Geschichten:Verschollene Eber: In den Kosch - Der Krambold
Lyeria hatte ihre Klinge schon halb gezogen, doch sobald sie wahrnahm, wie der Mann stürzte, ließ sie ihre Waffe in den Schnee fallen und fasste dem Mann unter die Arme. Sein Gewicht war durch die feuchte, gefrorene Kleidung um ein Vielfaches höher, als sie vermutet hatte und so brach sie halb in die Knie, um seinen ausgezehrten Leib vor dem Sturz zu bewahren. Er fühlte sich kalt an, seine Kleidung hart und eisig und auch seine Haut, kalt wie die eines Toten. Lange wird er es nicht mahr aushalten. "Boron, lass die Seele dieses Mannes nicht über das Nirgendmeer entweichen, er hat so lange den Prüfungen Firuns getrotzt, dass er nun auch die letzten Schritte in die Rettung überleben muss." Sie zog ihren Mantel von den Schultern und versuchte den Mann mit aller Kraft, mehr als man in dem Körper der dünnen Frau vermutet hätte, um den Hof zu bringen, mehr ziehend, denn tragend. Schließlich gelangte sie bis zur Tür und stieß diese mit einem Stiefeltritt auf und betrat den Gutshof.
Sofort wehte kalter Wind in den Saal, in dem der Rest der Gruppe soeben speiste, als Lyeria hereingestolpert kam. Ihre Lippen und Wangen waren blau vor Kälte und ihre Knöchel an den Fingern weiß und blutig. Doch was weit mehr das Interesse der Anwesenden erregte, war der Mann, welcher in einen schweren, gefrorenen Mantel gehüllt war und wie tot in den Armen der Golgaritin hing. Wie unnahbar und kühl Lyeria sich sonst verhielt, so erschöpft und aufgebracht war sie nun. Sie ließ den Mann auf eine Bank an Ofen niedergleiten, wobei ihr von Timokles geholfen wurde. Dann hob sie unter Seufzern an zu berichten: "Ehrenwerter Prinz, ich habe diesen Mann erblickt, als er sich von den Unbillen des ernsten Herrn des Winters bedroht sah und der schon nahe an der Pforte zu Borons Reich weilt. Ich weiß nicht wer er ist, doch ich hoffe er wird es überstehen." Währenddessen machte sich Timokles daran dem alten Mann seinen nassen Mantel abzunehmen und ihn auf etwaige Verletztungen zu untersuchen.
Als die Tür sich öffnete war Urion von seinem Stuhl aufgesprungen. Als er die Worte Lyerias vernommen hatte eilte er Timokles zur Hilfe. Er winkte die Perainegeweihte herbei. "Schwester, helft diesem armen Mann. Und lasst ihn nicht sterben, bitte .." Danach ging er zum Tisch und nahm seinen Becher mit lauwarmen Würzwein und ging zurück zu Timokles und wartete auf das Untersuchungsergebnis der Geweihten. Sollte es dem Mann besser gehen, würde ein anständiger Schluck Würzwein seine Lebensgeister wohl wieder wecken.
Während Tumult in dei Halle kam und sich eilfertige Hände nur zu schnell fanden, wollte Anselm nicht im Weg sein, stand auf, nahm Schwert und Stuhl beiseite und stellte sich an eine Stelle in dem Raum, von welcher er die Szene gut verfolgen und helfen konnte, so er gebraucht werden würde. Er wusste nur zu gut - manchmal ist es besser nicht auch noch bei der Entwicklung eines allgemeinen Chaos mitzuwirken.
Tyrian warf einen Scheit ins Feuer und gesellte sich dann zu Anselm. "Frage mich, ob wir wohl noch häufiger solche Funde machen werden", raunte er zum Pechackerner, während auch er dann die Hilfeleistung beobachtete. "Die Götter mögen da vor sein, aber eisig genug ist es ja."
Auch Erlan betrachtete den AUfruhr ruhig und mischte sich nicht weiter ein. Er achtete jedoch darauf nicht im Weg zu stehen.
