Geschichten:Verschollene Eber - Vom Rabenhorst geschickt
Kloster Rabenhorst, im Boronmond 1031 BF
Die Abschiedsworte des Abtes im Ohr wandte sich Lyeria energisch um. Der weiße Mantel blähte sich hinter ihr. Die Adjutantin hielt nicht viel von dem Geschleiche, das viele Ordensgeschwister an den Tag legten. „Solange ich am Leben bin, darf ich auch hörbar sein“, pflegte sie zu sagen, und getreu diesem Motto stapfte sie auch nun davon, in ihr privates Gemach, wo in einer Truhe, gut verschlossen und stets vorzüglich gepflegt, ihre zweitliebste Waffe nach dem treffenden Wort lag: der Reitersäbel, der sie schon in viele Schlachten begleitet hatte. Mit einer Brieftaube aus der Markgräflichen Burg war die Notwendigkeit im Kloster eingetroffen, in eine neue Schlacht zu ziehen. Allerdings war dies vermutlich keine, wo Kampfesstärke allein weiterhelfen würde. Sie gürtete kopfschüttelnd und immer noch voller Empörung ob der ruchlosen Tat, die ihr Rabanus verkündet hatte, ihre Waffe, die gewohnt leicht an ihrer Seite hing, hob die leichte Platte ebenfalls aus der Truhe und hielt sie einen Moment in den einzigen Sonnenstrahl, der durchs Fenster fiel. Sie kannte jede Trefferstelle noch blind, auch wenn diese immer wieder ausgebessert worden waren.
Ritter Alderich von Mackenstein-Hammerschlag ä.H. stand am Fenster des Rabenhorster Wohnturms und sah auf die Felder vor dem Kloster. Seine Gedanken kreisten um seiner Koscher Heimat, die dieser Tage in großer Aufruhr war. Die Entführung des Erbprinzenpaares war eine ungeheuerliche Tat. Doch nicht alleine dies. Auch mochte sich eine Möglichkeit eröffnen, den Namen seines Hauses reinzuwaschen. Schon lange schlummerte der Wunsch, den Titel des Junkers zu Mackenstein von seinem stümperhaften Bruder zu erringen. Doch so lange sich dieser vor den Augen anderer verbarg, hatte er keine Chance dazu. Wenn es ihm aber gelingen würde, Anshold zu befreien sah die Sache vielleicht anderes aus. Er wandte sich zu dem im Schatten sitzenden Ritter zu, der ihn schweigend beobachtet hatte.
„Wenn seine Hochwürden erlauben, werde ich dem Ruf des Hauses Eberstamm folgen und mich dem Suchtrupp von Schwester Lyeria anschließen.“
Abt Rabanus betrachtete den koscher Ritter eine Weile nachdenklich aus seinen gift-grünen Augen, ehe er ansetzte. Die vor Erschöpfung schweren Lieder waren halbgeschlossen und vermittelten dem unkundigen Betrachter das Gefühl von Lethargie. Doch noch war Leben in dem düsteren Abt von Rabenhorst, noch waren seine Gedanken klar.
„Wir gewähren Euch Euren Wunsch, Bruder, doch zügelt Eure derischen Gelüste, Bruder Alderich. Sie führen in die Finsternis.“ Die kratzige Flüsterstimme von Rabnaus, ließ Alderich unwillkürlich erschaudern. Wie ein ertappter Knappe vor seinem Ritter biss sich Alderich auf die Lippen und schlug beschämt die Augen nieder.
Wenig später trat Alderich gerüstet in leichter Plattenrüstung und mit selbstgefälligem Ausdruck auf dem Antlitz vor die Adjutantin des Abts, um sich dem kleinen Trupp Ordenskrieger anzuschließen, die gerade im Begriff war, die schützenden Mauern des Klosters zu verlassen. Die Warnung seines Abts waren da schon lange vergessen.
„Wir ziehen nicht aus, um den Tod zu bringen. Wir ziehen auf Hesindes und Tsas Weisung aus. Wir wissen nicht, was passiert ist, warum, und wer dahinter steckt. Aber wir werden unseren Teil dazu beitragen, dass das Prinzenpaar gefunden wird. Es gibt keine andere Option.“ So beendete Lyeria die kurze und emotionslose Erklärung zum Verschwinden des Koscher Erbprinzenpaares, das auch den Orden des Heiligen Golgari auf den Plan rief, den bekanntlich feste Bande mit dem Kosch und der Mark Greifenfurt verbanden.
