Geschichten:Verschollen in Al'Anfa - Zu Gast im Wiesenschlösschen
Schon seit etwa zwei Stunden führte die Edle und Hausritterin Jendora von Ruchin, ihren Gast aus Erlenstamm durch das Wiesenschlösschen. Irnfrede hatte den anderen den Rest des Tages frei gegeben. Hier in der Grafenresidenz benötigte sie ihre Unterstützung nicht, dafür sollten sie sich mal in der Stadt nach Neuigkeiten umhören und schauen, ob sie noch etwas Brauchbares für die weitere Reise fänden. Luna hatte verstanden und sich gleich mal auf den Weg gemacht.
Ihre Führerin Jendora hatte ebenso viel zu erzählen, wie sie Fragen an Irnfrede hatte: „Das ist ja hochinteressant. Und wann seid ihr in die Burg Erlenstamm eingezogen?“
„Das war Ende Praios, nachdem zumindest die Wohngemächer und die Küche so weit fertig gestellt waren“, antwortete Irnfrede eifrig.
„Ah ja, dann seid Ihr also noch recht frisch eingezogen. Wie geht es eigentlich meiner Base Selinde auf Burg Freudenstein? Ich hörte, dass sie vor kurzem Mutter geworden ist. Und das in ihrem fortgeschrittenen Alter… das muss ja schon ein großes Wunder Tsas gewesen sein, findet Ihr nicht?“
Ein Schatten huschte über Irnfredes Gesicht, aber es gelang ihr, sich nichts anmerken zu lassen. „Oh ja, wahrlich ein großes Wunder der Herrin Tsa. Damit hätte man ja kaum rechnen können.“
„Euer Vetter scheint ja recht potent zu sein, wenn er… „
„Äh… jaja! Lassen wir das lieber“, versuchte Irnfrede das Thema zu wechseln.
Jendora grinste. „Und das Kind? Wie war noch gleich sein Name?“
„Rondrasil. Rondrasil von Ruchin. Ein prächtiger Bursche. Und ich bin seine … Patentante.“ Irnfrede senkte kurz den Blick. Der Gedanke an ihr Kind ließ ihr Herz schwer werden.
„Ah, ein Junge also. Wie schön. Ich wette, er hält meine Base ziemlich auf Trab, oder?“ … „Verzeiht, liebste Jendora, hat denn wohl seine Hochwohlgeboren nun Zeit für mich?“
„Ach ja, natürlich. Lasst uns doch nochmal kurz an seiner Amtsstube vorbeischauen.
Irnfrede musste etwas geduckt gehen, da die Decken und vor allem die Durchgänge im Wiesenschlösschen für Menschen ziemlich niedrig waren. Jendora war einen halben Spann kleiner als sie, und hatte das Problem nicht so. Aber sie fragte sich, wie sich Simariel oder gar Thorkar hier drin überhaupt bewegen könnten. Kriechend? Gut, dass sie ihnen frei gegeben hatte.
„Herein!“ erklang eine tiefe Stimme, nachdem Jendora kurz an die Tür von Graf Ingramms Amtsstube geklopft hatte. Sie öffnete die Türe, und ließ Irnfrede eintreten. Dann stellte sie die junge Edle kurz vor: „Euer Hochwohlgeboren, dies ist Irnfrede von Luring-Hirschfurten, die Tochter von Baron Nimmgalf von Hirschfurten, und die Enkelin des gefallenen Grafen Danos von Luring.“
Irnfrede machte einen höflichen Knicks.
„Von Luring-Hirschfurten? Soso. Ihr seid also der lebendige Beweis, dass die hohen Häuser Garetiens doch noch etwas Gutes zustande bringen, nicht nur Krieg und Fehde. Ein 'Wandlether Wiesenschlösschen' für die Dame?“ Ohne die Antwort abzuwarten füllte er drei Humpen und reichte einen Irnfrede, den zweiten seiner Ritterin und den dritten nahm er selbst.
Irnfrede war etwas überrumpelt, doch dann lächelte sie: „Vielen Dank für das Kompliment, das ist sehr freundlich Euer Hochwohlgeboren!“ Sie nahm den Humpen entgegen und blickte den Graf erwartungsvoll an.
"Na denn, zum Wohle die Damen!" prostete der Zwerg den beiden zu, und die Humpen knallten aneienander.
Irnfrede tat zunächst einen vorsichtigen Zug, dann einen tieferen.