Vogt Answin von Boronshof hatte sich etwas mühsam von seinem Stuhl erhoben, um der Geweihten des Herrn Boron zu Hilfe zu eilen, musste dann aber feststellen, dass andere schneller gewesen waren. So ließ er sich erneut nieder, um das weitere Geschehen zu beobachten
Der Geistmärker Baron drängte sich neben die Golgaritin. "Wen bringt ihr mir da in die gute Stube?", brummte er und musterte das bleiche Gesicht des Mannes.
Ardo blickte erschrocken und aus seinen schwermütigen Gedanken gerissen auf, als sich die Tür auftat und die Boroni mit dem halberfrorenen Mann in die gute Stube stolperte. So wie er aussah mochte es sich bei ihm um einen dieser Kiepenkerle handeln, wie solcherart Leute hier genannt wurden. Doch wissen konnte man das wohl erst wenn es gelang den Mann wieder zu Kräften zu bekommen. Er würde nicht schlecht schauen, wenn er sich dann inmitten dieser illustren Runde von märkischen und koscher Adligen, allen voran dem Prinzen, wiederfand. Bei der aufkommenden Aufregung hielt es Ardo für geboten den Überblick zu bewahren. Solange sie noch immer nicht mit Gewissheit sagen konnten was dem Erbprinzenpaar zugestoßen war, blieb Vorsicht das oberste Gebot. So fand er sich denn auch wenige Augenblicke später neben dem Hundgraber wieder, der ebenso eine ruhige Ecke aufgesucht hatte und gleichsam einen ruhenden Pol im aktuellen Durcheinander darstellte.
Die Müdigkeit drohte sie schon zu übermann, da schreckte der plötzliche Tumult Antara auf. Nach einem Augenblick zur Orientierung sprang sie vom Stuhl auf und schlängelte sich durch bis zu der Ritterin und ihrem Patienten. Noch während sie sich an einigen Sitzenden vorbei schlängelte schob sie eine Tasche an ihrem Gürtel weiter nach vorne und öffnete sie bereits, so daß sie besser in die Verbände darin kam. Nach einem kurzen Blick auf den halb erfrorenen Mann hielt sie einen Moment inne, wie um zu lauschen. Als sie nicht das Rauschen von Schwingen vernahm, daß sie oft hören konnte, wenn Golgari unterwegs war, um eine Seele zu holen, entspannte sie sich wieder etwas. Sie nickte der Geweihten der Peraine zu. "He da, wir brauchen ein paar trockene Decken, schnell!" wies sie eine Magd an, die ratlos in der Ecke stand. Dann nahm sie ihren eigenen Mantel ab und legte ihn über den Mann. "Droht noch weitere Gefahr?" fragte sie die Ritterin Lyeria.
Urion schaute erleichtert in die Runde als Antara die Magd aufforderte Decken zu besorgen. Er reichet der Geweihten den Becher mit warmen Würzwein. "Hier nehmt! Es tut ihm sicher wohl etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Und sobald er bei Sinnen ist, versuchen wir es mit warmen Wildbret."
Langsam öffnete der Mann die Augen, er schlotterte. Es schien ihm schwer zu fallen seine Umwelt wahrzunehmen. Als er in das Antlitz seines gegenübers blickte hauchte er ein kaum verständliches: "Danke", nach einer kurzen Pause folgte, "Wil...burs Gruß, entbiet ... entbiet ich euch!"
Antara flößte dem Fremden einen Schluck des warmen Getränks ein. Die Wärme im Raum und der Wein schienen seine Lebensgeister wieder zu wecken. Die Geweihte fuhr kurz mit der Hand vor den Augen ihres Patienten hin und her und stellte zufrieden fest, daß sein Blick der Bewegung folgte. "Könnt Ihr sprechen, guter Mann?"
