spracht, dann sei es so. Aber ich warne Euch: jeder Betrug fällt am Ende auf seinen Urheber zurück.“
Hadrumir nickte ernst: „Einverstanden.“
Die beiden Männer gaben sich die Hand.
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