"Und?" fragte der Graf.
"Hmmm... sehr schaumig und prickelnd. Etwas ungewöhnlich, aber durchaus gut im Geschmack!" Sie leckte sich den Schaum von den Lippen.
"Ist dies Euer erstes Wiesenschlösschen?" wollte der Graf wissen.
"Nun, gehört habe ich schon viel davon, hatte aber leider noch nicht die Gelegenheit ein echtes Wiesenschlösschen zu kosten. Ich freue mich aber sehr, dass ich dieses Versäumnis nun endlich nachholen konnte, Euer Hochwohl..."
„Ach was, nenn mich doch einfach Ingramm! Das ist deutlich kürzer!“
Irnfrede lächete freudlich und nahm das Angebot gerne an. „Also gut, Ingramm. Ich bin dann Irnfrede.“
„Und was macht ein Reichsforster Mädel hier im schönen Schlund?“
„Ich bin vor etwa einem halben Jahr als neue Vögtin von Freiherrlich Freudenstein in Erlenstamm eingesetzt worden durch Eure Lehnsfrau Baronin Selinde von Ruchin. Mein Vetter Ludolf ist ihr Gemahl, müsst Ihr wissen.“
„Ah ja. Ich hörte davon. Und wie gefällt es Dir bis jetzt hier? Du kannst es ruhig offen sagen.“
Irnfrede zögerte ein wenig, doch dann antwortete sie: „Nun ja, die Schlunder sind ein recht eigenbrötlerisches Völkchen, darin unterscheiden sich die hiesigen Menschen und die Zwerge nicht viel. Doch wenn man einmal erst mit ihnen warm geworden ist, dann können sie oft tolle Geschichten erzählen und irgendwann sind einem gut Freund. Doch scheint es recht lange zu dauern, bis man richtig als eine der ihren akzeptiert ist.“
Ingramm musste schmunzeln. Ja, so kannte er seine Schlunder auch.
„Mein Vater hat sich übrigens sehr über die Schlunder Kurbel gefreut, die ich ihm zum letzten Tsatag geschenkt habe. Das war aber auch ein prächtiges Stück und ein Meisterwerk der Schlunder Armbrustmanufaktur.“
„Das freut mich zu hören. Ja, so eine gute Kurbel ist schon einer jeden Waffensammlung Zier“, bemerkte er mit einem sanften Lächeln. „Aber um nochmal auf die Fehde zurückzukommen: ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deinem Vater oder auch deinem Onkel ausrichten könntest, dass der Überfall in Reichsforst im Boron 1043 BF von mir nicht autorisiert war. Ich versichere dir, dass der Schlund keinerlei Groll oder Argwohn gegenüber der Grafschaft Reichsforst hegt, auch wenn dein Onkel Drego bei weitem nicht so ritterlich ist, wie es dein Großvater der gute Graf Danos, war. Ich würde den damaligen Rädelsführer auch zur Rechenschaft ziehen, doch fiel er selbst auf seinem Plünderungszug, angeblich durch die Hand deines Vaters.“
Irnfrede war sehr überrascht, war sie doch mit den damaligen Ereignissen nur am Rande vertraut. Doch klangen die Worte des Zwergengrafen durchaus aufrichtig. „Das … werde ich gerne ausrichten. Es freut mich, wenn damit dann die Differenzen zwischen unseren Grafschaften ein für alle mal beseitigt sind. Denn beide bedeuten mir sehr viel.“
„Sehr schön. Möchtest Du denn noch länger in Wandleth bleiben?“ fragte der Graf.
„Nein, leider nicht. Wir reisen schon morgen weiter. Wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns. Denn ich habe vor das ferne Khunchom zu besuchen, um dort ein seltenes Musikinstrument zu erstehen.“
„Nun denn, dann wünsche ich dir, Irnfrede, noch einen netten Aufenthalt in Wandleth, und eine gute Weiterreise. Du kannst gerne ein Gästequertier haben, und ja, wir haben auch Betten in die auch du gut reinpasst.“ Er grinste etwas verschmitzt.
„Oh, das wäre wirklich schön, Euer Hoch… Ingramm!“
„Jendora, zeige unserem Gast doch bitte ihr Quartier.“ Damit verabschiedete der Graf Irnfrede, und Jendora geleitete sie, natürlich mit viel Geschnatter, noch zu den Gästequartieren, wo man sich dann noch zu einem gemeinsamen Abendmahl verabredete.