Geschichten:Vom Baume - Würdenträger auf Abwegen
Baronie Gnitzenkuhl, am Darpat, später Travia 1040 BF
„Wenn sie nicht persönlich noch gestern spät am Abend bei mir gewesen wäre, um mich zu konsultieren und um Hilfe zu ersuchen, würde ich nie und nimmer diese Scharade mitmachen.“ Korbor von Wasserburg legte eine Kunstpause ein, in der er tief seufzte, als hätte er die Last aller Sünder zu tragen.
„Es ist dem Herrn Praios an sich völlig unangemessen, dass seine Diener derart agieren. Nur weil ihre Hochgeboren so ein treues und äußerst hoch angesehenes Mitglied der hiesigen Glaubensgemeinschaft ist, will ich ein Auge zudrücken! Es gilt schließlich die Wahrheit heraus zu finden!“
Der Hauptmann der Gnitzenkuhler Baronin nickte bereits zum wiederholten Male mechanisch. Er hatte das Gefühl, dass der Praiot nicht einmal merkte, dass ausser jenem selbst keiner glaubte was er da von sich gab. Natürlich war es ungewöhnlich, dass ein Priester des Götterfürsten im Schutze des Uferbewuchses ausharrte, um einen Betrüger zu stellen. Aber ebenso war hier jedem seiner Leute wie ihm selbst klar, dass großzügige Spenden Geshlas in der Vergangenheit genau das jetzt möglich machten. Zudem war der Tempelvorsteher aus Gnitzenkuhl sicher ein wenig unwohl, wegen seiner neuen ‚Aufpasserin‘, einer jungen ehrgeizigen Praiosgeweihten aus der Reichsstadt. Ein Zögling Yacubans aus der Reichsstadt, wie man hier munkelte. Da wollte er sicher Fürsprecher sammeln, falls die Dame ihm Schwierigkeiten bereiten wollte.
„Wenn ihr jetzt eure Stimme dämpfen könntet…?!“ bat Deredan von Zillingen den Pfaffen leise aber bestimmt. „Da vorne reitet die Baronin heran, mit ihm im Schlepptau. So ein Eitler Geck, dem werden wir das Handwerk legen. Wollen doch mal sehen, ob du die Gnitze flach legst.“
Ein leises und mißbilligendes Schnalzen mit der Zunge war noch vom Praios Geweihten zu vernehmen über diese flapsige Ausdrucksweise. Doch er wurde ignoriert. Zwei Schützen im nahen Ufergürtel, sowie seine beiden Begleiter standen parat. Die beiden kamen immer näher. Die Baronin stieg ab, und der Nebachote war doch tatsächlich so dreist ihr dabei helfen zu wollen. Instinktiv griff der Hauptmann zur Waffe.
„Ruhig Blut!“ raunte Kobor von Wasserburg ihm zu. „Bald ist es ausgestanden!“ Mürrisch nickte der Hauptmann. Schon seit den ersten Bemühungen des Nebachoten um seine Herrin konnte der Hauptmann sich kaum mäßigen in seiner Verwunderung über ihr Verhalten. Erst gestern hatte sie ihn ins Vertrauen gezogen. Dieser Ezen war zwar gut, aber scheinbar nicht gut genug um sie hinters Licht zu führen. Jetzt wollte Geshla ihn mithilfe des Praioten stellen.
Der Praios Geweihte stimmte nun leise seine Liturgie an. Eine, welche der Hauptmann bislang noch nie vernommen hatte. Doch sein Augenmerk galt ohnehin vor allem dem Geschehen am Ufer. Geshla war dem Mann, der baren Fußes, und ohne Hemd nur mit Weste und loser Pluderhose angetan daher kam, bis zum Rothandfelsen gefolgt. Sie schritten also geradewegs auf sie zu. Doch sie hatte scheinbar Zweifel geäußert und der Mann hatte daraufhin begonnen gestenreich auf sie einzureden.
Einige Wortfetzen drangen jetzt auch an sein Ohr. „Großä Marba? Wohär diesä Zwaifäl mit ainäm Mal? Kommt, lasst uns szu’sammän där Gäschichtä lauschän, auf das sie uns baidä ärlaichtän mag. Wir konnän baidä viel von ainandär lärnän und ärfahrän.“, glaubte er zu hören.
„Er tut es…genau jetzt!“ erklang kühl die Stimme des Tempelvorstehers. Sofort blies der Hauptmann wie befohlen in die kleine Pfeife, und ein hoher klarer Ton ertönte.
