Geschichten:Verschollene Eber: In den Kosch - Die Nachhut bricht auf
Nach der Messe wurde das borongefällige Schweigen nur schwerlich aufrechterhalten. Allenthalben flüsterte man miteinander, während die Messbesucher den Schrein verließen. Man sprach über die Vision der Boroni, der nahen Aufbruch und die hoffentlich gute Situation der Vorhut. Nur mit Mühe konnte der Knappe Timokles die Männer mit strengen Blicken und Weisungen zur Ruhe bei der kontemplativen Stille halten, wie es sich nach dem Gottesdienst gehörte, zu aufgebracht waren die Gemüter. Nachdem die Golgariten den Schrein nach einem abschließenden Moment der Ruhe wieder soweit in Ordnung gebracht hatten, gingen die zwei Ritter mit den beiden Knappen würdevoll in der großen Saal, in der sich bereits der Rest der Gruppe versammelt hatte und auf die ersehnte Aufklärung der Vision wartete. Antara stellte sich also vor die versammelte Menge, während sich die anderen Golgariten zu den Zuhörern gesellten.
Antara hatte die Kapuze ihrer Kutte zurückgeschlagen, so daß man ihr Antlitz nun sehen konnte und ihr langes, dunkles Haar nun wieder zu sehen war. Als sie vor die Versammelung trat, verstummte das Gemurmel und alle Blicke richteten sich unwillkürlich auf die außergewöhnliche Erscheinung der Geweihten. Kurz lies sie einen Blick über die versammelten Edlen streifen und mit routinierter Stimme hob sie an zu sprechen: "Eure prinzliche Durchlaucht, Eure Excellenz ..." Es folge ein kurzes Nicken in die Richtung der angesprochenen. "Hohe Herrschaften. Bevor wir uns nun kurz beraten und aufbrechen will ich noch verkünden, welche Botschaft mir Nacht von Bishdariel überbracht wurde." Sie legte eine kurze Pause ein, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer weiter zu steigern. "Ich sah eine Winterlandschaft. Darin ein kleiner Weiler und an seinem Rand ein runder Brunnen. Ein dunkler Schacht war in dem Brunnen und ich fiel in die Schwärze des Schachtes, tiefer und tiefer. An seinem Grund sah ich eine Burg, inmitten des Berges, und ich spürte eine bittere Kälte, eine tödliche Kälte. Dann kehrte ich zurück aus der Welt des Traumes." Wieder legte sie eine Pause ein, um das Gesagte wirken zu lassen. "Da wir zu einem Brunnen aufbrechen wollen scheint dieser Teil der Warnung unzweifelhaft zu sein. Was es nun mit der Burg in den Bergen auf sich hat entzieht sich meiner Kenntnis, vielleicht weis einer der Einheimischen mehr dazu zu sagen. Aber eine andere Sorge beschäftigt mich. " Sie schaute den Prinzen an. "Verzeiht, Eure prinzliche Durchlaucht, es liegt mir fern Euren Mut in Frage zu stellen. Aber angesichts der ungewissen und unzweifelhaft gefährlichen Mission, auf die wir uns gleich begeben wollen, sollte die Frage erlaubt sein, ob Eure Teilnahme nicht den mysteriösen Entführern in die Hände spielt. Was wenn es sich um eine Falle handelt mit dem Ziel auch des zweiten Sohnes seiner fürstlichen Durchlaucht habhaft zu werden wollen? Die Lage Eures Herrn Vaters und des ganzen Fürstentums, sowie der Mark Greifenfurt, wäre in großer Bedrängnis."
Edelbrecht lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte: "Nun, damit dies nicht geschieht habe ich mein Schwert und die besten Frauen und Männer des Reiches als getreue Begleiter an meiner Seite." Ein trotziges Gelächter erfüllte den Raum. Der Prinz ergänzte in deutlich ernsthafterem Ton: "Eure Sorge ehrt Euch, doch gerade weil es hier um die Ehre und den Bestand meines Hauses ... und nicht zuletzt um meinen einzigen verbliebenen Bruder und seine Gemahlin handelt, ist für mich schon der Gedanke unerträglich hier im Schloss zu warten, während Ihr auszieht. Wir werden jeden Schwertarm brauchen - und was ist tun kann um meine Bruder zu retten, werde ich tun. Bei allen Zwölfen!"
Viele der Versammelten stimmten begeistert in den Ruf ein.