Der Mann sah tranig zu Antara auf, lächelte verschmitzt, so gut er in seiner allmählich verklingenden Schwäche konnte und antwortete mit etwas kräftiger werdender Stimme: "Was... was habe ich eben sonst getan, liebe... liebe Frau, gegrunzt?" Erst jetzt begann sein trüber Blick an Antara entlangzuwandern, seine Mine versteinerte, als er zu begreifen begann, wen er vor sich hatte: "Oh, verzeiht, Euer Gnaden ... oder Hochwürden ... oder ... " Er rappelte sich, so gut er konnte, erschreckt auf und musterte sich selbst von oben bis unten: "Ich bin doch noch am Leben, oder?
Antara lächelte freundlich. "Nein, Golgari hat Euch noch nicht geholt, trotz der Kälte da draußen. Auch wenn nicht mehr allzuviel gefehlt haben mag. Aber trinkt ruhig noch einen Schluck und dann berichtet uns, was Euch in die bitterkalte Nacht getrieben hat. Aber verratet uns vorher schnell noch, ob Ihr alleine unterwegs wart oder ob wir nach weiteren Vermißten Ausschau halten müssen."
Timokles stützte den Mann nach seinen Kräften, damit Antara ihn besser versorgen konnte, als Lyeria wieder zu Kräften kam und meinte: "Ich habe niemanden gesehen, Schwester, und ich meine wir sollten den Mann erst einmal wieder zu Kräften kommen lassen, scließlich hat ihn Uthars Pfeil nur knapp gestreift"
Als Urion sah, dass es dem Mann bereits besser ging, besorgte er noch schnell drei Becher Würzwein. Zwei Becher reichte er Tyrian und Anselm prostete ihnen zu und erwartete die Rückkehr der Magd und des Prinzen Befragung.
Eine traurige Erinnerung kehrte offenbar zum Krambold zurück: "Ich war alleine unterwegs ... Gorbrecht, mein treuer Hund, blieb bei Angenbrück zurück ... er hat die Kälte nicht überlebt. Steifgefroren und notdürftig mit etwas Holz und Schnee bedeckt musste ich ihn zurücklassen. Dort, in den Wengenholmer Bergen herrscht der Zorn Firuns. Was nicht erfriert, verhungert. Was ich geben konnte, gab ich, nach Wilburs Gebot ... doch meine Kiepe ist leer und die letzten Vorräte habe ich selbst verbraucht."
Als würde er sich selbst auf andere Gedanken bringen wollen, blickte er mit wässrigen Augen umher, sah in die Runde, blieb am etwas strengen Blick Baron Kordans hängen und fügte hinzu: "Verzeiht, ich habe meinen Namen nicht genannt Alrich Zwiebenhang, mein Name. Wenn Ihr etwas an Proviant, Fellen, Decken oder Wolle entbehren könnt, würde ich es gerne abkaufen, damit ich bald zurückkehren kann und mit der Götter Hilfe die eine oder andere Seele vor dem Hungertod oder dem Erfrieren rette." Dabei zog er nach alter Sitte seinen Filzhut, wobei es ihm sichtlich einen Moment lang schmerzte seine noch immer rotgeforenen Hände zu bewegen.
Nachdenklich wandte sich Ardo den Edlen Anselm, Tyrian und Urion zu, gerade als letzterer mit den Getränken wiederkam.
"Wie mir scheint werden wir uns eilen müssen. Nach dem was der Mann sagt könnte das Erbprinzenpaar in den Bergen eingeschneit sein. Wahrscheinlich auch noch ohne ausreichende Vorräte, da ihre freundlichen Entführer nicht mit einer so langen Dauer des geplanten romantischen Winterspazierganges gerechnet hatten."
"Antara D'Altea ist mein Name, Knappin und Dienerin Golgaris." stellte sie sich vor. "Und die Herrschaften hier sind seine prinzliche Durchlaucht Edelbrecht vom Eberstamm sowie seine tapferen Rittersleut, auf der Suche nach dem verschollenen Erbprinzenpaar" führte sie in knappen Worten die Vorstellungsrunde weiter. "Für ausreichend Vorräte wird sicher gesorgt werden. Aber jemand wie Ihr, der viel herum kommt in der Gegend, vermag uns vielleicht wertvolle Hinweise auf den Verbleib des prinzliche Paares geben, das wir immerhin nicht weit von hier vermuten." Sie wandte sich nun an Anwesenden. "Vielleicht mag einer der Ortskundigen mit dem Mann hier sprechen und ihm die richtigen Fragen stellen."
