Geschichten:Vielleicht ein Freund
Nahe Schloss Wildesauen, Ende Ingerimm 1043 BF
Da waren sie wieder, diese zwei Menschen die einfach so durch sein Revier spazierten als wüssten sie nicht, dass er hier das Sagen hatte. Eine Respektlosigkeit ohne Gleichen. Dennoch rügte er sie nicht, da war etwas. Etwas an diesem Jungen stimmte ihn Wohlgesonnen und machte ihn neugierig. So folgte er ihnen nun zum wiederholten Male auf ihren Wanderungen durch seinen Wald. Ein Kinderspiel für jemanden von seinem Kaliber! Zugegeben körperlich war er für seine Art eher klein geraten, dafür brillierte er geistig um so mehr. Klein aber oho!
Mit schnellen Schritten lief er über den Ast, ein kurzer Sprung und schon befand er sich auf einem anderen Baum. Derart geschickt war er dabei, dass der Ast die Blätter unter seinem Gewicht nicht einmal rascheln ließ. Zügig trugen ihn seine Füße weiter, Geräusch- und Spurlos. Nur, in den unglaublich seltenen Fällen, wenn er keinen Halt fand, ritzen seine ungemein scharfen Kallen die Rinde tief ein. Der nächste Baum war etwas weiter entfernt, ein wenig mehr Anlauf und zwischendurch ein kurzer Flügelschlag und schon war er wieder leise gelandet. Eben wollte er schon weiterlaufen, da hielten die beiden Menschen einfach an. Mit seinen messerscharfen Sinnen hatte er das unerwartete Verhalten der Eindringlinge jedoch sofort erkannt und war stehen geblieben. Langsam folgte er noch einen der dickeren Äste bis er über dem Jungen stand, dann ließ er sich nieder. Schlang seinen Schwarz um den Ast und ließ seine krallenbewährten Füße entspannt baumeln.
Wie er selbst wusste, war er mit seinem knapp 22 Fingern Größe ein eher kleines Exemplar der Funkeldrachen, aber sollten die anderen nur lachen dann zerkratzte er ihnen die Schnauze oder versengte ihnen den Hintern. Entspannt lag er nun im Baum und blickte hinunter auf die Menschen. Der Bursche hatte sich auf einer kräftigen Wurzel niedergelassen und seine Hand auf den mächtigen Stamm der Eiche gelegt. „Schließe deine Augen und fühle.“ Forderte die Frau ihn auf und der Junge gehorchte. Auch er schloss die Augen und fühlte, fühlte in sich selbst und den Baum.
„Fühlst du die Kraft, die diesen Baum durchströmt? Jetzt fühle weiter, folge seinen Wurzeln und spüre den Boden auf dem er steht. Gehe bis in die letzte Spitze und wenn du dort angekommen bist, gehe den Weg zurück. Aus den kleinsten Wurzeln, in den Stamm und dann weiter hinauf in die Krone, erst durch die dicken Äste und dann immer und immer weiter bis du in einem Blatt ankommst.“
Schweigend sah die Frau ihrem Schützling zu, bis dieser endlich etwas sagte. „Ich spüre den Wind, wie er sanft das Blatt wiegt.“
„Sehr gut Drabrod!“ Wurde er sogleich gelobt. „Jetzt ziehe dich zurück und wenn du angekommen öffne deine Augen wieder.“
Auch er hatte es gefühlt. Auch er hatte die Kraft des Baumes gefühlt, seine Verbindung zum Boden und seinen schüchternen Flirt mit dem Wind. Allerdings hatte er auch noch etwas anderes bemerkt, etwas Ungewohntes. War der Junge gewesen? Hatte er etwa die Aura dieses Menschen wahrgenommen? Langsam die Augen wieder öffnend, zuckte er erschrocken zusammen. Der Junge! Dieser Drabrod blickte ihn direkt in die Augen. Hatte er ihn gesehen, hatte er ihn entdeckt? Flucht? Flucht? Flucht? Nein! Ausharren und abwarten! Und dann tat der Junge das unmögliche, als er mit seinen Lippen ‚Ich sehe dich!‘ formte und ihn anlächelte.
Noch in schockstarre verharrend blickte er den beiden Menschen hinterher, als diese sich anschickten sein Revier wieder zu lassen. Dieser Junge hatte ihn entdeckt, niemand entdeckte ihn! Er war super im Verstecken, wieso wieso wieso hatte dieser Bursche ihn gesehen? Das war doch sooooo unfair. Aber irgendwie mochte er den Jungen, mochte er die Aura die er bei diesem spürte. „Ich denke, wir können Freunde werden.“ Beschloss er frohlockend und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Hort. Er konnte es überhaupt nicht mehr abwarten sich in seinen kleinen Schatz zu kuscheln.
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