Timokles schritt über den vereisten Boden des Kräutergartens, vom Wohnturm auf das Badehaus zu. Erst vor zwei Tagen war er von seiner entbehrlichen Reise in den Süden zurückgekehrt und hatte sich nun ein wärmendes und entspannendes Bad verdient, um die von dem langen Ritt resultierenden Schmerzen seiner Kehrseite zu beheben. Er hatte sich noch nie an lange Ritte gewöhnt und würde dies auch nie. So war er schon froh überhaupt gelernt zu haben sich für längere Zeit im Sattel zu halten. Endlich öffnete er die schwere Holztür ins Badehaus und warme, stickige Luft schlug ihm entgegen. Er fühlte sich wohlig und erleichtert und freute sich schon auf sein Bad. Er war alleine im Raum und legte langsam seine Kutte ab, sodass der dicke Verband an seinem Oberarm zum Vorschein kam. Diese Wunde hatte er sich neben wenigen Blessuren bei seiner letzten Mission in der Wildermark zugezogen. Langsam nahm er nun den Verband ab und blickte auf eine verkrustete Narbe. „Sonderbar, dass die bei dem kräftezehrenden Ritt nicht wieder aufgebrochen ist“, dachte er bei sich und wischte den Talg der Salbe von Verletzung. Sie schmerzte fast nicht mehr. Er hob gerade das eine Bein, um in den Zuber mit warmem Wasser zu treten, als die Tür aufgerissen wurde und Lyeria, seine Mentorin, in der Tür stand. Mit ihrem weißen wehenden Mantel und den zerzausten blonden Haaren stand sie amazonengleich vor ihm. Kalte Luft wehrte hinein und ließ den Knappen einen Schauder über den Rücken laufen. Schnell zog er seine Kutte vom Haken und bedeckte sein Gemächt. „Was?“, zu mehr kam er nicht, denn schon unterbrach ihn seine Mentorin: „Es gibt etwas für uns zu tun. Rüste dich und komm zum Tor noch vor dem Sonnenhöchststand!“
Eine halbe Stunde später stand der Knappe schon mit seinem leichten Kettenhemd berüstet und einem schweren braunen Filzmantel über den Schultern im Innenhof des Klosters. Über der einen Schulter ein Bündel mit Wurfspeeren, welche er schon seit einiger Zeit immer mit sich führte, und der anderen eine lederne Tasche für seine Aufzeichnungen. Seine Knie zitterten ob der Kälte, doch trotzdem war er gespannt darauf zu erfahren, wohin er seiner Mentorin folgen würde.
Der Golgariten-Trupp, der kurz vor dem Aufbruch stand, war nicht groß, aber das würde bei diesem Anliegen nur von Vorteil sein und ihn in vielerlei Situationen schnell und flexibel reagieren lassen. Lyeria musterte scharf den Ritter und den Knappen, die sie begleiten würden: Alderich von Mackenstein-Hammerschlag ä.H. und Timokles Hydidon. Ein gebürtiger Koscher Ritter und ein Knappe von den Zyklopeninseln. Der Gegensatz war unübersehbar und hätte kaum größer sein können. Auf Alderich würde sie ein wachsames Auge haben. Rabanus hatte vage Andeutungen gemacht. „Gibt es noch Fragen?“
Timokles zog seinen Mantel fester um die Schultern, um die allgegenwärtige Kälte etwas vertreiben zu können. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein. Jetzt kannte er seine Mentorin doch schon einige Götterläufe, und meist verhielt sie sich ruhig und ausgeglichen und ließ sich auch nicht durch den Fluch seiner eigenen Neugierde beunruhigen. Doch allein dieser kurze Satz war so scharf gesprochen, was jede Form der Unterbrechung oder Frage im Keim erstickte. So verstrichen einige Augenblicke, während derer Lyeria die Anwesenden musterte, bis sie wieder zum Sprechen ansetzen wollte. Doch sie bemerkte, wie Timkoles verlegen seine mit blasse, zitternde Hand hob, förmlich wie im Theologieunterricht. Eine Art von Höflichkeit, die man bei ihm sonst vermisste: „Ähm, ehrwürdige Mentorin, wieso müssen wir die schützenden Mauern des Klosters verlassen, wenn doch der Herre Firun schon im Begriff ist das Land in Besitz zu nehmen? Was erregt Euer Gemüt so sehr, das nicht einmal Zeit für eine Lagebesprechung bleibt? Was ist in Borons Namen geschehen?"
Auch wenn Lyeria Timokles einen kühlen, zurechtweisenden Blick zuwarf, so gab sie ihm dennoch Antwort auf seine Frage: „Wind und Wetter haben des Prinzen Bruder und seine Gattin nicht vor einer schändlichen Entführung bewahren können. Der Abt erhielt Nachricht aus der Markgräflichen Residenz, so dass unsere Abreise die Antwort sein wird. Sind deine Fragen beantwortet, junge Neugier?“ Timokles nickte zaghaft. Die Zeit für seine Fragen würde kommen, dessen war er sich sicher.
Auf dem Weg gen Greifenfurt trieb Lyeria die Ihren zu immer größerer Eile an. Sie fürchtete in ihrem tiefsten Inneren, dass die Spuren bereits verwischt waren, dass sie sogar viel zu spät kommen würden. Die Hoffnung ließ sie das Tempo zusehends erhöhen, die Pferde dampften in der kalten Luft.