„Wir sollten also mehr Vorräte mitnehmen, als wir es ehedem schon machen, meint Ihr?“ führte Anselm den Gedanken fort. „Ich hatte das Gefühl, dass wir schon gut ausgestattet sind, doch eine Kontrolle wird sicherlich helfen, die Lage besser einzuschätzen.“
Urion wandte sich an Ardo. "Ihr habt recht werter Ardo." Er reichte ihm seinen Becher. " Aber seid gewiss, ich habe in allen Satteltaschen der Ersatzpferde Proviant verstauen lassen der bis Al´Anfa reichen dürfte. Bevor wir verhungern, werden wir erfrieren. Es ist zwar teilweise auch Hartwurst und ein lieblich "duftender" tobrischer Schafskäse dabei, aber wenn ihr in das Fässchen auf dem Sattel des einzigen Fuchses schaut, werdet ihr einen scharfen Waldbeerenbrannt finden, den meine Schwiegermutter hat brennen lassen. Ich schwöre, manchmal habe ich das Gefühl, dass ich es danach mit einem Waldlöwen aufnehmen könnte. Ach ja, Anselm Euer Rittmeister probierte davon bei der letzten Auktion. Aber nun trinkt Freunde. Ich werde unserem unvermuteten Gast noch etwas einheizen." Er nahm einen weiteren Scheit und warf ihn ins Feuer.
"Habt Dank, werter Urion." Ardo prostete dem Reiffenberger zu und nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher. "Ich hatte ja keine Ahnung, dass unsere Satteltaschen derart gut gefüllt sind. Wenn wir uns jetzt eilen haben wir vielleicht noch genug Proviant um, sobald wir das Prinzenpaar heil Heim gebracht haben, gleich noch eine Hetzjagd auf diese lästigen Schwarzpelze zu unternehmen welche die Borongesandtschaft angriff." Halb im Ernst, halb im Spaß klangen diese Worte aus dem Munde des jungen Ritters. Mit einem Blick auf den Kiepenkerl tat er seine eigene Bemerkung aber mit einer Handbewegung wieder ab und seine Stimmung wurde eine Nuance düsterer. "Aber bleiben wir doch vorerst bei der Sache. Lasst uns zumindest hoffen, dass dieser Mann ein paar brauchbare Informationen hat. Bei diesem Wetter können wenige Stunden über Leben und Tod entscheiden."
Ernst nickte der Pechackerner dem Keilholtzer zu, "Da habt Ihr sicherlich recht. Wir müssen uns eilen, jedoch ohne dabei die Mission selbst zu gefähreden. Denn welchen nutzen haben wir, wenn wir uns selbtst in Gefahren bringen, die wir voher hätten sehen können. Hoffen wir, dass der Kiepenkerl etwas zu berichten hat."
Doch die Hoffnung bestätigte sich nicht. Der Krambold wusste wohl einiges über die gefährlichen Verhältnisse im Norden des Kosch zu berichten, doch vom Prinzenpaar hatte er nichts vernommen. Dennoch, der Wehrmeister Thorben von Hammerschlag machte schon die ganze Zeit den Eindruck, als würde er ahnen, auf welcher Burg das Paar sich mit seinen "Entführern" befinden könnte: "Mir erscheint nach der Karte der stummen Händlerin die Burg Firntrutz an der Grenze zu Andergast am wahrscheinlichsten zu sein.", erklärte er im Lauf der abendlichen Unterredung.
Der Kiepenkerl Zwiebenhang sah erschrocken aus als er das hörte: "Wenn schon Angenbrück im Tal derart vom Winter geplagt wird, wie tödlich mag Firuns Zorn oben auf der Firntrutz toben. Mögen die guten Götter es geben, dass das Paar noch lebt."