Geschichten:Verschollene Eber: In den Kosch - Am Tor und anderswo
Im Kaminsaal hatten sich die Würzweinkelche und bald darauf servierten Wildbretteller mittlerweile geleert. Die Kälte des Rittes war wohliger Wärme gewichen und in der Tafel hatte sich manche Unterhaltung entfesselt. Über dem Ganzen lag jedoch, wie ein unsichtbarer Schleier, eine neugierige Angespanntheit. Immer wieder schweiften die Blicke der Anwesenden über den Raum in der Hoffnung etwas aufschlussreiches zu entdecken.
Zur Rechten von Prinz Edelbrecht saß Cantzler Nirwulf, dem diese Blicke nicht entgangen waren. So schlug er vor: "Ich würde meinen, dass wir uns jetzt, wo alle sich gesträrkt haben, einen kleinen Rundgang zu den vermeintlichen Schauplätzen des Verbrechens machen. Vor Ort lässt sich der Ablauf stets am besten Nachvollziehen - und ich denke es wäre wichtig, dass wir alle über die Vorgänge im Bilde sind."
"Das ist ein sehr guter Vorschlag!", erwiderte der Junker von Pechackern und erhob sich von seinem Stuhl. Den letzten Schluck Gewürzwein hatte er gerade ausgetrunken, nun straffte er seine, vom Sitzen gknauschte blaue Tunika und machte sich bereit dem Ortskundigen zu folgen.
Nachdem sie schweigend ihr Mahl verzehrt hatten flüsterte Antara in Runde ihrer Ordensgeschwister: "Wir sollten uns anschließen. Wenn wir uns erhoffen des Nachts einen Wink aus Borons Reich zu erhalten, so mag es sehr hilfreich sein die Örtlichkeiten bereits gesehen zu haben."
Lyeria, die nur eine bescheidene Mahlzeit eingenommen hatte, auf dass ihr Schlaf nicht durch übermäßige Speise gestört werde, reagierte auf den Hinweis Antaras mit einem Nicken: "Du sprichst wahr, doch sollten wir auch versuchen dem Herrn des Schlafes im Gebet näher zu kommen. Lasst uns nach unserer verdienten Nachtruhe zwei Stunden vor Sonnenaufgang zusammen beten." Dann erhob sie sich und mahnte auch Timokles, der noch in sein Abendmahl vertieft war, sich zu erheben. Dieser ließ daraufhin missmutig von seinem Essen ab, nahm noch einen Schluck des Gewürzweines, tat es der Ritterin gleich und erhob sich ebenso, seine fettig-glänzenden Finger an der Tischdecke säubernd.
Am Tor
Thorben sah den Soldaten aufmerksam an. "Verzweifle nicht, Soldat! Prinz Edelbrecht ist hier, um seinen Bruder zu suchen. Mit seiner und der Götter Hilfe wird uns das auch gelingen", sagte er in festem Ton. "Das die Tore geöffnet waren habe ich schon erfahren, aber gab es denn keine Wache am Tor und sind nicht sofort Reiter aufgebrochen, der Kutsche zu folgen? So viele Wege von hier die eine Kutsche nehmen kann gibt es ja nun nicht."
Die Scham der Wache war erkennbar, als sie auf die Frage des Wehrmeisters antwortete: "Das Tor stand unter der Wache von mir und Hellebardierin Hochfeld ... diese war für einen Moment ... nun ... austreten - während ich den Nachzügler erblickte und damit beschäftigt war ihn einzufangen und vom Grundstück zu geleiten. Das Tor war derweil für wenige Minuten unbewacht - Der Profoss hat uns mittlerweile dafür Strafrunden drehen lassen."
Nun räusperte sich der dickliche Wächter unter dem strengen Blick des Hammerschlagers und fuhr eilig mit seiner Erklärung fort: "Zunächst war allerdings nicht vollends klar, ob dass es sich nicht um einen spontanen nächtlichen Ausflug des Prinzenpaares handelte - nach dem anstrengenden Tag war dies nicht unmöglich. Hellebardier Pirkensee wurde angewiesen die Angelegenheit zu klären. Doch er kam mit der erschreckenden Botschaft zurück, dass weder Erbprinz noch Prinzessin eine Nachricht vor der Abreise hinterlassen hatten - selbst ihren Leibdienern nicht. Stattdessen fand man das Schlafzimmer der Herrschaft leer und eilig verlassen vor. Die Kutscherin war ebenfalls nicht mehr auffindbar. Als eine der Paginnen berichtete, dass sie das Paar eilig in Begleitung von etwa vier bewaffneten Leuten sah, war erwiesen, dass wir es mit einem schändlichen Verbrechen zu tun hatten. Der darauf unverzüglich ausreitende Trupp fand am Siebensprung, der Weggabelung in etwa zwei Stundenritt Entfernung, die erbprinzliche Kutsche ... leer ... offenbar haben die Schurken das Paar in ihre eigene Kutsche gezwungen. Welchen der sechs Wege sie genommen haben, war unklar - Suchaktionen waren bislang erfolglos."