Cantzler Nirwulf, der es sich mit einer vorgewärmten Wolldecke und einer großen Schüssel Kräutertee gemütlich gemacht hatte wirkte noch etwas verschlafen, als er seine Stimme erhob: "Ahem, zurück zum Kern dieser Prophezeiung. Es scheint mir fast, als wäre unsere Vorhut in großer Gefahr. Es erscheint ratsam, unsere Abreise nicht zu lange hinauszuzögern."
Er winkte einen der Diener herbei, gab ihm die Anweisung die Kutsche mit dem Lösegeld, Proviant und den weiteren "üblichen Reisenotwendigkeiten" zu beladen.
Lyeria hatte den Bericht Antaras stumm verfolgt und nur mit einem regelmäßigen Nicken kommentiert. Auch ihr war der Inhalt der Vision bis dato unbekannt. Die Gefühlsäußerungen der Anwesenden konnte sie nicht teilen, zu ernst war die Lage. "Unsere erste Pflicht gilt den Lebenden, die zweite erst den Toten. Boron, mach, dass wir nicht zu spät kommen, doch dein Wille geschehe", murmelte sie undeutlich vor sich hin. Dann wandte sie sich um, sodass ihr weißer Mantel, wie ein Banner hinter ihr wehte. Darauf sagte sie mit deutlicherer Stimme: "Timokles, du und Antara, geht den Knechten zur Hand, damit der Aufbruch möglichst wenig hinausgezögert wird. Ich und Alderich werden unsere Ausrüstung bereiten.", dann in Richtung des Prinzen und des Kanzlers gewandt: "Ich hoffe, Ihr seid der selben Meinung, Euer Hochwohlgeboren. Der Herr des Schlafes und des Todes hat uns eine Botschaft geschickt, eine Warnung. Wir dürfen unsere Vorhut nicht in ihr Verderben laufen lassen!" Eine Antwort wartete die Golgaritin nicht ab, sondern verließ gefolgt von Alderich den Saal.
Timokles' Blick landete suchend auf Antara. Dann nickte er und verließ den Saal in Richtung der Pferdeställe.
"Geh nur vor." flüsterte sie ihm zu. "Ich werde mich erst umziehen. Das hier ist nicht die angemessene Kleidung für den Stall." Kurze Zeit später folgte sie Timokles in den Stall. Sie hatte Knappengewand und Rüstung bereits angelegt, nestelte allerdings noch den Riemen der Rüstung rum. "Ah, da bist Du ja. Kannst Du mir mal eben zur Hand gehen? Sonst sind wir heute mittag noch nicht hier weg." Sie grinste kurz, drehte Timokles ihre Seite zu und hob den Arm, damit er an die Riemen kam. Ihr Seitenprofil war trotz der Rüstung immer noch aufregend anzusehen.
In Gedanken wandte sich der Knappe von dem Sattel ab, den er gerade festgezurrt hatte und meinte, während er den Kopf drehte: "Ja...", dann fiel sein Blick auf die zarten Rundungen ihres Leibes, die Wölbung ihrer Brüste unter der Rüstung und ihr feines Haar. Er musste schlucken und war zu keiner Bewegung mehr in der Lage. "na... na... natürlich helfe ich dir", brachte er stotternd heraus und machte sich mit schwitzigen Fingern daran den Riemen zu befestigen. Seine Gedanken irrten wirr durch seinen Geist: "Boron steh mir bei, ich darf keine lüsternen Gedanken hegen, doch wieso ist dies hier so schwer? Ich muss standhaft bleiben, ich meine standfest. Aber warum sind die Frauen nur so schön anzusehen, naja nicht alle, aber einige.", dann verscheuchte er die Gedanken und der Mahnung seiner Mentorin eingedenk, rezitierte er im Geist einige Passagen der Lex Boronia, um sich abzulenken und es galang, ihm sich zu konzentrieren und er unterstützte sie beim Anlegen ihrer Rüstung. Dann drehte er sich mit einem schlichten "Bittesehr" um und machte sich wieder daran die Satteltaschen mit Proviant zu füllen, doch die Gedanken des Knaben waren noch immer wo ganz anders.
Mit einem fröhlichen "Danke schön!" schenkte die Almadanerin dem Knappen ein Kurzes Lächeln und drehte sich dann in Richtung der Pferde, um sie zu satteln. Von den Seelenqualen des armen Timokles schien sie nichts zu ahnen.