„Wo bleibt ihr? Soll ich erst warten, bis mich ein Bolzen trifft wie Seraminor, und dass noch aus einem Hinterhalt?“ Geshlas unangenehme Stimme erhob sich gellend, derweil der Hauptmann und seine Leute sich aus den Büschen schlugen. Auch Korbor von Wasserburg kam heran mit gerafften Röcken.
Der Hauptmann hatte überrascht gesehen, dass die Baronin höchstselbst ihr nebachotisches Gegenüber mit der Waffe anging, der nun völlig verdattert die Baronin anstarrte, die Situation, die ihm entglitt noch nicht gänzlich begreifend. Gosewin, der Waffenknecht, suchte mit seinen Augen die Umgebung nach möglichen feindlichen Begleitern des Nebachoten ab, derweil der andere sich als Schild bei der Herrscherin positionierte. Das Wort Hinterhalt und Seraminor weckten in dem Veteranen und seinem jungen Begleiter Ungolf ungute Erinnerungen. So hatte man schon einmal einen Baron verloren, noch dazu einen ehemaligen Söldner. Seiner Tochter sollte nicht das gleiche passieren. Doch da waren keine anderen Feinde, nur der eine Nebachote.
Darum bemüht würdevoll wie immer aufzutreten, schritt jetzt endlich der Vertreter der Praios Kirche heran und maß den gutaussehenden Nebachoten mit mißbilligenden Blicken. Der angebliche Gelehrte aus der Halle der Ahnen war typisch nebachotisch angetan, konnte derweil der Praiot sehen, und dabei war er noch unverschämt gutaussehend dazu, stellte er dabei nicht ohne Neid fest. Vermutlich war der auch ohne seine billigen Tricks ein Weiberheld, mutmaßte der Tempelvorsteher, der hier in Gnitzenkuhl zwar zahlreiche Nebachoten als Priester betreuen durfte, aber dem der rechte Zugang zu ihrem Glaubenskanon und damit ihrer Natur, immer verschlossen geblieben war. Er räusperte sich, faltete die Hände und sprach mit gestrenger Miene:
„Er täte gut daran sein Gewissen zu erleichtern, denn viel Zeit wird ihm nicht mehr bleiben. Magie gegen eine Hochadlige, noch dazu gegen ihren Willen, und sicher in dem Wunsch seinen Vorteil, oder gar Schaden für sie herbei zu führen. Dies wiegt schwer, bei Praios. Sein Lichtstrahl wies mir deutlich, dass er Madas Frevel nutzte um Euch zu beeinflussen. Der Herr wird weiter Licht in dieses Dunkel bringen, dafür werde ich persönlich sorgen euer Hochgeboren! Überlasst ihn mir, ich werde ihn befragen!“
Noch immer hatte Geshla ihre Waffe geradewegs auf die Brust Ezen‘s gerichtet und schien zu überlegen, ob sie wirklich mehr wissen wollte, oder nicht einfach kurzen Prozess mit diesem Eseltreiber machen sollte. Wut und Hass loderten gerade hoch. Sie wurde nicht gerne manipuliert, schon gar nicht von einem Nebachoten, der es nicht wagte zu sprechen noch sich zu bewegen und sichtlich mit dem Schmerz rang welchen ihm die einritzende Klinge auf seiner nackten Brust bescherrte. An den Geweihten gerichtet meinte die Baronin dann mürrisch: „Wie ihr meint. Ihr habt Zeit bis morgen zur Mittagsstunde, dann werde ich Recht über ihn sprechen.“
Er verbeugte sich und meinte: „Ich lasse ein paar Dinge packen und werde zur Burg kommen!“ An den Hauptmann gewandt meinte sie im Anschluß: „Eskortiert den Gefangenen in die Arrestzelle! Ich erwarte, dass er dort auch ankommt, legt ihm jetzt Fesseln und dort Handschellen aus Eisen an. Knebelt ihn zuerst und verbindet ihm die Augen, auf dass er euch nicht versuchen kann zu verzaubern. Und Hauptmann, das nächste Mal erinnert mich daran solches Gesindel sofort einfach vom Baum zu schießen.“
„Sehr wohl, ganz wie ihr wünscht!“ bellte der Hauptmann zurück, zog Ezen unsanft in die Höhe und trat ihn vor sich her, nicht ohne einige üble Verwünschungen zu äußern. Nur wenige Momente später war der ungewöhnliche Auflauf beendet. Am Rothandfelsen, der sonst für jährliche Rituale genutzt wurde, die älter waren als die Aufzeichnungen der Archive, kehrte wieder Ruhe ein. Zumindest vorerst.