Nachdem sich der Reiffenberger davon überzeugt hatte, dass das prinzliche Ross und die anderen Tiere gut untergebracht und versorgt waren, begab er sich in den warmen Saal indem ein Großteil der anderen bereits genüßlich heißem Wildbret und Gewürzwein zusprachen. Unauffällig und als Zeichen das alles in Ordnung ist nickte er dem Prinzen zu und setzte sich an das unterste Ende der Tafel in die Nähe der Knappen. Er nahm von dem Wildbret und ließ sicheinen großen Becher mit Würzwein geben, der die Kälte, die schon den ganzen Tag auch durch seine Glieder gekrochen war, in wohlige Wärme verwandelte. Als er merkte, dass der Wein ihm langsam zu Kopfe stieg und die Verspannungen in seinem Körper sich lösten, lehnte er sich in seinem stuhl zurück, seufzte vernehmlich und lauschte den Gesprächen der anderen.
Der Cantzler ging vor, durch ein Tor in der Mitte des Speisesaales, das zunächst in einen kleineren Saal mit dunkelgrünen Wänden führte. Üppige Farne, Palmen und Pflanzen des Südens standen hier und vermittelten den Eindruck einer Reise ins Land der Mohas. In der Tat stand ein Standbild eines kupferhäutigen Kriegers in einer der Ecken. Auf den Ästen und Kronen saßen präparierte Tiere, insbesondere erstaunlich bunte Vögel.
Der Junker zu Pechackern war schon ziemlich herumgekommen, doch so weit im Süden, als das er solche Plflanzen kennen würde eben nicht. So blickte er die ausgestellten Objekte und Pflanzen sehr interessiert an. Die eine oder andere Pflanze berührte er dabei vorsichtig im Vorbeigehen.
Urion folgte dem Cantzler und dem Prinzen in angemessenem Abstand. Er bewunderte die vielen exotischen Pflanzen. Sein Vater hatte immer nur von seinen Reisen in die Khom berichtet, aber hier hatte er die sonderbarsten Pflanzen tatsächlich vor sich. Der Bruder des Prinzen musste tatsächlich ein von Peraine gesegneter und gelehrter Mann sein. Nachdem sie den Raum verlassen hatten, holte den Rittmeister die Realität ein. Gespannt konzentrierte er sich auf seine Umgebung.
Antara hatte sich der Führung angeschlossen in der Absicht sich ein wenig auf den Ort einzustimmen. Die Exponate weckten allerdings weniger ihre Neugier als wehmütiges Heimweh und die Erinnerung an frühere Reisen mit ihrem Bruder Boraccio. Die fürstliche Residenz kam ihr sehr drückend vor, es fehlte die Leichtigkeit der Palazzos der heimischen Magnaten oder gar der Prunk der kaiserlichen Residenz in Punin. Dann schalt sie sich selbst für ihre Träumereien und versuchte wieder mit den anderen Schritt zu halten.
Wunderschöne Blüten und merkwürdig geformte Blätter - teilweise doppelt so groß wie die einer Linde.
Eine besonders auffällige rote Blüte, die Ähnlichkeit mit einer geöffneten Muschel hatte, schloss sich blitzschnell, als sein Finger sie berühte. Für einen erschreckenden Moment hatte sie seinen Finger gefangen - und er hatte einige Mühe ihn herauszuziehen. Mit etwas rosigem Gesicht und geröteter Fingerkuppe blickte er sich um, in der Hoffnung, dass niemand diesen Vorfall gesehen hatte.
Mit offenem Mund war Timokles seiner Mentorin gefolgt und kam aus dem Staunen über die exotische Flora gar nicht mahr heraus. So etwas schönes hatte er noch nie in seinem Leben gesehen. Die Neugierde trieb ihn dazu an, dass er über eine sonderbare Pflanze, deren Blätter mit einem sonderbaren Fell überzogen zu sein schienen, vorsichtig streichelt und tatsächlich fühlte sich das Gewächs weich an, wie Wolle. Er blickte sich kurz um und wollte auch die bunten Blüten genauer untersuchen, als er bemerkte, wie der Junker zu Peckackern von einer dieser Blumen angegriffen wurde. Sofort zuckten die Finger des Knappen zurück und er holte in wenigen weiten Schritten Lyeria wieder ein, und der Pechackerner beobachtete Timokles, der es ihm allem Anschein nach gleich getan hatte oder wollte, es dann aber auch besser ließ. Im Stillen schallte er sich selbst einen Narren, dass ihn die Neugier so übermannt hatte und schloss mit schnellen Schritten auf.
Doch der Aufenthalt in der vermeintlichen Ferne währte nicht lange, schon im nächsten Raum betrat man einen großen Saal mit einem hohen Kreuzgewölbe. An den Wänden prangten Jugendportraits adeliger Herrschaften - vermutlich früherer Fürstinnen und Fürsten. Ein großer eiserner Reif in der Mitte spendete, ebenso wie einige Fackeln an den Wänden, flackerndes Licht. In der Mitte standen zwei gepolsterte Sessel. Offenbar so etwas wie ein Fest- oder Thronsaal.