Gut ausgeschlafen stieg Kordan von Sighelms Halm am Morgen von der Gästekammer hinab in den Saal. Er staunte nicht schlecht, als man ihm die Geschehnisse der Nacht berichtete. Als der Name Hannos Hof fiel, verfinsterte sich sein Gesicht. "Beim Herrn Praios, in meinem Lehen? Vergangenes Jahr trieb dort wohl Räubergesindel, das aus dem Garetischen herübergekommen war, sein Unwesen. Doch wurden die seither samt und sonders aufgeknüpft. Dass ich nun wieder Übles aus Hannos Hof hören muss, will mir gar nicht gefallen!"
"Nur die Ruhe, lieber Baron", beschwichtigte Väterchen Nirwulf. "Noch wissen wir ja nicht, was hier gespielt wird. Was könnte Ihr uns denn über diesen Brunnen sagen?"
"Der wird wohl zu den Ruinen eines Gutshofes in der Nähe des Weilers gehören", entgegnete der Geistmärker nachdenklich. "Schon möglich, dass da noch ein alter Gang hineinführt .... Das Volk behauptet, der Hof habe einst einem Prinzen Hanno vom Eberstamm gehört. Zumindest findet sich sein Name im Bruchstück einer Inschrift. Das muss noch vor Rohals Zeiten gewesen sein, und der Hof liegt seit Jahrhunderten in Trümmern. Heute besteht der Ort aus einem jüngeren Gutshof, der dem Kloster Storchshausen zinspflichtig ist, einer Wegstation und einigen Bauernkaten."
"Nun, ich nehme aber nicht an, dass dieser Gutshof wie eine Burg an einem Berg aussah. Ich füchte ich bin ich wohl doch zu sehr Angroscho, um etwas mit diesen Träumen und Prophezeiungen anfangen zu können.", setzte Nirwulf hinzu, "Wie auch immer, Ihr werdet auf der Suche als Kundiger der Gegend sicher von großem Nutzen sein, werter Baron Kordan." Eine der Wachen kam zur Tür herein und verkündete, dass die Kutsche beladen und abfahrbereit sei. Auch die Reitpferde seien versorgt und standen im Hof bereit.
Der kleine Cantzler rieb sich unternehmungslustig in die Hände. "Na denn, auf zur Rettung unserer Vorhut und des Prinzenpaares!"
Die Gruppe sammelte sich im Hof des Erlenschlosses. Prinz Edelbrecht bestieg als erster sein Ross, während Cantzler Nirwulf, in dicken Pelz gehüllt, in die Kutsche stieg. Die anderen folgten mit ihren Rössern. Wenn das morgendliche Wetter ein Omen sein sollte, wäre es alles andere als gut. Rechtzeitig zum Aufbruch begannen Schneeflocken zu fallen und wurden dabei immer wieder von einzelnen, jähen Böen durcheinander gewirbelt.
"Die Zwölfe mit uns!", rief Edelbrecht, und trieb sein Pferd an, fast als zöge er in die Schlacht. Der Zug setzte sich in Bewegung.
Trotz des schlechten Wetters schien Antara gut gelaunt zu sein. Die Erschöpfung des gestrigen Abends schien von ihr abgefallen zu sein, so als ob der Herr des Schlafes seiner Dienerin eine erholsame Nacht gegönnt hatte.
Sie lenkte ihren lebhaften Yaquirtaler neben Lyeria und sah die Ritterin abwartend an. Nachdem diese durch ein fast unmerkliches Nicken zugestimmt hatte sprach Antara leise zu ihr: "Wir sollten ein wachsames Auge auf seine prinzliche Durchlaucht haben. In seinem Tatendrang und seiner Sorge um seinen Bruder steht zu befürchten, das er unbedacht handelt und seiner persönlichen Sicherheit nur wenig Aufmerksamkeit schenkt. Es würde seiner fürstlichen Durchlaucht das Herz brechen, wenn er seine beiden Söhne verliert."
Eine kurze Zeit hüllte sich die Anführerin der Golgaritendelegation in Schweigen und rief sich die Worte des Abtes zu Rabenhorst wieder ins Gedächtnis, dass sie mit fester Hand und seelischem Beistand den Koscher Freunden zur Hilfe eilen sollte. Es war ein Unterfangen von höchster Priorität, dass möglichst beide Eberstammer wieder heil zurückkämen. Also antwortete sie: "Ich werde dem Prinzen wie ein Schatten sein, meine Klinge zwischen ihm und der seiner Feinde. Habe keine Angst, es WIRD ihm nicht geschehen und wenn doch.. Die Wege Borons sind unergründlich, Schwester!" Sie trieb ihr Ross an und ohne eine Antwort abzuwarten ritt sie an die Seite des Prinzen, nickte ihm kurz zu und versank dann wieder in Schweigen.