Geschichten:Verschollen in Al'Anfa - Zu Gast bei Korhilda
Schloss Rossgarten, Baronie Wasserburg, 22.Travia 1045 BF, abends
"Wir erreichen nun bald den Hauptort der Baronie Wasserburg", erzählte Irnfrede ihren Freunden, während sie auf der Reichsstrasse weiter südlich ritten. "Aber vorher mahcen wir noch einen kleinen Abstecher zu Schloss Rossgarten. Hier herrscht seit ein paar Götterläufen eine Bundesschwester meines Vaters: Korhilda von Sturmfels als Baronin zu Wasserburg. Ich kenne sie zumindest flüchtig von der Tsatagsfeier auf Burg Trollhammer im letzten Götterlauf. Ich bin schon sehr gespannt darauf, ihr Schloss zu sehen."
Gegen Abend hatten sie dann Schloss Rossgarten erreicht, nachdem sie kurz zuvor den Tempel St. Parinor passiert hatten, aber nach den Erlebnissen im Tempel der feurigen Rösser war ihr Durst nach göttlicher Nähe fürs Erste schon gestillt.
Als Irnfrede mit ihrer Gruppe die verspielten Tore von Schloss Rossgarten durchschritt, fühlte sie sich, als wäre sie in eine andere Welt eingetaucht. Die kleinen Türmchen ragten hervor, als würden sie nach den Wolken greifen. Seine weißgekälkten Mauern und die blauen Dächer wirkten fremdartig für ein mittelreichisches Gebäude. Das Innenleben glich dem eines Märchenschlosses. Der Erbauer musste viel Fantasie besessen haben. Betrübt musste sie jedoch feststellen, dass die Baronin anscheinend einige Veränderungen vorgenommen hatte, die das Schloss innen etwas weniger pompös wirken ließen, eher schlunder-hinterwäldlerisch. Welch Graus, das wäre Irnfrede nie in den Sinn gekommen.
"Teuerste Irnfrede, da seid Ihr ja endlich! Man hatte euch mir bereits angekündigt. Seid herzlich willkomen auf Schloss Rossgarten."
Korhilda empfing die Tochter ihres Bundesbruders Nimmgalf mit offenen Armen und einem Lächeln, das so warm war wie die Sonnenstrahlen im Rahja.
"Ich grüße Euch, Euer Hochgeboren von Sturmfels!" machte Irnfrede einen höflichen Knicks.
"Ach was, Hochgeboren, nenn mich doch bitte Korhilda. Als Bundesschwester deines Vaters sind wir ja quasi Verwandte!" scherzte sie. "Also schön, Korhilda!" entgegnete Irnfrede mit einem Lächeln. "Wenn ich dir kurz meine Begleiter vorstellen dürfte: dies sind Ritter Ernhelm von Klingenhort aus Hirschfurten, sowie Luna, Thorkar und Simariel, allesamt Freunde von mir."
"Sehr erfreut! Ich hoffe, Ihr hattet eine gute Reise bis hier. Aber kommt doch erst einmal in den Empfangssalon und macht es euch bequem. Meine Diener werden sogleich für euer leibliches Wohl sorgen, und euer Gepäck schon mal in die Quertiere bringen. Wie lange wollt ihr denn bleiben?"
"Nun, eigentlich müssten wir morgen schon wieder aufbrechen", antwortete Irnfrede etwas zögerlich.
"Ach, das wäre aber schade. Wir könnten doch so vieles hier unternehmen. Du kannst dir meine Pferdezucht anschauen, selbstverständlich in Verbindung mit einem kleinen Ausritt in den Wall. Wir könnten auch eine kleine Wanderung unternehmen oder du schaust dir in aller Ruhe mein Schloss hier an. Da wird ein Tag aber nicht ausreichen. Wie wäre es?"
"Das klingt alles sehr verlockend, vielen Dank, liebe Korhilda. Ich denke, wir werden wenigstens noch einen Tag länger hier bleiben. Noch liegen wir ja gut im Zeitplan." Das war zwar nicht ganz richtig, aber sie wollte sich trotzdem die Zeit nehmen, einen guten Eindruck vom östlichen Rashtullswall zu bekommen.
"Ach, ich habe noch einen Brief für dich", fiel ihr ein. Irnfrede überreichte Korhilda sogleich den Brief ihrer Eltern, die diesen sichtlich erfreut entgegennahm. "Danke, den lese ich später."
Die Baronin hatte für ihre Gäste im Pavillon des großen Gartens eindecken lassen. Der große Rosengarten breitete sich vor ihnen aus wie ein Teppich aus lebendigen Farben. Der Duft der Blüten war hier allgegenwärtig. Der Darpat und die Darpatauen in der Ferne boten einen malerischen Anblick, der ihresgleichen suchte.
Die Tage, die Irnfrede auf Schloss Rossgarten verbrachte, waren erfüllt von Entdeckungen und Freuden. Sie besuchte das Gestüt Aquamarin, wo der Leiter Amardeon von Lanzenruh sie durch die Stallungen führte. In dem Gestüt wurde die stolze Rasse der Tulamiden gezüchtet. Diese edlen Rösser nennt man auch Tulamiden-Shadifs. Es sind wendige Pferde, nervenstark und nicht so wild wie ihre südländischen Verwanden, die Shadifs. Irnfrede verliebte sich sogleich in ein Fohlen, einen bildhübschen Rappen namens Sylvaris. Ihr Herz erwärmte sich, als Korhilda ihr anbot, das Ross für einen Freundschaftpreis zu kaufen. Die junge Hirschfurterin konnte es kaum abwarten, das ausgebildete Tier einstmals in Empfang zu nehmen.
Mit Korhilda unternahm Irnfrede am nächsten Tag einen Wanderausflug in die Ausläufer des Raschtulswalls, wo die Natur noch wild und unberührt war. Sie lauschten dem Gesang der Vögel und dem Rauschen der Blätter, während sie durch die grünen Wälder streiften und die kleineren Berge erklommen. Die Natur, die Wildnis – ja, jetzt hatte Irnfrede einen guten Eindruck davon gewonnen. Eine Faszination, wie die Wildnis bei Korhilda hervorrief, spürte die junge Baroness indes nicht. Hingegen schmerzten sie schon bald ihre Füße, und sie freute sich inständig auf ein heißes Bad mit Rosenduft.
Wieder auf Schloss Rossgarten angekommen lehrte die junge Ritterin Canyzeth von Sankt Parinor Irnfrede die Kunst des Minnegesangs und der Poesie. Gemeinsam verbrachten sie noch einige Stunden damit, Verse zu schmieden, die so schön waren wie die Landschaft um sie herum. Aus Irnfredes Sicht um Längen besser als ein Wanderausflug, denn auch mit Worten konnte man etwas huldigen. Dafür musste man nicht strapaziös gleich über Stock und Stein wandern. Die junge Baroness hatte ein außerordentliches Talent für die Minne, voller Inbrunst und Leidenschaft – und die Hausritterin war tief beeindruckt.
Doch wie alle guten Dinge musste auch dieser Besuch dann ein Ende finden. Mit einem Herzen voller neuer Lieder und einem Kopf voller unvergesslicher Erinnerungen machte sich Irnfredes Gruppe wieder auf den Weg der Reichsstrasse gen Süden folgend nach Perricum, bereit für das nächste Kapitel ihrer Geschichte.